Sitzung vom 22. April 1914 Der Beſuch mag geſtern etwas über 3000 Perſonen betragen haben, er iſt an den beſten Markttagen nicht über 4000 Perſonen hinausgeſtiegen. Frau Anna Jaſtrow hat aber in der Preſſe erklärt: 14 000 bis 21 000 Perſonen beſuchen die Markttage am Witten⸗ bergplatz. Wenn mit ſolchen Uebertreibungen gear⸗ beitet wird, dann richtet ſich das von ſelbſt. Dann ſind uns noch am Sonntag drei Briefe — wohl einem jeden von Ihnen auch — zugeſtellt worden. Nach Papier, nach Kuvert, nach dem Typ der Schreibmaſchine, nach der Art und Weiſe, wie bald geſperrt, bald eng gedruckt iſt, ſind dieſe Briefe in der⸗ ſelben Fabrik entſtanden. Der eine iſt unterzeichnet: die Hausfrauen der Umgebung des Wittenbergplatzes; die erklären, der Markt müſſe unbedingt erhalten bleiben. Der andere Brief iſt unterſchrieben: die hohen Beamten der Stadt Charlottenburg. (Heiterkeit.) Die „hohen Beamten“ erklären, daß unnötige Dinge wie gärtneriſche Anlagen auf dem Wittenberavlatz keinen Platz finden können. Und der dritte Brief iſt unterſchrieben: die Bürger der Stadt Charlottenburg. Da heißt es wieder: der Markt muß erhalten bleiben. Ich kann wohl das Urteil über ſolche Machenſchaften Ihnen ruhig überlaſſen. Ich habe mich hiermit des Auftrages entledigt, den mir der Ausſchuß gegeben hat. Ich beantrage die Annahme der Magiſtratsvorlage vorbehaltlich des An⸗ trags, den ich mir noch zu ſtellen vorgenommen habe, falls die Erklärung des Magiſtrats bezüglich der 160 000 ℳ[ keine reſtloſe ſein ſollte. Stadtv. Bergmann: Meine Herren! Die große Mehrheit meiner Freunde ſteht auf dem Standtpunkt, daß der Markt auf dem Wittenbergplatz mindeſtens ſo lange beſtehen bleiben muß, bis triftige Gründe, insbeſondere Gründe des Verkehrs, ſeine Aufhebung erfordern. Wir halten den bedeutenden Markt auf dem Wittenbergplatz für die Lebensmittelverſorgung für ſo nötig und wichtig, weil ſein Beſtand allein ſchon auf die Preisgeſtaltung der Lebensmittel von größtem Einfluß iſt. Nichtsdeſtoweniger aber ſind wir der Meinung, daß, wenn einmal ſchwerwiegende Gründe die Beſeitigung des Marktes erfordern, wir uns auch damit abfinden werden. Die Ausführungen des Herrn Referenten jedoch und die Begründung in der Vorlage ſowie auch die mündliche Ausſprache mit dem Magiſtrat im Ausſchuß laſſen die Wucht der Beweis⸗ kraft wirklich nicht erkennen. (Stadtv. Granitza: Hört! hört!) Wenn von dem Herrn Referenten im Ausſchuß zu⸗ gegeben wurde, daß eine ihm bekannte Hausfrau — wir können ſie wohl als einwandsfreie Zeugin an⸗ erkennen —, die nur einzelne Warengattungen auf dem Markte kauft, jährlich eine Erſparnis von 50 dadurch hat und wenn, trotzdem der Herr Referent das bezweifelt, eine Liſte, die von dem Kommunal⸗ verein der Frauen in Charlottenburg geſtern auf dem Markt ausgelegt worden iſt — die Richtigkeit der Liſte läßt ſich ja jederzeit nachprüfen, gerade die an⸗ geführte Frau Profeſſor Jaſtrow hat in dem Schreiben beſonders betont, daß ſie die Liſte nachträglich uns mc werde —, wenn dieſe Liſte ſich im Augen⸗) gu mit 7400 Unterſchriften bedeckt hat und wenn weiter die Preſſe im allgemeinen einen Appell an die Stadtverordnetenverſammlung um Aufrecht⸗ erhaltung des Wochenmarktes richtet, ſo ſollten wir 171 es uns nicht einmal, ſondern zehnmal überlegen, ob wir der Vorlage des Magiſtrats unſere Zuſtimmung geben ſollen. Und nun hat erſt im vorigen Jahre die Stadtverordnetenſammlung ſich im gegenteiligen Sinne geäußert! Es iſt ſchwer einzuſehen, weshalb der Magiſtrat, ohne daß neue Gründe hinzugetreten ſind, ſchon nach ſo kurzer Zeit ohne Rückſichtnahme auf die Beſchlüſſe der Stadtverordnetenverſammlung mit der gleichen oder einer etwas ähnlichen Vorlage an uns herantritt. Der Magiſtrat ſagt, die Regelung des Verkehrs be⸗ dinge den Fortfall des Marktes. Wie wird das motiviert? In erſter Reihe mit dem Rufe nach der Polizei. Ich muß ſagen, daß ich während meiner ganzen Zu⸗ gehörigkeit zu unſerer Stadwerordnetenverſammlung niemals und bei keiner Gelegenheit ſo oft von einzel⸗ nen Mitgliedern der Verſammlung und Mitgliedern des Magiſtrats eine Berufung auf die Polizei ge⸗ hört habe wie gerade in dieſem Fall. Im Ausſchuß wurde uns ein Brief des Herrn Polizeipräſidenten verleſen. Aber trotzdem ich aufmerkſam zugehört habe, habe ich nicht bemerkt, daß auch nur im leiſeſten der Beweis erbracht wird, daß die Polizei die Auf⸗ hebung des Wochenmarktes fordert. Ich denke, wir haben keinerlei Veranlaſſung, der Angelegenheit nahe zu treten, ſo lange kein Verbot des Wochenmarktes beſteht. Die Verkehrsſtörung, die zweimal in der Woche je anderthalb bis zwei Stunden wohl ſtatt⸗ finden kann, iſt wirklich nicht ſo bedeutend. Selbſt wenn, wie im Ausſchuß geſagt wurde, ſich einmal ein Unglücksfall ereignet, was ja überall vorkommt, ſo braucht uns das auch noch lange nicht zu beſtimmen, den Markt aufzuheben. Die Verkehrsſtörung am Wittenbergplatz an den Markttagen iſt ſo minimal, daß ſie in leiner Weiſe an die Verkehrshinderniſſe heranreicht, die im Innern der Stadt Berlin beſtehen an den Kreuzungspunkten wie Potsdamer Platz, Alexanderplatz, Kranzler⸗Ecke, Hackeſcher Markt uſw. Ich glaube, daß die Polizeiverwaltung nicht die Ver⸗ antwortung übernehmen wird, einen Wochenmarkt einfach aufzuheben, der dringend erforderlich erſcheint zur Beſchaffung billiger und guter Lebensmittel. Nun, meine Herren, zu dem zweiten Punkt, der dem Magiſtrat die Veranlaſſung gab, die Vorlage einzubringen, der Ausſchmückung des Wittenberg⸗ platzes! In der Vorlage hieß es — wir haben es auch im Ausſchuß gehört —, daß die Untergrundbahn 160 000 ℳ anläßlich der Errichtung des Bahnhofs am Wittenbergplatz bewilligt hat. Wir haben jedoch kein Wort darüber gehört, daß über die Hergabe des Geldes eine Vereinbarung getroffen iſt, wonach eine beſt immte Art der Ausgeſtaltung vorgeſehen wäre. Es wäre allerdings ſehr verwunderlich, wenn der Magiſtrat ohne Befragung der Stadtverord⸗ netenverſammlung bindende Erklärungen abgegeben und derartige Verträge mit der Untergrundbahn ge⸗ ſchloſſen hätte. Das möchte ich und will ich nicht glauben. Somit wird es uns überlaſſen bleiben müſſen, die Ausgeſtaltung ſo vorzunehmen, wie und wann es beide Körperſchaften für richtig halten. Unſer heutiges Votum — falls es für die Beibehal⸗ tung des Marktes auf dem Wittenbergplatz abgegeben wird — iſt ja keine Bindung für ewige Zeiten. Es kann ſehr wohl der Fall eintreten, daß eine Beſeiti⸗ ng des Marktes erforderlich wird. In dieſem Augenblick ſcheinen mir hierzu die Gründe nicht ge⸗ nügend zu ſein. Wir wollen doch verſuchen, ſo lange wie möglich eine vortreffliche, volkswirtſchaftlich nützliche Einrichtung uns zu erhalten.