1 Sitzung vom 10. Meine Freunde haben allerdings auch hier in dieſer Verſammlung den Punkten der erſten Vorlage des Ma⸗ giſtrats zugeſtimmt, welche über das Genter Syſtem hinaus den Kreis der durch ſtädtiſche Mittel zu Unter⸗ ſtützenden begrenzen wollten, die auch eine Unter⸗ ſtützung derjenigen, die nach dem Ausdruck des Herrn Kollegen Stadthagen vorhin deſſen am meiſten be⸗ dürften, ins Werk ſetzen wollten. Etwas Aehnliches iſt auch in Schöneberg in der dortigen Ordnung ent⸗ halten. Wenn aber meine Freunde entſchloſſen waren, ſeinerzeit dieſen Beſtimmungen der Magiſtratsvorlage zuzuſtimmen, ſo geſchah es mit dem klaren Bewußtſein, daß dieſe Beſtimmungen ſehr zweifelhafte Ergebniſſe zeitigen, daß ſie eine Arbeitsloſenkaſſe ohne Mitglieder ius Leben rufen würden — genau wie wir das in Schöneberg geſehen haben und überall ſehen, wo auf dieſer Grundlage Arbeitsloſenunterſtützung ins Leben gerufen wird. Für uns war die Zuſtimmung zu einem ſolchen Experiment nur dadurch gegeben, daß eben dasjenige mit ins Leben gerufen werden ſollte, was ein greifbares, ein poſitives Ergebnis haben würde, näm⸗ lich die Unterſtützung nach dem Genter Syſtem. Da das von Ihnen geſtrichen wurde, ſo war es ganz ſelbſt⸗ verſtändlich für meine Freunde, daß wir nicht zu einem Experiment die Hand bieten konnten, welches unter dem Etiquette: „Einführung einer Arbeitsloſenunter⸗ ſtützung für Charlottenburg“ eine Kaſſe ins Leben rief, die zwar eine Arbeitsloſenunterſtützungskaſſe hieß, aber in Wirklichkeit keine war, weil Arbeitsloſenunter⸗ ſtützung daraus gar nicht gezahlt werden könnte, man⸗ gels der Arbeitsloſen, die dafür berechtigt waren. Dar⸗ auf in erſter Linie bezieht ſich auch das zweifelhafte Ergebnis in Schöneberg. Der eigentliche Grund, aus dem die Mehrheit dieſes Hauſes das Genter Syſtem ablehnte, iſt heute gar nicht genannt worden, er iſt ſeinerzeit in den De⸗ batten genannt worden: das iſt der Grund, daß die Mehrheit dieſes Hauſes befürchtete, es liege darin die Unterſtützung gewerkſchaftlicher Organiſationen. So lautete immer der Ausdruck. Wie ich ausdrücklich hervorhebe, handelt es ſich bei der Arbeitsloſenunter⸗ ſtützung nach dem Genter Syſtem nicht um Unter⸗ ſtützung einer gewerkſchaftlichen Organiſation. Einer ewerkſchaftlichen Organiſation wird nach dieſem Syſtem auch nicht ein Pfennig aus öffentlichen Mit⸗ teln zugeführt. Aber die Mehrheit dieſes Hauſes be⸗ fürchtete, eine Unterſtützung gewerkſchaftlicher Organi⸗ ſationen liege in dieſem Syſtem, mindeſtens eine mo⸗ raliſche Unterſtützung, und jede Unterſtützung gewerk⸗ ſchaftlicher Organiſationen aus öffentlichen Mitteln, auch die moraliſche, ſei grundſätzlich abzulehnen, weil darin eine Unterſtützung ſozialdemokratiſcher Beſtre⸗ bungen liegen würde. Das war der Grund und iſt für viele der Herren noch der Grund, dem Genter Sy⸗ ſtem feindlich gegenüber zu ſtehen. Nun liegen die Dinge doch ſo, daß von einer Unterſtützung, wie ich ſchon ſagte, der gewerkſchaftlichen Organiſationen ſelbſt gar keine Rede iſt. Allerdings wird anerkannt — das möchte ich in keiner Weiſe ver⸗ ſchleiern, das iſt auch von Vertretern der liberalen Par⸗ tei, die mit meinen Freunden ſtimmten, hervorgehoben worden—, es wird anerkannt und ſoll anerkannt wer⸗ den, daß es die Ae eines Arbeiters iſt, in jeder Weiſe für ſeine Verhä natürlich nur im Zuſammenſchluß mit ſeinesgleichen tun kann, daß es die Pflicht des Arbeiters iſt, ſich einer Organiſation anzuſchließen. Freilich werden die Her⸗ eine iltniſſe vorzuſorgen, auch für die Zeit der Arbeitsloſigkeit vorzuſorgen, und daß er das September 1913 333 ren von der liberalen Partei den Arbeitern nicht ge⸗ rade die freien gewerkſchaftlichen Organiſationen emp⸗ fehlen, ſie werden ihnen weit mehr die ſogenannten Hirſch⸗Dunckerſchen Organiſationen empfehlen, aber empfehlen tun ſie jedenfalls auch den Zuſammenſchluß zu Organiſationen. Nicht in der Vereinzelung ſoll der Arbeiter bleiben, in der Vereinzelung kann er nicht diejenige Fürſorge für ſeine Zukunft treffen, die auch Sie, meine Herren, zu treffen ihm empfehlen. Da muß man doch ſagen: wenn Sie das anerkennen, dann ſollen und dürfen Sie den Arbeiter nicht als unmündig behandeln und erklären: ja, wenn er ſich den freien Organiſationen anſchließt, denen, die Sie als ſozial⸗ demokratiſch bezeichnen, dann wollen wir von einer Inbewegungſetzung öffentlicher Mittel auf dieſer Grundlage nichts wiſſen; ſchließt er ſich Hirſch⸗Duncker⸗ ſchen Organiſationen an, dann iſt die Sache anders, dann wonlen wir mit uns reden laſſen. Das iſt doch ein Standpunkt, den Sie heutzutage den deutſchen Arbeitern gegenüber nicht mehr einnehmen ſollten. Sie ſollten heute die deutſchen Arbeiter als mündig be⸗ handeln und es ihnen ſelbſt überlaſſen, in welche ge⸗ . Organiſation ſie ſich zuſammenſchließen wollen. (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Auch die deutſchen Arbeiter, ſoweit ſie in den Hirſch⸗ Dunckerſchen Organiſationen vereinigt ſind, ſtehen meines Wiſſens einmütig auf dem Standpunkt, daß die Kommunen alle Veranlaſſung haben, gerade auf Grundlage des Genter Syſtems in eine Arbeitsloſen⸗ unterſtützung einzutreten. Diejenigen unter Ihnen, meine Herren, die vielleicht noch nicht ganz feſt ent⸗ ſchloſſen ſein ſollten, möchte ich gerade auf dieſe Stellungnahme der Hirſch⸗Dunckerſchen Arbeiter hin⸗ weiſen, die in dieſer Beziehung mit den freien Ge⸗ werkſchaften durchaus auf demſelben Standpunkt ſtehen. Deshalb alſo, um Ihnen die Gelegenheit zu geben, noch einmal Charlottenburg in dieſer großen Kultur⸗ frage mit in den Vordergrund zu ſtellen, deshalb haben wir dieſen Antrag geſtellt. Der Herr Bürgermeiſter hat allerdings mit vollem Recht darauf hingewieſen, daß eine ſolche Ein⸗ richtung einer einzelnen Kommune in dem großen ein⸗ heitlichen Wirtſchaftsgebiet von Groß⸗Berlin doch nur ein ganz geringes Stückwerk ſein würde, das kaum ge⸗ eignet wäre, irgendwelche großen Erfolge zu zeitigen. Sehr richtig, das iſt ein Punkt, den wir ſeinerzeit auch mit großem Nachdruck hervorgehoben haben. Nebenbei bemerkt, betone ich, daß, ſelbſt wenn in Groß⸗Berlin dieſe Arbeitsloſenunterſtützung auf dieſer Grundlage durchgeführt wird, meine Freunde nicht glauben, daß damit nun ſchon ungeheuer viel ge⸗ leiſtet iſt; aber es iſt doch et was geſchehen. Wenn wir, trotzdem wir der Ueberzeugung waren, daß auch in dieſem geringen Umfange etwas wirklich Frucht⸗ bares nur in Groß⸗Berlin geſchehen kann und nicht in einer einzelnen Kommune, mit ſo großem Nach⸗ druck immer darauf hingewieſen haben: wir wün⸗ ſchen, daß Charlottenburg vorangehe, da eine Eini⸗ gung in Berlin noch nicht herbeizuführen iſt —, ſo haben wir auch nie ermangelt, zu betonen, daß wir von einem ſolchen Vorgehen Charlottenburgs ein an⸗ feuerndes Beiſpiel erwarten, das in anderen Gemein⸗ den Groß⸗Berlins Nachahmung finden wird, ſo daß ſich dann auch für Groß⸗Berlin eine Einrichtung wird treffen laſſen. Leider hat Charlottenburg auf dieſem