Sitzung vom 17. ſondern darum, daß wir dieſen neuen Aufbau den be⸗ ſtehenden ſozialen Einrichtungen anſchließen und ihn nach dieſer Richtung hin ergaänzen. Ich bitte Sie deshalb, den Antrag anzunehmen. Gedenken Sie der Kinder, die nicht in ſo günſtiger Lage ſind wie die unſerigen, und bereiten Sie ihnen eine Stätte, die dazu beitragen ſoll, ſie zu guten und braven Mitglie⸗ dern der Geſellſchaft zu machen. (Bravo!) Stadtv. Zander: Meine Herren! Ein altes Sprichwort ſagt bei uns in Deutſchland: wenn drei Deutſche zuſammenkommen, dann gründen ſie einen Verein. Ich möchte hinzuſetzen: wenn in die Char⸗ lottenburger Stadtverordnetenverſammlung ein ver⸗ heirateter Stadtverordneter kommt, ſo fühlt ſeine Frau die Verpflichtung, auch einen Verein zu gründen; (Heiterkeit) ſie wendet ſich an die Stadtverordnetenverſammlung und bittet ſie, das Geld dazu herzugeben. Wir haben bereits die verſchiedenſten Fälle in dieſer Art gehabt. Wenn aber jetzt zu einer Zeit, wo, wie uns geſagt worden iſt, große Schwierigkeiten vorliegen, unſern Etat zu balancieren, derartige Anträge kommen, die meiner Ueberzeugung nach vollſtändig unmotiviert ſind, ſo weiß man nicht, was man dazu ſagen ſoll. (Sehr richtigl) Was ſollen derartige Kinderleſehallen bei uns? Seit pielen Jahren beſteht hier ſchon die Einrichtung, daß für die Kinder aus den Volks⸗ und auch aus den höheren Schulen ein Zimmer zur Verfügung geſtellt iſt, wo die Kinder, die zu Hauſe nicht Gelegenheit haben zu leſen oder zu arbeiten, ſich aufhalten können; dort ſind ſie in der Lage, ihre Schularbeiten zu machen, ja ſelbſt Spiele, Herr Kollege Baumann, ſind dort vorhanden. Was ſollen nun dieſe neuen Leſe⸗ hallen eigentlich, wenn nicht irgend eine beſtimmte Perſon ihrem Affen — um mich deutſch auszudrücken — Zucker geben will? Denn etwas anderes kann man aus der ganzen Sache nicht entnehmen. Ich mag mich ja etwas ſehr draſtiſch ausdrücken; aber wohin es führen ſoll, wenn man der Familie ſchließlich jede Verantwortung abnehmen und alles einzig und allein auf die Kommune, auf die Stadt abwälzen will, das iſt eigentlich ſchwer zu verſtehen. (Sehr richtig!) Wenn die Lehrer geglaubt hätten, daß die heutigen Einrichtungen in der Familie und in der Schule nicht mehr genügten, dann, glaube ich, wären ſie von ſelbſt mit einem derartigen Antrage gekommen. Ich kann mir aber nicht denken, daß ein Pädagoge vom erzieheriſchen Geſichtspunkte aus hierin einen Vor⸗ ſchlag zur Seligkeit erblicken ſollte. Wenn nun gar Kollege Baumann damit ae⸗ ſchloſſen hat, daß er ſagte, die Kinderleſehallen ſollten dazu beitragen, die Kinder zu nützlichen Gliedern der menſchlichen Geſellſchaft zu erziehen, dann muß ich ſagen: ja, liegt denn dieſe Erziehung zu einem nützlichen Gliede der Geſellſchaft darin, daß wir Leſe⸗ hallen für Kinder von 6 bis 14 Jahren gründen und ſie dem Einfluß der Schule und des Hauſes Dezember 1913 459 entziehen? Ich würde mich nicht wundern, wenn wir — wie mir vorhin ein Kollege geſagt hat — nächſtens auch noch Leſehallen für Säuglinge unter einem Jahr einrichten! (Heiterkeit.) So kommt mir dieſer ganze Antrag vor. Ich kann ihn nicht ernſt nehmen. Denn alles das, was für unſere Jugend notwendig iſt: Spielplätze für die ärmere Jugend, die zu Hauſe nicht das Genügende finden, Räume in der Schule, um dort zu leſen, zu arbeiten, zu ſpielen, alles das iſt vorhanden, und jetzt ſollen wir nun dieſe Leſehallen einrichten, weil Berlin ſie geſchaffen hat, ohne jede nähere Begründung und ohne daß wir wiſſen, wie weit die Sache in Berlin ſchon zu einem Vorteil geführt hat und ob dadurch wirklich die Kinder zu nützlichen Gliedern der menſchlichen Geſellſchaft erzogen worden ſind! Ich bitte deshalb, beſonders auf unſere Finanzlage Rück⸗ ſicht zu nehmen und den Antrag glatt abzulehnen. (Sehr richtig! Bravo!) Antragſteller Stadtv. Baumann (Schlußwort): Der Herr Kollege Zander hat geſagt, der Antrag wäre nicht ernſt zu nehmen. Ich glaube, wenn jemand einen derartigen Vorwurf erhebt, dann ſollte er ſich doch die Mühe nehmen, ſich über dieſe Angelegenheit etwas beſſer zu informieren. Ich bin überzeugt, daß Kollege Zander noch niemals in einer Kinderleſehalle geweſen iſt. [(Stadtv. Zander: Gott ſei Dank! Heiterkeit!) — Dann reden Sie über etwas, was Sie nicht verſtehen. Vorſteher Dr Frentzel: Herr Kollege Baumann, das iſt eine unzuläſſige Kritik! (Zuruf: Er verſteht doch alles!) Stadtv. Baumann: Ich meine, worüber er ſich nicht informiert hat. Es wäre mir ein leichtes geweſen, hier die Jahresberichte einer großen Reihe von Kinderleſehallen vorzubringen. Ich habe das nicht getan, weil ich die Debatte nicht in Einzel⸗ heiten hinüberſpielen wollte, ſondern dem Ma⸗ giſtrat anhermgeben möchte, die Erwägungen über die Einrichtung zu treffen; aber ſelbſtverſtändlich bin ich auch gern bereit, Ihnen das zu unterbreiten. Ich bitte nochmals, den Antrag anzunehmen. Vorſteher Dr Frentzel: Wir kommen zur Ab⸗ ſtimmung. Ich bitte diejenigen, welche für den An⸗ trag Baumann, Otto, Bollmann uſw. ſtimmen wollen, die Hand zu erheben. (Geſchieht. — Stadtv. Zander: Ich bezweifle die Beſchlußfähigkeit des Hauſes!) — Das geht nicht mehr; wir waren ſchon in der Ab⸗ ſtimmung. (Sehr richtig!) — Das iſt die Mehrheit. Herr Kollege Zander, halten Sie Ihren Zwei⸗ fel an der Beſchlußfähigkeit aufrecht?