36 Dann war für mich noch intereſſant, daß es in den Reihen der liberalen Partei eine, wenn auch ſehr verſchwindende Minderheit gibt, die den Grundſatz: „Gleiches Recht für alle“ als ihren eigenen Grundſatz erklärt mit der Interpretation, er ſoll bedeuten: je⸗ dem ein beſonderes Recht — und daß ſie aus dieſem Grunde ſich dann auch für die Aufrechterhaltung be⸗ ſonderer Privilegien erklärt. Was ſonſt angeführt worden iſt, kann, wie ge⸗ ſagt, zu einer weitgehenden Beleuchtung wirklich kaum Veranlaſſung geben; denn es ſind doch nur hergeſuchte Gründe, um zu verſchleiern — ich will mich etwas anders ausdrücken: um den Tatbeſtand nicht ganz offen und klar zugeben zu müſſen, daß der Hausbeſitzer heutzutage ein Gewerbetreibender iſt wie jeder andere Gewerbetreibende, daß daher aus der Tatſache des Hausbeſitzes irgendein beſonderes Vor⸗ recht auch gar nicht hergeleitet werden kann. Herr Kollege Neumann hat es nun anserordent⸗ lich übel genommen, daß ſein Standpunkt von dem Herrn Kollegen Hirſch ein rückſtändiger und veralteter genannt worden iſt. (Widerſpruch des Stadtv. Neumann.) Herr Kollege Neumann hat gefunden, daß das ein Auffahren maſſiven Sprechens ſei, wenn man ihn als rückſtändig bezeichnet. Nun, meine Herren, wir wer⸗ den uns ja kaum darüber reſtlos verſtändigen können. Sie ſehen auf dieſer Seite des Saales Leute, die in einer Entwicklung des demokratiſchen Bewußtſeins und der demokratiſchen Fortentwicklung die Fort⸗ entwicklung unſerer Kultur überhaupt erblicken. (Zuruf bei der Vereinigten Alten Fraktion: Leiderl) Sie ſehen auf jener Seite Leute, die in einer Weiter⸗ entwicklung demokratiſcher Einrichtungen eine außer⸗ ordentliche Gefährdung aller Kulturintereſſen er⸗ blicken. (Stadiv. Neumann: Woher wiſſen Sie das?) Wenn das aber der Fall iſt — und daß es der Fall iſt, hat ja Herr Kollege Neumann ſehr nachdrücklich betont, indem er hervorhob, daß die Rechte abgeſtuft werden müßten, nach dem Einkommen, nach dem Ver⸗ mögen —, (Widerſpruch des Stadtv. Neumann.) wenn das alſo der Fall iſt, dann werden Sie nicht erwarten können, daß wir uns über dieſen funda⸗ mentalen Gegenſatz einigen; dann können wir doch weiter nichts, als dieſen Gegenſatz klar zur Anſchau⸗ ung bringen, und Sie können es uns nicht verübeln, wenn wir der Meinung ſind, daß tatſächlich in der demokratiſchen Entwicklung die Zukunft unſeres Va⸗ terlandes liegt, daß tatſächlich die allgemeine Kultur⸗ entwicklung Hand in Hand gehen wird und Hand in Hand gehen muß mit einer weiteren demokratiſchen Ausgeſtaltung aller Einrichtungen. Alſo wenn wir von dieſem Geſichtspunkt aus die entgegenſtehende Anſchauung als rückſtändig, als überlebt, als veraltet bezeichnen, ſo werden Sie uns das nicht ſehr übel⸗ nehmen können. Höchſtens können Sie uns einen zu großen Optimismus vorwerfen, wenn wir ſagen: die gegenteilige Anſchauung iſt ſchon ganz überlebt. Denn Sie ſelbſt, meine Herren, ſind ja ſichtbare Zeugen da⸗ für, daß das in der Tat etwas zu optimiſtiſch gedacht iſt, daß tatſächlich dieſe Anſchauung ein gewiſſermaßen noch kräftiges Leben führt. Sitzung vom 4. Februar 1914 Wenn dann Herr Kollege Neumann noch den Vorwurf an Herrn Kollegen Hirſch richtet, daß Herr Kollege Hirſch geſagt hat: die Hausbeſitzer zahlen ja die Steuern nicht ſelbſt, ſondern das zahlen die Mieter, das „ahlen die anderen, das zahlt die Geſamtheit —, nun, ich glaube, darüber könnten wir uns leichter und eher verſtändigen. Solche Kindsköpfe ſind natürlich meine Parteigenoſſen auch nicht, daß ſie nicht wiſſen ſollten, daß die einzelnen Hausbeſitzer, wie das im kapitaliſtiſchen Zeitalter gar nicht anders ſein kann, in einer ſehr bedrängten Lage ſind. Denn, meine Herren, die einzelnen Hausbeſitzer — mein Gott, was ſind ſie häufig denn anders als die armſeligen Kulis des Kapitals, die alle Arbeiten der Hausverwaltung, des Hausinſtandhaltens auf ſich nehmen und dabei noch das Riſiko des Mietsausfalls tragen müſſen, während den Vorteil von dem Hausbeſitz doch nicht der im Grundbuch als Beſitzer eingetragene Mann hat, ſondern ganz andere Leute, Leute, die vielleicht an der Riviera irgendwo ihre Tage ſchön zubringen im Genuß der Grundrente, die eben dieſer Haus⸗ beſitz abwirft. Um ſo weniger aber liegt ein Anlaß vor, gerade dieſen Teil der Bevölkerung, dem es, wie ich ſage, ſo ſchlecht geht, mit beſonderen Vorrechten zu verſehen. Wenn Sie den befeſtigten Grundbeſttz oder diejenigen, die den Vorteil von dem Grundbeſitz haben, mit Vorrechten verſehen wollen, dann müßten Sie eben dem erſten Hypothekengläubiger die Vor⸗ rechte einräumen, nicht denen, die als die Grund⸗ beſitzer eingetragen ſind. Wenn alſo geſagt wird: nicht die Hausbeſitzer ſind es, die letzten Endes die Steuern zahlen —, ſo heißt das und kann das doch nur heißen, daß das Einkommen, das die Kommune in Steuern an ſich zieht, wie das Einkommen, von dem die Nation überhaupt lebt, nicht ein Einkommen iſt, das in irgendeiner Form als Mannah vom Himmel fällt, ſondern doch immer nur ein Ein⸗ kommen, das geſchaffen werden muß, das erarbeitet werden muß von den ſchaffenden, tätigen Kräften ir der Nation. Und dieſe ſchaffenden, tätigen Kräfte, das ſind nun einmal die großen arbeitenden Klaſſen der Bevölkerung, alſo vor allen Dingen die Arbeiter⸗ klaſſe und alle diejenigen Gewerbetreibenden, die eben tatſächlich ſchwer zu arbeiten haben. (Zurufe und Heiterkeit.) Dazu gehören aber nicht alle diejenigen, die auf Grund unſerer Rechts⸗ und Geſellſchaftsordnung ohne jede Mühe, ohne jede Arbeit ein Einkommen aus Rente beziehen. Meine Herren, wollen Sie leugnen, daß diejenigen, die das Einkommen aus Rente be⸗ ziehen, die allergrößten Steuerzahler ſind? Und wollen Sie weiter behaupten, daß dieſe großen Steuer⸗ zahler, die aus ihrem Einkommen an Rente die großen Steuern bezahlen, dieſes Vermögen, dieſe Rente, dieſes Einkommen nicht aus der Arbeit anderer beziehen, aus der Arbeit der ſchaffenden Stände? Ich meine, das können Sie gar nicht. Unſere Rechtsordnung liegt eben ſo, daß ſie imſtande ſind, dieſe Rente zu beziehen. (Zurufe.) — Meine Herren, der Zuſammenhang mit den Haus⸗ befitzern (Große Heiterkeit) liegt ja nun ganz offen auf der Hand. (Erneute anhaltende Heiterkeit.) „ 1