Sitzung vom 24. Juni 1914 Am 26. April 1912 erſchien die Frau Thereſe Kellermann in dem Geſchäftszimmer der Schuldepu⸗ tation und zeigte an, daß ihre Tochter Ella, Schülerin der I11 0 der 18. Gemeindeſchule, vor Weihnachten beim Turnen gefallen und ſeit dieſer Zeit in ärztlicher Behandlung ſei. Arm und Bein der rechten Seite ſeien geſchwollen, Ausſicht auf Beſſerung ſei vorläufig nicht vorhanden. Durch Anfrage bei dem zuſtändigen Rektor wurde feſtgeſtellt, daß Frau Kellermann dieſem mitgeteilt hatte, ihre Tochter wäre während einer Turnſtunde im Monat November hingefallen. Aus der Verſäumnisliſte geht hervor, daß die Schülerin Kellermann im November 1911 die Schule regel⸗ mäßig beſucht hat, ebenſo in den Monaten Dezember und Januar. Im Februar 1912 fehlte ſie an drei Tagen. Erſt vom 29. Februar ab fehlte ſie dauernd. Bei der Klaſſenlehrerin wurde ſie zunächſt wegen Rheumatismus und ſodann wegen Blutvergiftung entſchuldigt. Die den Turnunterricht leitende Lehrerin kann ſich auf einen Unfall der Schülerin während einer Turnſtunde nicht entſinnen. Nur zwei Mitſchüle⸗ rinnen behaupten, daß Ella Kellermann während eines Rundlaufs gefallen und von der Turnlehrerin aufgehoben worden ſei. Den Tag vermögen dieſe Schülerinnen auch nicht ungefähr anzugeben. Eine Schülerin ſagt aus, der Unfall hätte ſich am Vor⸗ mittag zugetragen, während die fragliche Lehrerin zu der angegebenen Zeit den Turnunterricht in dieſer Klaſſe nur nachmittags erteilte. Falls die Krankheit wirklich auf einen Unfall zurückzuführen war, was ärztlicherſeits zwar ange⸗ nommen wird, aber nicht bewieſen werden kann, ſo ſteht doch nicht feſt, daß ſie dem angeblichen Unfall in der Schule zuzuſchreiben iſt. Das Kind kann auch zu Hauſe oder auf der Straße gefallen ſein. Selbſt wenn aber angenommen werden ſollte, daß ſich der behauptete Unfall tatſächlich in der Schule zuge⸗ tragen hätte und die Krankheit auf dieſen zurückzu⸗ führen wäre, ſo könnte doch weder die Lehrerin noch die Stadtgemeinde auf Schadenserſatz in Anſpruch genommen werden. Denn während des Spielens im Rundlauf iſt eine Hilfsſtellung unmöglich, und wenn ein Kind dabei fällt, ſo iſt das, wenn nicht auf eigenes Verſchulden, eben nur auf einen unglück⸗ lichen Zufall zurückzuführen, für den niemand ver⸗ antwortlich gemacht werden kann. Aus dieſen Gründen und weil eine Erſatzpflicht der Stadtgemeinde für etwaige Amtspflichtver⸗ letzungen der Lehrer überhaupt nicht begründet iſt, hat der Magiſtrat die geſtellten Schadenserſatz⸗ anſprüche unter dem 18. September 1912, alſo vor etwa 1½ Jahren, abgelehnt. Eine Klage iſt da⸗ gegen nicht erhoben worden. Unter dieſen Umſtänden beantrage ich, über die Petition zur Tagesordnung überzugehen. (Die Verſammlung beſchließt demgemäß.) Vorſteher Dr Frentzel: Punkt 11 der Tages⸗ ordnung: Feſtſetzung der Sitzungstage für das 1I. Halbjahr 1914. In Vorſchlag werden gebracht der 9. und 23. September, der 14. und 28. Oktober, der 11. und 25. November und der 9. und 23. Dezember. (Stadtv. Mann: Ich bitte, anſtelle des 23. De⸗ zember den 16. Dezember zu nehmen; der 23. De⸗ zember iſt ein ſchlechter Tag, da er unmittelbar vor Heiligabend liegt!) 233 Das iſt allerdings ein bißchen knapp, dann haben wir innerhalb 14 Tagen zwei Sitzungen, dagegen vom 16. Dezember bis zum 13. Januar, alſo vier Wochen lang, keine Sitzung. Aber, meine Herren, wir müſſen uns ganz nach dem Stoff richten, ob es eventuell nötig ſein wird, noch eine Sitzung ein⸗ zuſchieben. Ich habe zunächſt nichts dagegen. (Stadtv. Dr Liepmann: Ich würde es auch befürworten!) Die Verſammlung iſt mit dem Vorſchlage des Herrn Kollegen Mann, ſtatt des 23. Dezember den 16. De⸗ zember zu nehmen, einverſtanden. Damit iſt unſere Tagesordnung erledigt. Ich ſchließe die öffentliche Sitzung. Wir treten nunmehr in die geheime Sitzung ein, der vorausſichtlich eine weitere öffentliche Sitzung folgen wird. (Die öffentliche Sitzung wird um 7 Uhr 29 Minuten unterbrochen und um 7 Uhr 31 Minuten wieder aufgenommen.) Vorſteher Dr Frentzel: Die Oeffentlichkeit iſt wieder hergeſtellt. Ich eröffne die öffentliche Sitzung mit der Beratung über die Wahl eines Mitgliedes der Schul⸗ deputation. Stadtv. Dr. Borchardt: Meine Herren! Es handelt ſich hier um die Wahl eines Mitgliedes der Schuldeputation, und der Wahlausſchuß ſchlägt vor, hierzu den Kollegen IDr. Stadthagen zu wählen. Meine Freunde haben Einſpruch dagegen erhoben. Ich möchte aber ſofort betonen, daß ſich dieſer Ein⸗ ſpruch nicht gegen die Perſon des Herrn Kollegen Dr. Stadthagen, ſondern dagegen richtet, daß bei dieſem Vorſchlag das Prinzip verlaſſen worden iſt, die Beſetzung der Deputationen, alſo auch der Schul⸗ deputation, entſprechend der Stärke der einzelnen Gruppen in dieſer Verſammlung vorzunehmen. Die Verſammlung ſelbſt hat ja dieſes Prinzip ebenſo wie der Wahlausſchuß dadurch anerkannt, daß, als vor einigen Wochen die Neuwahl erfolgen ſollte, ein Mit⸗ glied meiner Fraktion vorgeſchlagen wurde, das dann auch von der Verſammlung einſtimming gewählt wurde. Nun wiſſen Sie alle, meine Herren, daß zur Wahl der Mitglieder der Schuldeputation ſich die Regierung ſeit langer Zeit ein Beſtätigungsrecht, man muß ſagen: uſurpiert hat. Denn die Regierung verlangte gegen das beſtehende Geſetz das Recht, Mitglieder der Schuldeputation zu beſtätigen, — oder auch nicht zu beſtätigen, denn in dem Recht der Beſtätigung liegt natürlich auch das Recht der Nicht⸗ beſtätigung. Ueber dieſes Recht oder Nichtrecht der Regierung iſt ja in Berlin ein jahrelanger Kampf ge⸗ führt worden, und zwar mit dem Erfolg, daß die Regierung ſtets zurückgewichen iſt und de facto dieſes Recht, das ſie theoretiſch zu haben behauptete, dann doch immer nicht ausgeübt hat. Das war ein Kampf, der etwa 40 Jahre lang geführt wurde und bei dem die Berliner Stadtverordnetenverſammlung auf ihrem Rechte beſtand. Aber vor 16 Jahren änderte die Berliner Stadwerordnetenverſammlung ihren Standpunkt und eignete ſich die Auffaſſung der Regierung an, ſo daß von da an eine Beſtätigung