Sitzung vom 8. April 1914 Kleiſtſtraße geſpart ſind. Das iſt insgeſamt eine Summe von 210 000 ℳ, zu der die Stadt nicht einen Pfennig zuzuſchießen braucht und wofür man ſehr Er⸗ kleckliches auf dem Wittenbergplatz leiſten kann. Wir haben vor Jahresfriſt allerdings erklärt, daß der Wittenbergplatzmarkt ſo lange erhalten werden möchte, bis ein anderer Platz gefunden iſt. Aber ein anderer Platz konnte nicht gefunden werden; das iſt weder dem Magiſtrat noch dem Kollegen Bergmann noch mir gelungen. Ich möchte heute nicht alles wiederholen, was ſeit Jahren für und gegen die Wochenmärkte geſagt worden iſt, ſondern ich werde mich ſtrikte an die Magiſtratsvorlage halten. Da iſt ausgeführt, daß im Intereſſe des Verkehrs der Markt unter allen Um⸗ ſtänden beſeitigt werden müſſe. Es iſt darauf hinge⸗ wieſen, daß bereits jetzt der Verkehr auf dem Unter⸗ grundbahnhof Wittenbergplatz der drittgrößte von allen Untergrundbahnhöfen Berlins iſt, und man kann wohl annehmen, daß der Verkehr, nachdem die neue Linie im Oktober eröffnet worden iſt, bereits in dieſem Jahre an die zweite Stelle rücken wird. Daß bei dieſer fürchterlichen Verkehrsbedrängnis ein Wochenmarkt da nicht mehr ſtattfinden kann, können wir zweimal in der Woche beobachten. Es iſt ge⸗ radezu als ein Wunder zu betrachten, daß bisher nicht größere Unglücksfälle vorgekommen ſind. Tatſächlich können die Anwohner nur mit Schwierigkeiten in ihre Häuſer hinein; ſie können nicht vorfahren, ſondern müſſen an der Kleiſtſtraße ausſteigen und ſehen, wie ſie durch alle die Schlächterwagen hindurchkommen. Ferner unterſchreibe ich ganz, was in der Vor⸗ lage über die polizeiliche Feſtſtellung der Preiſe ge⸗ ſagt iſt. Daß die Preiſe auf dem Wittenbergplatz hoch find, ſagen die Standinhaber ſelber. Ich habe wiederholt gehört, daß ſich die Hausfrauen beſchwert haben, daß ihnen die Standinhaber dieſelben Preiſe abnehmen wie die Ladeninhaber. Die Standinhaber haben dann darauf geantwortet: ja, in dieſer Gegend, — d. h. auf dem Wittenbergplatz — können wir dieſe Preiſe nehmen; wenn Sie billig kaufen wollen, müſſen Sie auf dem Winterfeldplatz kaufen, da ſind wir Mittwochs und Sonnabends. Nun handelt es ſich gar nicht darum, alle Wochen⸗ märkte zu beſeitigen; die Hausfrau hat noch mehrere andere Märkte in Charlottenburg, auf denen ſie kaufen kann; ſie hat auch den Winterfeldplatzmarkt in Schöne⸗ berg, wo dieſelben Händler billiger verkaufen, und der kleine Weg dorthin wird ſich lohnen, wenn die Haus⸗ frau ſieht, daß ſie tatſächlich billiger einkauft. (Sehr richtig!) Meine Herren, es wäre ein großer Nachteil, wenn wir heute dieſe Vorlage nicht annehmen würden. Daß wir 160 000 ℳ von der Untergrundbahngeſell⸗ ſchaft bekommen, um dieſe Gegend auszugeſtalten und einen neuen Anziehungspunkt und ein neues Werbe⸗ mittel für den Oſten zu ſchaffen, der das doch ſo nötig hat, das iſt doch ein ſolcher Vorteil, daß es un⸗ begreiflich wäre, wenn man einfach darüber hinweg⸗ ginge. Was ſoll dann mit den 160 000 ℳV werden? Wenn wir den Platz nicht ausſchmücken, wird die Untergrundbahn die Summe behalten, und daß wir mit dem zur Verfügung ſtehenden Gelde den Platz würdig ausſchmücken können, iſt wohl klar. Wie bedeutend die Abwanderung aus dem Oſten der Stadt iſt und wie gefährlich das für die Folge ſein wird, dafür ein klaſſiſches Beiſpiel! Ich habe 145 bereits vor drei Jahren, als die Untergrundbahn nach Schöneberg geführt wurde, darauf hingewieſen, welche große Abwanderung ſteuerkräftiger Leute von Char⸗ lottenburg nach Schöneberg ſtattfindet, und ſeit dem Oktober dieſes Jahres, ſeit die Untergrundbahn nach den ſchönen Plätzen Wilmersdorfs, nach dieſen neuen Stadtwvierteln geführt iſt, iſt die Sache geradezu akut geworden. Meine Herren, wir haben am 29. Oktober v. I. auf dem Amtsgericht in Charlottenburg die Ge⸗ ſchworenen und Schöffen ausgewählt. Die Geſchwore⸗ nen und Schöffen für Charlottenburg werden be⸗ kanntlich gemeinſam mit denjenigen für Wilmersdorf und die Kolonie Grunewald ausgewählt. Ich rufe die Kollegen Ruß, Weiſe und Klick, die dabei zugegen waren, als Zeugen dafür auf, daß, als wir die Ge⸗ ſchworenen aus dem Oſten auswählten, durchſchnitt⸗ lich bei jedem fünften Namen ſtand: verzogen nach Wilmersdorf. Die Sache war ſo eklatant und frap⸗ pant, daß der amtierende Amtsgerichtsrat Meyer zu dem Bürgermeiſter Peters von Wilmersdorf ſagte: Herr Bürgermeiſter, dieſe Liſte iſt die beſte Reklame für Ihre Stadt, es zieht alles vom Oſten Charlotten⸗ burgs nach Wilmersdorf. (Zuruf.) — Natürlich iſt der Markt nicht daran ſchuld; das will ich auch nicht ſagen, ſondern die veralteten Häuſer, die heute ihre Exiſtenz nicht mehr finden. Meine Herren, wenn Sie durch die Kurfürſtenſtraße, durch die Bayreuther⸗, Ansbacher⸗, Nettelbeckſtraße uſw. gehen, ſo finden Sie überall leerſtehende Wohnungen und leerſtehende Läden. Aber wenn ein ſolcher An⸗ ziehungspunkt, eine ſolche Werbekraft durch den neu⸗ geſtalteten Wittenbergplatz geſchaffen wird, iſt es klar, daß zuerſt die alten Häuſer am Platz fallen und dort repräſentable Gebäude hinkommen werden, daß dieſer Prozeß dann weitere Kreiſe ziehen wird, daß die Hausbeſitzer wieder Mut faſſen, ihre alten Häuſer zu moderniſteren und umzubauen, ſo daß ſich dann wieder eine ſteuerkräftige Bevölkerung, wie ſie heute fortzieht, im Oſten anſiedeln wird. Es wäre das ein ähnlicher Vorgang, wie er ſich am Lützowplatz abgeſpielt hat. Sie werden ſich er⸗ innern, daß der Lützowplatz vor 20 Jahren eine Ab⸗ ladeſtätte für Möbelwagen und Gerümpel war; es wohnte dort eine mittlere Bevölkerung. Seitdem der Platz die jetzige Geſtalt angenommen hat, ſind nicht nur in der engeren, ſondern auch in der weiteren Umgebung, bis jenſeits des Kanals, viele neue Häuſer gebaut worden, und es ſind dort Gebäude erſtanden, in denen das Zimmer mit 1000 ℳ bezahlt wird. Man kann ſich danach denken, welche ſteuerkräftige Be⸗ völkerung dort hingezogen iſt. Alſo was ein An⸗ ziehungspunkt bedeutet, das ſehen wir gerade an der Entwicklung des Lützowplatzes. Wollen wir aber den Markt auf dem Witten⸗ bergplatz erhalten und auf den Anziehungspunkt dort verzichten, dann müſſen wir uns darüber klar ſein, daß der ganze Oſten einer Entvölkerung entgegen⸗ geht. Es ſtehen hier ſo enorme Werte auf dem Spiele, daß die Umſätze auf dem Wittenbergplatzmarkt dem gegenüber gar nicht in Frage kommen. Die Um⸗ ſätze auf dem Wittenbergplatzmarkt betragen nicht 10 Millionen, wie Herr Kollege Bergmann im Etat⸗ ausſchuß geſagt hat, ſondern ſie gehen nicht über 2 Millionen im Jahre hinaus, wie ich feſtgeſtellt habe. Es werden dort an guten Tagen, beiſpielsweiſe vor