436 Sitzung vom 3. aus Charlottenburg. Es kam ſoweit, daß der Unter⸗ nehmer ſich veranlaßt ſah, ſeine Schachtmeiſter hinaus⸗ zuſenden in die Lande, um Arbeitskräfte zu beſorgen, wo ſie ſie fanden. Es ſind auf dieſe Weiſe ſehr viele Leute aus Galizien gekommen, um dort beſchäftigt zu werden. Wenn man nun nach dem Grunde fragt, weshalb dort die Charlottenburger Arbeiter nicht arbeiten, ſo kann ich darauf eine zutreffende Antwort nicht erteilen. Vor ungefähr acht Tagen haben wir hier in Charlotten⸗ burg am Bahnhof Witzleben eine große Arbeit begonnen, bei der an 150 und mehr Arbeiter beſchäftigt ſind. Hierfür hat der Arbeitsnachweis mehr als zwei Drittel nachgewieſen, die der Unternehmer auch tatſächlich be⸗ ſchäftigt hat. Aus dieſem Umſtande darf vielleicht ge⸗ ſchloſſen werden, daß es an der Entfernung des Rieſel⸗ feldes liegt, wenn hier die Arbeiter nicht bleiben, wobei ich bemerken möchte, daß die Löhne draußen annähernd die gleichen ſind, draußen jedenfalls nicht geringere Löhne gezahlt werden als in Charlottenburg. An den Lohnverhältniſſen kann es alſo nicht liegen. Die Ar⸗ beiter müſſen von Charlottenburg nach dem Rieſelfeld einen weiten Weg zurücklegen, den ſie, ſoweit ſie ſich nicht im Beſitze von Fahrrädern befinden, in kurzer Zeit nicht bewältigen können. Wohl iſt ihnen aber Gelegenheit gegeben, draußen zu übernachten. Beide Unternehmer haben ſogenannte Schlafbaracken her⸗ geſtellt, in denen — ich habe ſie ſelbſt beſichtigt — die Arbeiter ſehr wohl die Nacht verbringen können. Die Arbeiter müſſen allerdings 25 Pf. pro Nacht dafür be⸗ zahlen. Es mag ſein, das ihnen das zu hoch iſt; ich möchte es aber nicht glauben. Ein anderer Grund wäre der, daß die Arbeiten zum Teil im feuchten Boden hergeſtellt werden müſſen und die Leute, die aus Charlottenburg kommen, nicht die nötigen waſſerdichten Stiefel, alſo etwa Militär⸗ ſtiefel, beſitzen, ſo daß ſie ſich ſcheuen, innerhalb des Waſſers zu arbeiten. Auch heute liegen die Verhält⸗ niſſe auf dem Rieſelfeld nicht anders. Während wir hier für die Arbeiten am Bahnhof Witzleben durch den Arbeitsnachweis ſoviel Arbeiter bekommen, wie wir wollen, iſt es dem Arbeitsnachweis nicht möglich, für das Rieſelfeld die notwendigen Arbeitskräfte zu be⸗ ſchaffen. Das zur Beantwortung des erſten Teils der Anfrage. Der zweite Teil lautet: Iſt der Magiſtrat gewillt, jedenfalls bei Neu⸗ vergebung von Arbeiten für die Zeit des wirt⸗ ſchaftlichen Mißſtandes eine entſprechende Klauſel in die Verträge aufzunehmen? Die Klauſel wird jetzt allen Unternehmern vorgeſchrie⸗ 4 ſie heißt ſo, wie der Herr Vorredner mitgeteilt at: Der Unternehmer iſt verpflichtet, neu einzuſtel⸗ lende Arbeitskräfte durch die Vermittlung des ſtädtiſchen Arbeitsnachweiſes zu beziehen. Der Herr Vorredner hat bemängelt, daß der Unter⸗ nehmer nur verpflichtet ſei, neu ein zuſtellende Arbeitskräfte durch den Arbeitsnachweis zu beziehen. Nach meiner Auffaſſung kann er nur ſolche von dem Arbeitsnachweis beziehen. Jeder Unternehmer beſitzt einen Stamm von Arbeitern, der ihm die Kon⸗ tinuität ſe Geſchäfts aufrecht erhält. Wenn es auch nicht die Mehrheit der Arbeiter iſt, aber einen ge⸗ Dezember 1913 wiſſen Stamm muß er haben: ſeine Zimmergeſellen, ſeine Maurer, ſeine Vorarbeiter und auch geübte Ar⸗ beiter, die mit dieſen und jenen Dingen umzugehen verſtehen. Man kann nicht verlangen, daß er auch dieſe aus dem Arbeitsnachweis bezieht; die bringt er mit. Es wird aber darüber gewacht, daß er nicht mehr mit⸗ bringt, als notwendig ſind; ſowie er darüber hinaus neue Arbeiter einſtellen muß, hat er ſie durch den Ar⸗ beitsnachweis zu beziehen. (Ein Antrag des Stadtv. Wilk auf Beſprechung der Anfrage wird genügend unterſtützt.) Stadtv. Wilk: Meine Herren! Es iſt ſelbſt⸗ verſtändlich durchaus erwünſcht, wenn bei allen ſtädti⸗ ſchen Arbeiten nötigenfalls die Charlottenburger Ar⸗ beiter berückſichtigt werden; es iſt aber auch ebenſo notwendig und wünſchenswert, nicht ſo engherzig hierbei zu verfahren und lediglich Charlottenburger zu berückſichtigen, ſondern wenn ein Berliner dazu kommt, ſoll man ihn auch nicht abweiſen, ihn vielmehr ebenfalls beſchäftigen, denn die Arbeitsloſigkeit herrſcht nicht einzig und allein in Charlottenburg, ſondern ſie iſt über ganz Groß⸗Berlin verbreitet. Aber was ſo außerordentlich zu bedauern iſt, das iſt der alte Krebsſchaden und Uebelſtand bei der Tief⸗ bauverwaltung, daß ein Unternehmer erſt nach Ga⸗ lizien und Rußland hinſchicken muß, um ſich von dorther ſeine Arbeitskräfte zu holen. Wenn hier hervorgehoben worden iſt, daß die ausländiſchen Arbeiter allein für derartige Arbeiten geeignet ſeien, ſo beſtreite ich das; das iſt ein Märchen. Das können Sie keinem großſtädtiſchen Arbeiter erzählen, daß er nicht auch zu ſolchen Ar⸗ beiten zu gebrauchen wäre. Die Urſache liegt aber darin: Sie bezahlen die Leute zu ſchlecht! Sie haben es zwar beſtritten; aber Sie bezahlen ſie tatſächlich unter allem Luder! Die Leute können wahrhaftig mit dieſem erbärmlichen Lohn nicht auskommen. Nun kommt der polniſche Arbeiter hierher. Er kennt die Verhältniſſe nicht, hat keine blaſſe Ahnung, wie ſchwer es iſt, im wirtſchaftlichen Kampf ſeinen Mann zu ſtehen. Er weiß aber auch ſehr bald die wunder⸗ baren Wege zu finden, auf denen er die Wohlfahrts⸗ einrichtungen der Stadt Charlottenburg in Anſpruch nehmen kann, die der großſtädtiſche Arbeiter aus ge⸗ wiſſen Rückſichten ſelbſtverſtändlich zu beſchreiten ver⸗ meidet, und das iſt hier die Armenverwaltung. Der großſtädtiſche Arbeiter geht erſt im allerletzten Augen⸗ blick zur Armenverwaltung, um ſich dort eine Unter⸗ ſtützung zu holen; der polniſche, galiziſche, ruſſiſche Arbeiter iſt aber, ſobald er die notwendige Zeit er⸗ reicht hat, der erſte — das werden alle die Herren, die in der Armenverwaltung tätig ſind, zugeben müſſen —, der die Armenverwaltung in Anſpruch nimmt, weil er ſich nachher aus dem Wahlrecht den Teufel etwas macht. Weiter, meine Herren, wie traurig muß es um die Leute beſtellt ſein, wenn der Herr Stadtbaurat erklärt hat, ſie könnten ſich nicht einmal die notwendi⸗ gen Stiefel kaufen. Der Unternehmer, der hier in Frage kommt, hat Reichtümer durch die Stadt Char⸗ lottenburg erworben; der könnte in dieſem Fall wirk⸗ lich den paar Arbeitern die Stiefel kaufen, damit ſie im Schlamm und Schmutz ſtehen können, wenn es notwendig iſt. Und wenn er den Arbeitern für das bißchen Schlafraum, für die elende Baracke, die er