Sitzung vom 11. März 1914 — Jawohl, ſo hat der Kollege Scharnberg zuerſt geſagt. Weiter, meine Herren, liegt in der ganzen Ten⸗ denz der Ausführungen der Herren von der ſozial⸗ demokratiſchen Fraktion meines Erachtens eine Ueberſpannung des Tarifgedankens. Ich bin immer ein warmer Freund des Tarifgedan⸗ kens geweſen und bin es noch. Man tut aber der Idee von Tarifverträgen nichts Gutes, wenn man eine Ueberſpannung dadurch herbeizuführen ſucht, daß man auch bei Notſtandsarbeiten verlangt, daß in dieſen Fällen die Löhne nach dem Tarif gezahlt werden. Ich habe abſichtlich das hier ausgeführt, weil ich der Urheber dieſer beſonderen Arbeiten, die hier ver⸗ anlaßt worden ſind, geweſen bin. Ich habe mich daher für verpflichtet gehalten, darauf einzugehen. Ich glaube, es iſt auch nötig, jene Auffaſſung der Herren von der äußerſten Linken hier zurückzuweiſen. Bürgermeiſter D. Maier: Meine Herren! Ich glaube, tatſächlich beſteht weder zwiſchen dem Ma⸗ giſtrat und den Ausführungen des Herrn Stadtw. Hirſch noch zwiſchen den Ausführungen des Herrn Stadtv. Hirſch und denen des Herrn Stadtv. Stadt⸗ hagen irgendein Unterſchied. (Stadtv. Hir ſch: Was?!) Der Stadtv. Dr Stadthagen hat genau ſo wie der Stadtv. Hirſch geſagt, daß reine Notſtandsarbeiten natürlich nicht nach Tariflöhnen entlohnt werden können. Etwas anderes hat auch Herr Stadtv. Hirſch nicht geſagt. (Stadtv. Hir ſch: Doch!) Das iſt der Standpunkt, den wir im Magiſtrat ver⸗ treten. Wir behaupten: es iſt eine Notſtandsarbeit. Der Stadtv. Hirſch beſtreitet es. Da wir auf dem Standpunkt ſtehen: es war eine Notſtandsarbeit —, ſo kann natürlich gar keine andere Konſequenz ge⸗ zogen werden als die, die wir gezogen haben und die der Herr Stadtw. Dr Stadthagen ausdrücklich gebilligt hat. Ich wiederhole, meine Herren, die ganze Sache entbehrt jeder prinzipiellen Bedeutung. Es hat deshalb doch wirklich keinen Zweck, daß wir im Plenum der Stadtverordnetenverſammlung die tat⸗ ſächlich erledigte Frage, ob die Arbeiten Notſtands⸗ arbeiten waren, zu beantworten verſuchen. (Sehr richtig! und Bravo!) Stadtv. Wöllmer: Meine Herren, auch nur einige Worte! Wir haben früher unter Notſtandsar⸗ beiten nur diejenigen Arbeiten verſtanden, die ſich lediglich auf das Reinigen von Straßen bezogen, die ſonſt nicht gereinigt werden, oder auf das Um⸗ graben von Kompoſthaufen, alſo Arbeiten, die nicht unbedingt notwendig waren. Der Kernpunkt der Frage iſt, wie ganz richtig ausgeführt wurde: gelten dieſe Pflaſterarbeiten auch als Notſtandsarbeit oder nicht. Der Magiſtrat erklärt ſie für eine Notſtands⸗ arbeit, d. h. für eine Arbeit, die nicht unbedingt nötig war. Wenn nun aber ein ſtarker Widerſpruch aus denjenigen Reihen unſerer Verſammlung ent⸗ ſteht, die behaupten, in erſter Linie die Arbeiter zu vertreten, dann muß der Magiſtrat freilich die Frage von neuem prüfen: ſollen wir auch andere handelt. 127 Arbeiten, die wir bisher nicht als Notſtandsarbeiten betrachtet haben, zu Notſtandsarbeiten ſtempeln. Das kommt allerdings darauf hinaus — inſofern muß ich dem Herrn Stadw. Dr Stadthagen recht geben — daß dann ein gewiſſes geringeres Maß von Arbeit den Arbeitsloſen zur Verfügung ſteht. Das würde auch ich im Intereſſe der Arbeitsloſen bedauern. Darin gebe ich dem Herrn Bürgermeiſter jedoch unbedingt 0 um eine Tariffrage handelt es ſich hier gar nicht. Stadtv. Hirſch: Meine Herren! Es handelt ſich doch um eine Tariffrage. Wir haben nicht einfach die Frage zu unterſuchen, ob die Arbeiten, die ver⸗ langt wurden, reine Notſtandsarbeiten waren oder nicht, ſondern nach dem Gange, den die Debatte ge⸗ nommen hat, haben wir uns auch zu fragen, ob nicht doch der Fall vorliegt, daß von irgendeiner Seite, vielleicht aus Mißverſtändnis — ich will das dem Herrn Bürgermeiſter zugeben , den Arbeitern verſchwiegen iſt, daß es ſich um Notſtandsarbeiten Die Tatſache iſt nicht beſtritten, kann auch nicht beſtritten werden, daß von dem ſtädtiſchen Ar⸗ beitsnachweiſe 10 gelernte Steinſetzer verlangt wur⸗ den. Dem ſtädtiſchen Arbeitsnachweis iſt nicht ge⸗ ſagt worden: ſchickt uns 10 Arbeiter zur Verrichtung von Notſtandsarheiten. Wäre das geſagt worden und wären dann 10 beliebige Arbeiter geſchickt worden, dann hätten wir nicht nötig, uns heute über die Sache zu unterhalten. Es iſt aber tatſächlich — ich weiß nicht, woher das Mißverſtändnis rührt — dem ſtädtiſchen Arbeitsnachweis, wie der Herr Stadtbaurat zugegeben hat, geſagt worden: ſchickt uns 10 gelernte Stein⸗ ſetzer. Nun iſt es doch ganz ſelbſtverſtändlich, daß, wenn 10 gelernte Arbeiter verlangt werden, die Ar⸗ beiter auch den tarifmäßigen Lohn beanſpruchen. Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Es iſt mir unbegreiflich, wie der Herr Kollege Stadt⸗ hagen ſich hier hinſtellen und dagegen proteſtieren kann, daß wir ſagen: man darf einem Arbeiter nicht zumuten, für 58 § die Srunde zu arbeiten. Stadtv. Dr Stadthagen: Einem Arbeits⸗ loſen, der Notſtandsarbeit leiſtet!) — Herr Kollege Stadthagen, jawohl, auch einem Arbeitsloſen. Wenn Arbeiter in Betracht kommen, die einem Berufe angehören, wo der tarifmäßige Lohn 30 oder 45 § die Stunde beträgt, dann iſt es natürlich keine Zumutung, wenn man ihnen 58 „5 bietet. Wenn es ſich aber um Arbeiter han⸗ delt, die einen Tariflohn von 85 § zu verlangen haben, dann iſt es eine ſehr ſtarke Zumutung, ihnen 58 „§ anzubieten. Der Herr Stadtv. Dr. Stadt⸗ hagen ruft mir zu: das waren Arbeitsloſe. Meine Herren, arbeitslos ſind die Arbeiter immer, die vom Arbeitsnachweis geſchickt werden. Die Arbeiter, die in Arbeit ſtehen, melden ſich nicht beim Arbeitsnach⸗ weis. Die Konſequenz der Anſchauung des Herrn Kollegen Stadthagen wäre die, daß jeder Arbeiter jede ihm angebotene Arbeit zu jedem beliebigen Lohne annehmen muß. Und da ſagt der Herr Bürgermeiſter, es beſtehe zwiſchen der Anſchauung des Kollegen Stadthagen und mir kein Unterſchied! Herr Bürgermeiſter, ich nehme nicht an, daß Sie mich beleidigen wollen; (Heiterkeit)