Sitzung vom 15. Oktober 1913 Ihnen auch ein guter Weiſer auf dem Wege ſein, den Sie jetzt einſchlagen ſollen. Und dennoch werden Sie finden, daß die Ver⸗ hältniſſe und die Dinge in Charlottenburg nur teil⸗ weiſe Analogien mit dem bieten, was Sie in anderen Städten zu ſehen und zu beobachten Gelegenheit hatten. Freilich, eine erfreuliche Zunahme der Be⸗ völkerung, ein kräftiges Aufblühen kommunalen Le⸗ bens finden wir glücklicherweiſe in Deutſchland in den letzten zwei Dezennien, die über uns hingegangen ſind, an vielen Orten. Aber ganz unſerer Stadt eigen iſt doch vielleicht der durchgreifende und vollkommene Wechſel, den bei uns ſelbſt die grundlegenden Dinge, und zwar in kürzeſter Zeit, erfahren haben und erfahren und der ſo weit geht, daß eigentlich Ihre beiden Amtsvor⸗ gänger am Ende ihrer Tätigkeit eine ganz andere Stadt zu verwalten hatten, als die war, in der ſie ihre Tätigkeit begannen. Die ſtille Gartenſtadt, die, mehr als anderthalb Jahrhunderte alt, ſich wenig rückt und wenig rührt, gewinnt direkte Beziehung und direkte Berührung mit der wachſenden und nach Weſten ſich dehnenden Hauptſtadt und aus dieſer Berührung entſteht in einer Zeit von nicht viel mehr als einem Dezennium die Umwandlung zu einer Großſtadt, aber zu einer Großſtadt mit einem ganz beſtimmten etwas einſeitigen Charakter: die Umwandlung in eine vornehme Wohnſtadt. Die Aufgabe des Tages war es damals, dieſe Entwickelung zu ergreifen und zu fördern. Daß ſie gelöſt worden iſt, daß ſie richtig gelöſt worden iſt, beweiſt der Erfolg. Aber nicht lange bleibt die Entwickelung nur in dieſer einen Richtung. Der Verkehr, dieſer unkon⸗ trollierbare, unüberſehbare, ſich anſcheinend keinem Geſetz fügende Faktor, ſchafft plötzlich und ganz un⸗ vermutet im Oſten unſerer Stadt, aber ohne An⸗ lehnung an Berlin, ein Zentrum der Geſchäftstätig⸗ keit allererſten Ranges, das in ſeiner wirtſchaftlichen Bedeutung weit über die Grenzen unſerer Stadt hinausragt, das aber die Umgebung, in der es ſich niederläßt, in kurzer Zeit vollkommen und durch⸗ greifend bis zur Unkenntlichkeit verändert. Statt der ruhigen Stille, die früher herrſchte, haben wir heut pulſierendes Leben, ein ewiges Auf und Ab der Bewegung, ein Haſten und Treiben. ſprungsort der Niederlaſſung dehnt ſich dieſe Ent⸗ wicklung nach allen Seiten aus. Sie iſt ſo ſtark und ſo kräftig, daß ihrem Fortſchreiten und ihrem unſere Stadt verändernden Drange vorerſt Ziel und Grenzen nicht geſetzt zu ſein ſcheinen. So erleben wir das Schauſpiel, daß Charlotten⸗ burg genau die gleiche Entwicklung durchmacht, wie die beſten Teile von Berlin ſie hinter ſich haben, aber nur mit dem Unterſchied, daß das, was dort De⸗ zennien zum Ausreifen braucht, ſich bei uns in Jahr⸗ zehnten, ja ſchon in Jahren durchſetzt und zur Blüte gelangt. — Wohin es geht, wer weiß es? Aber mit dop⸗ pelter Vorſicht und Aufmerkſamkeit wird auch der dieſen Entwicklungsgang verfolgen müſſen, der ihm Bahnen und Wege weiſen will, die auch unſerer Stadt zum Vorteil und zum Gedeihen gereichen. Und dabei wird er eines nicht vergeſſen dürfen, was auch bereits von dem Herrn Regierungspräſidenten erwähnt worden iſt: Wir ſtehen nicht allein. Neben den höheren Pflichten ſtaatlicher Notwendigkeiten, die wir gerne tragen, haben wir auch auf die Nachbarn Von dem Ur⸗ 363 Rückſicht zu nehmen, die mit uns Haus an Haus wohnen und mit denen uns zum Teil gleiche Inter⸗ efſen verbinden. Wir ſind ein Glied von Groß⸗Verlin, und wir dürfen wohl ſagen: ein ſehr wichtiges Glied. Wir haben in erſter Linie die Aufgabe, die Inter⸗ eſſen und die Wohlfahrt unſerer Bürger zu behüten und zu wahren. Aber wir dürfen nie vergeſſen, daß auch der Teil nicht geſund bleiben und blühen kann, wenn nicht auch das Ganze in geſunder Verfaſſung daſteht. Darum müſſen wir und wollen wir aus dieſer Rückſicht heraus Opfer auf uns nehmen zum Beſten des Ganzen, zum Beſten dieſer großen Gemeinſamkeit in der Vorausſicht und in der Er⸗ wartung, daß auch die anderen Glieder dieſes Körpers 0 gegenüber die gleichen Opfer zu tragen gewillt ind. Das ſind ſo einige Punkte, die mir in dieſer Stunde zu erwähnen wert erſcheinen. Es gibt deren vielleicht noch mehrere, die beſſer und eher hier ge⸗ nannt werden ſollten: aber im Hinblick auf den Cha⸗ rakter des Augenblicks verſage ich mir, auf ſie ein⸗ zugehen. Aber wie dem auch ſei: Gehen Sie mit uns gemeinſam an die Arbeit, verehrter Herr Ober⸗ bürgermeiſter! Sie ſelbſt werden ſehen, prüfen und erfahren, wo es zu arbeiten, wo es zu fördern und wo es tätig zu ſein gilt. Groß iſt die Zahl derjenigen Leute, die mit Erwartung dieſer Stunde entgegen⸗ geſehen haben, noch größer die Zahl derer, für die ſie von einſchneidender Bedeutung und Wichtigkeit ſein wird. Möge es ein gütiges Geſchick fügen, daß alle dieſe Männer und vor allen Dingen Sie ſelbſt, verehrter Herr Oberbürgermeiſter, dereinſt dankbaren Gedenkens und freudiger Rückerinnerung der Stunde ſich erinnern, die Sie in unſere Mitte führte! (Lebhafter Beifall.) Bürgermeiſter D. Maier: Sehr geehrter Herr Oberbürgermeiſter! Namens des Magiſtrats und der Beamtenſchaft habe ich die Ehre, Sie zu begrüßen, willkommen zu heißen und unſere Wünſche für ein gedeihliches und ſegensreiches Wirken auszuſprechen. Die Stadt Charlottenburg hat ſich unter Ihren Herren Amtsvorgängern einen Namen mit gutem Klang erworben, und zwar nicht nur in Groß⸗Berlin, ſondern auch unter den preußiſchen und deutſchen Städten. Sie finden eine wohlgefügte Verwaltung vor, eine Verwaltung. von der man ſagen kann, daß ſie eine Tradition beſttzt, eine Tradition des ſtet i⸗ gen und entſchiedenen Fortſchreitens auf ſo⸗ zialem und wirtſchaftlichem Gebiete, getragen von dem freien, ſchöpferiſchen und beleben⸗ den Geiſte der Selbſtverwaltung. In dieſen lebens⸗ vollen Organismus treten Sie ein und übernehmen die wichtigſte Funktion, die Funktion der Kräfte⸗ regulierung. Mugiſtrat und Beamtenſchaft bringen Ihnen volles Vertrauen entgegen; ſie hegen die Zu⸗ verſicht, daß Sie Ihr Amt mit Kraft und Energie aber auch mit Billigkeit und Schonung führen werden. Wenn ich Gelegenheit nehme, Ihnen über meine faſt dreiviertelfährige Führung der Dirigentenge⸗ ſchäfte Rechenſchaft abzulegen, ſo tue ich das mit der kurzen Verſicherung, daß ich bemüht geweſen bin, die Maſchine der Verwaltung im vollen Gange zu er⸗ halten. Ich knüpfe hieran die Hoffnung, daß es mir vergönnt ſein möge, meine ganze Arbeitskraft zu Ihrer Entlaſtung und Unterſtützung gemäß der mir