16 Meine Herren, ich ſagte ſchon, daß ſich über das Hausbeſitzerprivileg ſellſt, über ſeine Schädlichkeit und Ueberlebtheit wohl kaum noch etwas Neues ſagen laſſen wird, und ich verſage es mir deshalb auch, in dieſer Richtung weitere Ausführungen zu machen, es müßte denn ſein, daß ich durch die Aus⸗ führungen derjenigen Herren, die Oho riefen, als ich das Privileg für überlebt erklärte, dazu genötigt würde. Meine Herren, es gibt ja Zeiten eines allge⸗ meinen ſtürmiſchen Vorwärtsdrängens im Leben der Völker, Zeiten, in denen an einem Tage mit einer ganzen Menge von überkommenem Wuſt geſetzlicher Einrichtungen aufgeräumt wird. Es gibt auch wie⸗ der andere Zeiten, Zeiten andauernder, ſtiller, ſteti⸗ ger Fortarbeit und Entwicklung, und wir leben eben in einer ſolchen Zeit. Ich will nicht etwa ein Urteil darüber abgeben, welche von ſolchen Epochen für die Menſchheit wertvoller iſt, welche Epoche friſchere, leber svollere Kräfte zu wecken geeignet iſt. Jedenfalls will ich in keiner Weiſe die dauernde Ar⸗ beit der Entwicklung, die wir mit erleben, unter⸗ ſchätzen. Aber für ſolche Zeiten bleibt nun einmal das Goetheſche Wort wahr, daß Geſetze und Rechte ſich forterben wie eine ewige Krankheit, und ſo können ſolche alten und überlebten Dinge eben nur durch andauerndes, immer wiederholtes Dagegen⸗ anſtürmen beſeitigt werden. Nur ſteter Tropfen kann da den Stein höhlen, und wenn auch noch ſo oft ſchon die Schädlichkeit ſolcher Einrichtungen dargetan worden iſt, ſo darf man es ſich nicht verdrießen laſſen, immer wieder von neuem darauf hinzu⸗ weiſen, wenn man einige Fortſchritte auf dieſem Ge⸗ biet erreichen will. Deswegen, meine Herren, ſtellen wir immer er⸗ neut derartige Anträge, deswegen haben wir auch jetzt wieder dieſen Antrag geſtellt. Der Widerſtand, der dieſen Anträgen geleiſtet wird, man möchte ſagen: dieſer außerordentlich zähe Widerſtand, den wir bei den ſtaatlichen Behörden der Abſchaffung ſolcher Ein⸗ richtungen gegenüber finden, läßt ſich gar nicht be⸗ greifen, wenn man ihn lediglich unter dem Geſichts⸗ punkt derjenigen Dinge begreifen wollte, um die es ſich dabei handelt, ledialich unter dem Geſichtsvunkt der Intereſſen der ſtädtiſchen Verwaltung. Dieſer Widerſtand läßt ſich nur als ein Glied in der Kette derjenigen Maßnahmen verſtehen, die von den maß⸗ gebenden Kreiſen im preußiſchen Landtag und in der Regierung zur Bekämpfung der ſozialdemo⸗ kratiſchen Partei für notwendig gehalten werden. (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) MWenn es dafür noch iraendeines Beweiſes bedürfte, ſo wäre er ja durch die Tatſache geliefert, daß die preußiſche Staatsreaierung bereits im Jahre 1876 einen Entwurf zur Städteordnung vorlegte, der das Gausbeſitzerprivileg nicht mehr enthielt. Im Jahre 1876 unterſchätzte man bei der Regierung, wenn ich mich ſo ausdrücken darf, die ſozialdemokratiſche Ge⸗ fahr. Damals war die ſozialdemokratiſche Partei eben erſt in der Entwicklung begriffen. Sie beſtand zwar bereits ſeit einem halben Menſchenalter, aber ihrer Entwicklung nach befand ſie ſich doch noch in einem recht ſchwächlichen Kindesalter und erſchien den maßgebenden Kreiſen noch recht wenig gefährlich, ſo daß bei den Erwägungen über die Aenderung der Städteordnung rein ſachliche kommunalpolitiſche Ge⸗ ſichtspunkte den Ausſchlag gaben. Sitzung vom 21. Jannar 1914 Das iſt mit der Zeit anders geworden; die So⸗ zialdemokratie iſt andauernd gewachſen. Sie erſcheint den maßgebenden Kreiſen im Staate als eine außer⸗ ordentliche Gefahr, die auf alle und jede Weiſe be⸗ kämpft werden muß, (Sehr richtig! bei der Vereinigten alten Fraktion.) und nur unter dieſem Geſichtspunkt iſt der zähe Widerſtand, das zähe Feſthalten an einer ſolchen ver⸗ alteten Einrichtung zu verſtehen. Aber, meine Herren, auch diejenigen unter Ihnen, die mir eben „Sehr richtig“ zuriefen, werden ſich doch mit der Zeit darüber klar geworden ſein, daß dieſe Maßnahmen außer⸗ ordentlich kleinlich ſind, daß dieſe Art der Be⸗ kämpfung eine außerordentlich kleinliche Art der Be⸗ kämpfung darſtellt, die noch dazu das Ueble im Sinne der Bekämpfer hat, daß ſie ihren Zweck vollkommen verfehlt, daß ſie die Ausbreitung der ſozialdemo⸗ kratiſchen Gefahr auch nicht im mindeſten hindern kann. Gewiß werden wir von Ihnen nicht verlangen, daß Sie Ihre grundſätzliche Bekämpfung unſerer Partei aufgeben. Das können wir von Ihnen ſo wenig erwarten, wie Sie von uns erwarten können, daß wir nicht die Grundlagen Ihrer Anſchauungen bekämpfen. Aber was wir von Ihnen verlangen und verlangen müſſen, iſt, daß Sie die kleinliche Art der Bekämpfung aufgeben, und deswegen erwarten, ja verlangen wir von Ihnen, daß Sie nicht etwa deshalb für unſern Antrag ſtimmen, weil auch Sie ſelbſt unter dem Hausbeſitzerprivileg zu leiden haben. Meine Herren, es iſt ja nicht unbekannt, daß auch andere Parteien wie die ſozialdemokratiſche durch das Hausbeſitzerprivileg Schwierigkeiten bei der Auswahl geeigneter Kandidaten haben. (Zuruf des Stadtv. Hirſch.) — Mein Nachbar ruft mir eben zu: wir haben keine Schwierigkeiten. Er irrt ſich! (Heiterkeit.) Daß wir Schwierigkeiten haben, iſt durch die ein⸗ fache Tatſache bewieſen, daß wir am 8. Februar hier in Charlottenburg wieder Ergänzungswahlen haben werden. Hätten wir keine Schwierigkeiten, ſo würden dieſe Ergänzungswahlen nicht nötig geweſen ſein, wir würden nämlich nicht Doppelkandidaturen aufgeſtellt, ſondern in jedem einzelnen Bezirk Kandidaten no⸗ miniert haben. Derartige Schwierigkeiten machen ſich vielleicht nicht ganz ſo ſtrak — vielleicht in ſtärkerem Maße, daß weiß ich nicht — auch bei anderen Parteien geltend. Ich weiß auch nicht, wie groß die Schwierigkeiten ſind, die gerade die tüchtigſten Kräfte unter unſeren Gegnern darüber empfinden, daß ſie durch das Hausbeſitzerprivileg gezwungen ſind, in der Auswahl der Kandidaten nicht ſo frei zu ver⸗ fahren, als ſie es ſonſt könnten. Aber, meine Herren, mögen die Schwierigkeiten, die Sie haben, größer oder kleiner ſein, auch wenn ſie gar nicht vorhanden ſind, verlangen wir doch von Ihnen, daß Sie für unſern Antrag eintreten, nicht darum, um Ihre eigenen Schwierigkeiten zu be⸗ ſeitigen, ſondern um zu dokumentieren, daß Sie eine derartige kleinliche Bekämpfung der Sozialdemokratie nicht billigen und nicht mitmachen, daß Sie im Gegenteil auch Ihre Kräfte mit dafür einſetzen wollen, daß wenigſtens im kommunalen Leben Gerechtigkeit