420 Sitzung vom 3. ſchäftsordnungsmäßigen Weg gehen und zunächſt im Petitionsausſchuß beraten werden. Aber wie in früheren Fällen beſteht wohl auch hier kein Beden⸗ ken, auch dieſe beiden Petitionen ohne Vorberatung durch den Ausſchuß ſofort dem Magiſtrat als Mate⸗ rial zu überweiſen. (Die Verſammlung beſchließt nach dem Antrage des Berichterſtatters.) Stellv. Vorſteher Dr Hubatſch: Wir fahren fort bei VI. Petition des Händlers Matthias un d G en., der Vereinigung der Bezirksvor⸗ ſteher und Stellvertreter von Charlottenburg bet r. Straßenhandel. Berichterſtatter Stadtv. Dr Friedlaender: Meine Herren! Der Inhalt der Petitionen richtet ſich gegen den ſich immer mehr ausbreitenden Straßenhandel; es wird die gänzliche Aufhebung des Straßenhandels verlangt. Die Charlottenburger Gewerbetreibenden würden durch den Handel, der hauptſächlich von aus⸗ wärts wohnenden Perſonen ausgeübt wird, empfindlich geſchädigt; auch würde die öffentliche Sicherheit ge⸗ fährdet und das Straßenbild beeinträchtigt. Die Pe⸗ tenten ſind einmal die Obſt⸗, Gemüſe⸗ und Kohlen⸗ händler von Charlottenburg und dann die Freie Ver⸗ einigung der Bezirksvorſteher und Stellvertreter von Charlottenburg. Ich lege auf die letzte Petition ge⸗ rade beſonderen Wert, weil man doch annehmen muß, daß die Bezirksvorſteher und deren Stellvertreter die Verhältniſſe in ihren Bezirten genau kennen müſſen. Sedes materiae iſt im vorliegenden Falle einmal die Reichsgewerbeordnung, nach der das Prinzip der Gewerbefreiheit beſteht, und zweitens die Straßen⸗ ordnung von Charlottenburg, die ſich im § 73 über den Straßenhandel verhält. Die vielfachen früheren Pe⸗ titionen haben dazu geführt, daß der Magiſtrat im An⸗ fang des Jahres 1912 auf Erſuchen des Polizeipräfi⸗ denten einer Abänderung des § 73 der Straßenordnung dahin zugeſtimmt hat, daß in allen Straßen, welche Hauptſtraßen kreuzen oder auf ſie einmünden, bis auf 25 m von der Bordſchwelle dieſer Hauptſtraße an ge⸗ rechnet der mittels Fuhrwerks oder mit ſolchen Be⸗ hältniſſen, welche die betreffende Perſon nicht allein bequem handhaben kann, betriebene Straßenhandel ebenſo wie in den von Straßenbahnen befahrenen Straßen verboten wird. Die Mißſtände haben ſich im Laufe der beiden ſ letzten Jahre nicht verringert, vielmehr vermehrt. Aus den jetzt vorliegenden Petitionen, insbeſondere aus der Petition der Bezirksvorſteher, geht unzweifelhaft her⸗ vor, daß der Straßenhandel mit Obſt, Gemüſe und Preßkohlen faſt ausſchließlich mittels Fuhrwerk und von Leuten betrieben wird, die aus den Vororten, ins⸗ beſondere aus Neukölln, Weißenſee und anderen, hier⸗ her kommen. Es kann nach dieſen Petitionen meines Erachtens auch keinen Bedenken unterliegen, daß die Charlottenburger Gewerbetreibenden durch den Stra⸗ ßenhandel empfindlich geſchädigt werden, daß aber auch die öffentliche Sicherheit gefährdet und außerdem das Straßenbild beeinträchtigt wird. In den Petitionen iſt z. B. geſchildert, daß die Straßenhändler ſogar ihrerſeits aggreſſiv gegen Leben und Ge undheit unſerer Mitbürger vorgehen, und es ſind einzelne Fälle dafür angeführt. Dezember 1913 Die Netitionen verlangen nun die gänzliche Auf⸗ hebung des Straßenhandels. Der Ausſchuß hat dieſe Petitionen dahin interpretiert, daß die Aufhebung des Straßenhandels vorgenommen werden ſoll, ſoweit ſie geſetzlich zuläſſig iſt. Denn eine gänzliche Aufhebung des Straßenhandels iſt geſetzlich ausgeſchloſſen und un⸗ zuläſſig; ſie widerſpricht dem Prinzip der Gewerbe⸗ freiheit, alſo der Gewerbeordnung. Wenn die Peti⸗ tionen ausführen, daß in anderen Vororten der Straßenhandel gänzlich aufgehoben ſei, ſo halte ich das nicht für richtig. Sollte das der Fall ſein, ſo würde ich eine diesbezügliche Polizeiverordnung für ungiltig halten. Vielmehr iſt z. B. in Neukölln, Lichtenberg und einigen anderen Vororten der Straßenhandel ſoweit als zuläſſig eingeſchränkt, d. h. er iſt verboten, ſoweit er durch Wagen betrieben wird, und ſeine Ausübung iſt nur unter Zuhilfenahme von Körben und Gefäßen geſtattet, die von einer Perſon getragen werden können. Ich meine, meine Herren, wenn das in Neukölln, Lich⸗ tenberg und anderen Vororten, wo nicht einmal Markt⸗ hallen exiſtieren, wo die Bevölkerung überwiegend den ärmeren Schichten angehört und wo auch der Straßen⸗ verrehr im Verhältnis zu Charlottenburg nur gering iſt, möglich iſt, ſo dürfte das bei uns in Charlottenburg umſo eher durchführbar ſein. Aus allen dieſen Gründen hat der Petitions⸗ ausſchuß beſchloſſen, dieſe Petitionen dem Magiſtrat zur Berückſichtigung zu empfehlen. Stadtv. Erdmannsdörffer: Meine Herren! Der Herr Referent hat ſchon mit vollem Recht hervor⸗ gehoben, daß eine gänzliche Aufhebung des Straßen⸗ handels nicht zuläſſig und möglich iſt, weil dem die geſetzlichen Beſtimmungen über die Gewerbefreiheit entgegenſtehen. Wenn man nun aber eine Petition einer Verwaltungskörperſchaft wie hier dem Magiſtrat zur Berückſichtigung überweiſt, ſo heißt das nach dem allgemeinen Sprachgebrauch, daß ſich derjenige, der überweiſt, den Inhalt dieſer Bittſchrift zu eigen macht, mit anderen Worten: wir wollen, daß der Magiſtrat das in vollem Umfange berückſichtigt, was in dieſen Petitionen enthalten iſt. Infolgedeſſen finde ich, daß ſich der Herr Referent in ſeinem Bericht eigentlich ſchon rein geſchäftsordnungsmäßig gegen den Antrag des Petitionsausſchuſſes gewendet hat. Meine Herren, wir können alſo dieſe Petitionen nicht gut zur Berückſichtigung überweiſen, weil wir ja das, was die Petenten erſtreben, ſelbſt nicht wollen, weil wir gar nicht ein Verbot des Straßen⸗ handels wünſchen können, da uns ein ſolches Recht gar nicht zuſteht und es von uns aus gar nicht ge⸗ chehen kann. Aber ſelbſt, wenn das möglich wäre, wenn wir die Macht hätten, ein Verbot auszu⸗ ſprechen, ſo müſſen wir doch berückſichtigen, daß der Straßenhandel, wenn man auch gewiſſe Mißſtände und Uebergriffe gern zugeſtehen mag, doch unzweifel⸗ haft auch eine legitime Ausübung eines Gewerbe⸗ zweiges, einer Wirtſchafsform darſtellt, und wir können nicht dazu übergehen, Wirtſchaftsformen, die anderen Wirtſchaftsarten eine Konkurrenz bereiten, zu verbieten, weil dieſe Konkurrenz ſchlimm oder ge⸗ fährlich iſt; wir können nur dazu übergehen, Miß⸗ ſtände und Uebelſtände, die ſich gezeigt haben, auf reglementariſchem Wege zu beſeitigen. Infolgedeſſen ſtellt der größte Teil meiner Freunde durch mich den Antrag, dieſe Petitionen dem Magiſtrat nicht zur Berückſichtigung, ſondern als Material zu überweiſen. Die Ueberweiſung als