151 deren Automobile die Waren bis in die entlegenſten Dörfer hineinbringen. Alſo der Landmann braucht nicht mehr zur Stadt zu fahren, wie das früher der Fall war. Ich möchte ferner darauf hinweiſen, daß in den letzten Wochen in verſchiedenen kleinen Städten Verſammlungen von Detailliſten und Inha⸗ bern von Handelsfirmen ſtattgefunden haben, die ſich für die völlige Sonntagsruhe ausgeſprochen haben. Meine Herren, ich bin alſo der Meinung, daß wir der hier vorliegenden Frage doch näher treten ſollten, und ſoweit das Gebiet Groß⸗Berlins in Frage kommt, werden Sie alle mit mir der Anſicht ſein, daß hier durch eine völlige Sonntagsruhe in keiner Weiſe eine Schädigung herbeigeführt werden würde. Das gebe ich allerdings zu: ſchreien wird man, wie man ja bisher immer geſchrien hat, wenn die Frage der Sonntagsruhe überhaupt nur berührt wurde. Es hat ſich aber doch herausgeſtellt, daß, als die Sonntagsruhe eingeführt war, dieſes Schreien nach ganz kurzer Zeit nachgelaſſen hat, und wir haben uns alle an die Sonntagsruhe gewöhnt. Auch ſelbſt der davon zunächſt berührte Geſchäftsinhaber iſt ganz froh, wenn er Sonntags frei hat, da er ſieht, daß die Einnahmen im Vergleich zu ſeinen Unkoſten oft ſo gering ſind, daß ein Ausgleich in dieſer Be⸗ ziehung durchaus nicht vorhanden iſt. Ich bin daher der Meinung, daß wir dieſe Petition nicht einfach ad acta legen, ſondern ſie vielmehr dem Magiſtrat zur Berückſichtigung überweiſen ſollten. Wenn hier angeführt worden iſt, daß dieſe Pe⸗ tition von 300 000 Mitgliedern der betreffenden Ver⸗ bände eingereicht worden iſt, ſo will ich darauf hin⸗ weiſen, daß ſich im vergangenen Jahre auch der Ge⸗ werkſchaftskongreß Deutſchlands, auf dem über 3 Mil⸗ lionen Arbeitnehmer vertreten waren, für die völlige Sonntagsruhe ausgeſprochen hat. Ferner will ich bemerken, daß ſich der Volkswirtſchaftler Herr Dr Heyde ebenſo wie Herr Dr Lepmann im Sinne einer vollſtändigen Sonntags⸗ ruhe geäußert haben und auch auf dem Standpunkt ſtehen, daß eine wirtſchaftliche Schädi⸗ gung nicht vorhanden iſt und auch nicht vorhanden ſein kann; allerdings meinen ſie, daß ſich das erſt alles langſam entwickeln wird. Ferner haben ſich 40 000 Ladeninhaber auch mit dieſer Frage beſchäf⸗ tigt und ſich gleichfalls dahin ausgeſprochen, daß eine völlige Sonntagsruhe wohl möglich ſei. Wenn wir aber die Sonntagsruhe bekommen ſollten, die bis jetzt noch im Schoße der Reichstagskommiſſion ſchlummert, dann werden wir wohl wieder dieſelben Zuſtände haben, wie ſie überhaupt vor der Sonn⸗ tagsruhe beſtanden, daß hinter verſchloſſenen Läden uſw. gearbeitet wird. Wir haben das auch hier in Charlottenburg feſtſtellen können und auch heute noch feſtſtellen müſſen, daß jugendliche Arbeiter an Sonn⸗ tagen kis nachts um 12 Uhr beſchäftigt worden ſind. Als man deswegen Anzeige erſtattet hat, hat die Po⸗ lizeibehörde erklärt, daß ſie machtlos ſei. Ich er⸗ innere Sie an die großen Warenhäuſer von Wert⸗ heim und Tietz, in denen um die Weihnachtszeit herum bis nachts um 12 Uhr gearbeitet wird. Meine Herren, wenn die Sonntagsruhe ſo aus⸗ genutzt wird, dann iſt es keine Sonntagsruhe mehr. Wir ſtehen deshalb auf dem Standpunkt, daß man entweder eine völlige Sonntagsruhe ſchafft oder das Flickwerk, wie wir es heute haben und wie es die Reichstagskommiſſion wünſcht, beſeitigt wird. Ich möchte Sie alſo bitten, die Petition dem Magiſtrat zur Berückſichtigung zu überweiſen. Sitzung vom 8. April 1914 Stadtv. Dr Stadthagen: Meine Herren! Ich ſehe mich genötigt, doch einiges klarzuſtellen, was über die Verhandlungen im Petitionsausſchuß ge⸗ ſagt worden iſt. Herr Kollege Imberg ſprach davon, daß ſich die Petition in zwei Teile ſchiede und daß der erſte Teil im Petitionsausſchuß allgemeine Zuſtimmung gefunden hätte. Das könnte zu Mißverſtändniſſen Anlaß ge⸗ ben. Der erſte Teil, den Herr Kollege Imberg als ſolchen bezeichnet hat, iſt gewiſſermaßen eine Begrün⸗ dung der Petenten für ihren Schlußantrag. Ueber Begründungen kann man ja debattieren; wir haben aber eigentlich im Petitionsausſchuß über dieſe Be⸗ gründung nicht viel geſprochen oder, wie ich glaube, ſogar gar nicht, ſondern Herr Kollege Imberg hat darüber nur Mitteilungen gemacht. Wir haben dann, als wir zu dem ſogenannten zweiten Teil, d. h. zu dem eigentlichen Antrag der Petition kamen, geſagt, daß der Antrag der Petenten, wir ſollten verlangen, daß dieſe Angelegenheit einheitlich für das ganze Reich geregelt werde, über den Rahmen einer ſtädtiſchen Ver⸗ handlung hinausgehe. Dieſe Auffaſſung fand im Pe⸗ titionsausſchuß allgemeine Zuſtimmung. Ueber die einzelnen Punkte in der Begründung der Petenten haben wir nicht viel debattiert, wir haben darüber auch nicht abgeſtimmt. Abzuſtimmen war lediglich über den Antrag der Petition, der dahin geht: „Das Kollegium möge ſich in einer der näch⸗ ſten Sitzungen mit dieſer für das ganze deutſche Volk ſo wichtigen Angelegenheit befaſſen und ge⸗ genüber dem Reichstag und der Reichsregierung den Standpunkt zum Ausdruck bringen, daß die Stadtverwaltung mit der von der Kommiſſion beſchloſſenen verſchiedenartigen Behandlung größerer und kleinerer Gemeinden nicht einver⸗ ſtanden iſt, vielmehr die grundſätzliche Anerken⸗ nung der völligen Sonntagsruhe — mit Aus⸗ nahmen für die Bedürfnisgewerbe — einheitlich für das ganze Reich verlangt. Soweit darüber hinaus noch ein Bedürfnis nach Ausnahmen vorliegt, ſoll dies durch eine Zweidrittelmehrheit der beteiligten Geſchäftsinhaber nachgewieſen werden.“ Meine Herren, das ſind Fragen, die meines Erachtens — ich habe dem auch im Ausſchuß Ausdruck gegeben — in einer Stadtverordnetenverſammlung nicht für das ganze Deutſche Reich gelöſt werden können. Sehr gut!) Meine Herren, ich will auf die Materie weiter nicht eingehen — die Anſichten darüber ſind ja ſelbſt⸗ verſtändlich unter den Angeſtellten, auch unter den Ge⸗ ſchäftsinhabern ebenſo wie im großen Publikum ſehr verſchieden —, weil dieſe Petition, die Stadtverwal⸗ tung möge verlangen, daß dieſe Materie eine einheit⸗ liche Regelung für das ganze Reich erfährt, doch etwas zu weit geht. Wir haben daher im Petitions⸗ ausſchuß mit großer Mehrheit den Antrag angenom⸗ 0 über die Petition zur Tagesordnung überzu⸗ gehen. Nun liegen hier zwei Anträge vor; der eine, von der liberalen Fraktion geſtellt, lautet dahin, die Pe⸗ tition als Material zu überweiſen; von der ſozial⸗ demokratiſchen Fraktion iſt demgegenüber der Antrag geſtellt worden, dieſe Petition dem Magiſtrat zur Be⸗ rückſichtigung zu überweiſen. Dem letzteren Antrag kann ich unter keinen Umſtänden zuſtimmen; dem erſten Antrag zuzuſtimmen, würde ja inſofern gehen, als in der Ueberweiſung als Material eine Stellung⸗ 2