Sitzung vom 26. Februar 1914 Jahre, wenn wir vielleicht gezwungen ſind, die direk⸗ ten Steuerzuſchläge noch weiter zu erhöhen, dahin kommen, daß Sie wiederum einzelne Schichten von Gewerbetreibenden belaſten, nur um ſelbſt keine Steuern zu zahlen. (Ohol) Die Gefahr, daß wir auf dieſer Bahn immer weiter ſchreiten, iſt groß. Hier gilt es: principiis obsta! Hüte dich vor dem erſten Schritt! Wollen Sie es ver⸗ antworten, in ſo ungerechter Weiſe einen Teil unſerer Mitbürger zu belaſten und zahlloſe Exiſtenzen wirt⸗ ſchaftlich zu vernichten, nur um einiger Zehntauſend Mark willen, dann tun Sie es. Die Summe, die da⸗ durch eingeht, ſpielt in unſerem Millionenetat gar keine Rolle. Wir jedenfalls wollen und kön⸗ nen die Verantwortung dafür nicht t a gen. Deswegen werden meine Freunde geſchloſſen gegen die Steuer ſt immen. (Bravo! bei den Sozialdemokraten.) Stadtv. Zander: Ich möchte voraus bemerken, daß ich nur für einen Teil meiner Freunde ſpreche, da die Meinungen in meiner Fraktion über die Luſt⸗ barkeitsſteuer geteilt ſind. Meine Herren, den Mitgliedern des Cölner Windthorſt⸗Bundes wurde vor einigen Tagen in einem Studienzirkel die Frage vorgelegt, was Poli⸗ tik ſei. Eines der Mitglieder antwortete: „Politik iſt die Betätigung der bürgerlichen Rechte, die Teil⸗ nahme an dem Leid und Wehe des Vaterlandes vom Standpunkte einer Partei aus.“ die man im großen und ganzen eigentlich für Unſinn erklären müßte, ſcheint ſich die größte Fraktion der Stadtverordnetenverſammlung bei der Luſtbarkeits⸗ ſteuer zu eigen gemacht zu haben. Eine liberale Partei, die ſonſt in der großen Politik ſtändig auf dem Standpunkte ſteht, daß indirekte Steuern durch⸗ aus zu verwerfen ſind, kommt hier, um eine geringe Zahl zu beſteuern und um vielleicht 2% Ein⸗ kommenſteuer zu ſparen, zu dem Endreſultat, eine Kino⸗ und eine Gaſtwirtsſteuer einzuführen. (Zuruf: 2 Prozent?) — Anderthalb Prozent wird es ſogar nur aus⸗ machen. — Meine Herren, die Notſchreie, die wir in den letzten Tagen aus den verſchiedenſten Reihen der Charlottenburger Bevölkerung, von ſeiten der Kino⸗ beſitzer oder Saalbeſitzer gehört haben, und dieſe Proteſtliſte, die hier auf dem Tiſche des Hauſes liegt und von ca. 10 000 Bürgern Charlottenburgs unter⸗ ſchrieben iſt, ſollten Ihnen ſagen, wie unpopulär dieſe Steuer iſt und wie Sie an Ihrem eigenen Leibe ein⸗ mal erfahren werden, was Sie hier geſät haben. Sie alle wiſſen, wie das Gewerbe darniederliegt! Sie wiſſen, wie in den letzten Tagen durch den Konkurs des Charlottenburger Kreditvereins eine große Zahl unſerer Charlottenburger Bürger in Mitleidenſchaft gezogen iſt; wir wiſſen noch nicht, wie dies ausläuft und ob dieſem Konkurſe nicht noch viele andere nach⸗ folgen werden. Zu einer ſolchen Zeit haben Sie den Mut, eine derartig ungerechte Steuer hier der Stadt⸗ , vorzuſchlagen und ſie anzu⸗ nehmen. Dieſe Definition, 69 Wer wird von der Kino⸗ und wer von der Gaſt⸗ wirtsſteuer betroffen? Eine kleine Zahl Char⸗ lottenburger Bürger. Wenn Sie glauben, daß es dem Charlottenburger Gewerbe gut geht, dann iſt es richtig, das ganze Gewerbe durch Aufſchläge zu be⸗ ſteuern, nicht aber eine kleine Zahl herauszugreifen und dieſe kleine Zahl unglücklich und erwerbslos zu machen. Aber nicht nur diejenigen Leute, die heute Beſitzer von Gaſtwirtſchaften und Kinos ſind, treffen Sie; nein, Sie treffen auch die Angeſtellten und alle die Gewerbetreibenden in Charlottenburg, die mit dieſen Gewerbetreibenden in Verbindung ſtehen und die ihr Brot und ihre Exiſtenz von dieſen Gewerbe⸗ treibenden haben. Sie ſind aber auch kurzſichtig bei der ganzen Sache. Seit kurzer Zeit iſt es uns gelungen, ein Frem⸗ denviertel nach Charlottenburg zu bekommen. Mit dem K. d. W. in der Tauentzienſtraße fing es an, die Vergnügungslokale kamen nach. Die Fremden kamen nach Charlottenburg, ſie ſahen des Abends, wenn ſie die Vergnügungslokale beſuchten, die glän⸗ zenden Auslagen und kehrten deshalb am Tage in dieſe Gegend zurück und kauften in den Geſchäften. Durch den Ruin dieſer Geſchäfte, dieſer Kinos werden Sie es dahin bringen, daß auch die anderen Gewerbetreibenden in dem neugeſchaffenen Fremden⸗ viertel eines großen Teiles ihres Verdienſtes ver⸗ luſtig gehen werden. — Herr Kollege Jaſtrow, lachen Sie nicht! (Stadtv. Jaſt ro w: Ich habe darüber gar nicht gelacht!) Sie kennen Charlottenburg viel zu wenig, als daß Sie wiſſen, wie die Gewerbetreibenden in Char⸗ lottenburg belaſtet ſind, und um zu wiſſen, wie ſchlecht es ihnen geht. (Stadtv. Ia ſt row: Das iſt ja unerhört!) Vorſteher Dr. Frentzel (unterbrechend): Herr Kollege Zander, ich muß Sie bitten, ſich zu mäßigen und nicht einzelne Stadwerordnete in dieſer Weiſe anzugreifen. Stadtv. Zander: Er hat mich gereizt; dafür kann ich nicht. Vorſteher Dr Frentzel: Dann müſſen Sie ſich eine etwas weniger empfindliche Haut anſchaffen! Stadtv. Zander (fortfahren): Meine Herren, die Kinotheater ſind zum großen Teil in Char⸗ lottenburg dadurch entſtanden, daß die Gewerbe in Charlottenburg vollſtändig darniederliegen. Die Hausbeſitzer, die leerſtehende Läden hatten, haben mehrere Läden zu einem Kino verbunden, weil ſie glaubten, auf dieſe Art und Weiſe wenigſtens etwas aus ihren Läden herausbekommen zu können; ihnen gehören die Stühle und der Apparat. Nicht nur der Kinobeſitzer wird in Charlottenburg getroffen, ſondern auch ein großer Teil der Hausbeſitzer, die dieſe Kinos eingeführt haben, um ihre leerſtehenden Ladenlokale vermieten zu können. Ich gehe nun darauf ein, was die Saalbefitzer in Charlottenburg erübrigen. Meine Herren, jeder, der die Verhältniſſe in Charlottenburg kennt, weiß, daß wir überhaupt nur zwei einigermaßen gut⸗ gehende Säle in Charlottenburg haben. Ich will die Namen nicht nennen; die Herren, die Charlottenburg