Sitzung vom 11. März 1914 beſchäftigt werden, um die Not in weitgehendſtem Maße zu mildern, um ſoviel wie möglich Familien an dem Verdienſt beteiligen zu können. Der Arbeits⸗ nachweis ſtellt ſich alſo auf den Standpunkt, man ſolle möglichſt Arbeiter mit einem Stundenlohn von 40 Pf. — das iſt der Betrag, den unſere Arbeiter ſonſt be⸗ kommen — und Mindererwerbsfähige für einen noch geringeren Lohn beſchäftigen, ſo können die bewilligten Mittel am zweckmäßigſten verwendet werden; für 85 Pf. pro Stunde, die ein Steinſetzgeſelle verlangt, können ſchon zwei Arbeiter die Stunde mit 40 Pf. beſchäftigt werden. Hiernach waren wir alſo gar nicht in der Lage, den Steinſetzern mehr zu bewilligen, als nach unſeren Beſtimmungen und nach dieſen Erwägungen zu⸗ läſſig war. Wir waren gezwungen, da wir für den Lohn von 58 Pf. die Stunde Steinſetzer nicht bekamen, von den Arbeiten Abſtand zu nehmen, und haben dafür auf dem Gebiete des Straßenbaues andere Arbeiten vorneh⸗ men laſſen, bei denen wir keine Steinſetzgeſellen zu beſchäftigen genötigt waren. Nun, meine Herren, war die von dem Herrn Stadtv. Scharnberg erwähnte Kommiſſion bei mir. Ich habe den Herren das, was ich Ihnen hier aus⸗ einandergeſetzt habe, mitgeteilt, und daß wir den ver⸗ langten Lohn von 85 Pf. die Stunde nicht bewilligen könnten. Ich glaube in der Unterredung bemerkt zu haben, daß die Leute unſere Gründe anerkannten. Ich habe daran außerdem noch die Frage geknüpft: kann man wohl einen Arbeitsloſen, wenn er auch be⸗ ruflich vorgebildet iſt, notleidend nennen, wenn er es ablehnt, für 58 Pf. die Stunde zu arbeiten? Welcher Grund auch vorgelegen haben mag, und ob man ihn als berechtigt anerkennt oder nicht — zurzeit der Rückſprache waren nämlich, was mir bis dahin noch nicht bekannt war, die Arbeiter in eine Lohnbewegung eingetreten —, jedenfalls erſcheint es berechtigt, die Frage aufzuwerfen, ob ein Arbeiter, der einen Stun⸗ denlohn von 58 Pf. ablehnt, noch notleidend zu nennen iſt. Meine Herren, die Beantwortung der Frage über⸗ laſſe ich Ihnen. (Auf Antrag des Stadtv. Hirſch, der genü⸗ gend unterſtützt wird, erfolgt die Beſprechung der Anfrage.) Stadtv. Hirſch: Meine Herren! Ich muß den Anſchauungen des Herrn Stadtbaurats durchaus widerſprechen. Wenn der Herr Stadtbaurat gefragt hat, ob man einen Arbeiter, der es ablehnt, für 58 Pf. die Stunde zu arbeiten, noch notleidend nennen kann, ſo hat er, glaube ich, die Frage vollſtändig falſch ge⸗ ſtellt. Es handelt ſich um gelernte Arbeiter, die ge⸗ wohnt ſind, auf Grund eines Tarifvertrages und nur zu den tariflich vereinbarten Löhnen zu arbeiten. Wenn ſolche Arbeiter zufällig arbeitslos werden und in Not geraten, dann ſollen ſie doch trotz ihrer Not⸗ lage nicht zu Lohndrückern werden. Das aber hat der Herr Stadtbaurat ihnen zugemutet. Es iſt nichts weiter als Lohndrückerei, wenn er verlangt, daß die Arbeiter die Arbeiten, die ſonſt nach dem Tarif mit 85 Pf. die Stunde bezahlt werden, für 58 Pf. die Stunde leiſten ſollen. Das iſt ja gerade das Gute der Tarifverträge, daß die Arbeiter auch in Zeiten niedergehender Konjunktur, ſolange Tarifverträge be⸗ ſtehen, nicht gezwungen werden ſollen, unter dem Ta⸗ riflohn zu arbeiten. Nehmen Sie einmal an, es han⸗ delt ſich nicht um die Stadt, ſondern um die Privatin⸗ 125 duſtrie, nicht um Steinſetzer, ſondern vielleicht um Maurer. Im vorigen Jahre war ja die Arbeitsloſig⸗ keit im Baugewerbe ganz koloſſal. Aber glauben Sie, es wäre Ihnen möglich geweſen, auch nur einen ein⸗ zigen organiſierten Maurer zu bekommen, der geſagt hätte: ich leide not, und deshalb bin ich bereit, zur Hälfte des Tariflohnes zu arbeiten? Ich glaube, Sie ſelbſt würden das auch nicht tun. Sie werden auch von Ihren eigenen Berufskollegen nicht verlan⸗ gen, daß ſie, wenn ſie zufällig einmal ſich in vor⸗ übergehender Notlage befinden, zu jedem beliebigen Preiſe arbeiten, daß ſie ihre Arbeitskraft nicht zu dem Preiſe verkaufen, den ſie wirklich wert iſt, ſondern weit unter dem Preiſe. Sie würden das ſicherlich bei Ihren Berufskollegen verurteilen, und ich meine, mit dem⸗ ſelben Recht müßten Sie auch verpflichtet ſein, ein ſolches Vorgehen bei Arbeitern zu verurteilen. Ich halte es überhaupt für unangebracht und für ſozialpolitiſch ganz falſch, wenn man in der Zeit der Arbeitsloſigkeit gelernten Arbeitern für nicht eigentliche Notſtandsarbeiten einen geringeren Lohn anbietet. Aus den Ausführungen des Herrn Stadtbaurats geht ja hervor, daß es ſich nicht um Notſtandsarbeiten im eigentlichen Sinne des Wortes handelt. Er ſagt, wenn ich richtig verſtanden habe: es haben zwei verſchiedene Arbeiten vorgelegen, einmal ſolche, die vorweg ge⸗ nommen ſind, die, ſtatt im Sommer verrichtet zu wer⸗ den, in den Winter verlegt wurden, und zweitens eigentliche Notſtandsarbeiten. Zu den eigentlichen Notſtandsarbeiten, meint er, hätte die Verſchönerung von Bürgerſteigen gehört. Die Arbeit, die den Stein⸗ ſetzern zugemutet wurde, war doch nicht die Verſchöne⸗ rung von Bürgerſteigen lediglich des Vergnügens we⸗ gen, damit die Bürger Charlottenburgs etwas ſchönere Bürgerſteige haben, ſondern es war tatſächlich not⸗ wendige Arbeit; es war eine Arbeit, zu der, wie der Herr Stadtbaurat ſelbſt ſagte, gelernte Steinſetzer her⸗ angezogen werden mußten. Aber ſelbſt wenn es eine Notſtandsarbeit geweſen wäre, ſo ſteht doch feſt, daß man auf dem Arbeitsnachweis ausdrücklich gelernte Steinſetzer verlangt hat. Es ſind auch gelernte Stein⸗ ſetzer geſchickt worden. Sie haben kein Recht, den ge⸗ lernten Steinſetzern weniger Lohn anzubieten, als ihnen tariflich zuſteht. Nun meint der Herr Stadtbaurat: ja, die ſtädti⸗ ſchen Arbeiter würden nach einer beſtimmten Skala entlohnt, und die Arbeitskräfte, die vorübergehend an⸗ genommen werden, könnten doch nicht mehr Lohn be⸗ kommen als die ſtädtiſchen Arbeiter. Sie vergeſſen eins dabei ganz. Unſere ſtädtiſchen Arbeiter ſind aller⸗ dings nach einer beſtimmten Skala angeſtellt, ſie fan⸗ gen mit einem Anfangslohn von 125 ℳ pro Monat an. Aber Sie würden doch nun und nimmermehr Ar⸗ beitskräfte finden, die ſich mit einem Anfangslohn von 125 %ℳ beſcheiden, wenn ihnen nicht die Ausſicht winkte, als ſtändige Arbeiter angeſtellt zu werden! Gerade weil ſie ſtändige Arbeiter ſind, weil ſie nicht fortgeſetzt mit der Arbeitsloſigkeit zu rechnen haben, darum iſt es Ihnen möglich, die Arbeiter für nur 125 Mark Monatslohn zu bekommen. Etwas ganz an⸗ deres iſt es, wenn Sie vorübergehend einige Arbeiter zu irgendwelchen Arbeiten gebrauchen. Der Beſchluß, auf den ſich der Herr Stadtbaurat bezieht, betrifft ja auch nicht die Arbeiter, die ſtundenweiſe beſchäftigt werden, ſondern der Beſchluß bezieht ſich auf Arbeiter, die, wenn auch nicht als ſtändige Arbeiter, ſo doch zu einer beſtimmten Dienſtleiſtung für abſehbare Zeit ein⸗ geſtellt werden, meinethalben für einen Monat oder für ein Jahr, jedenfalls nicht auf Arbeiter, die nach