Außerordentliche Sitzung vom 19. Auguſt 1914 Eine erſchreckliche Zahl! Wenn wir in Betracht iehen, daß unter den 39 Gewerkſchaften noch Gruppen ſit, beiſpielsweiſe der Metallarbeiterverband, deren Arbeitsloſenzahl — ein abſchließendes Bild konnte die Organiſation noch nicht ſchaffen — auf ca. 40 000 jetzt geſchätzt wird, ſo werden wir unumwunden zugeben müſſen, daß, niedrig geſchätzt, 200 000 Arbeitsloſe, ſo⸗ weit die Organiſierten in Frage kommen, vorhanden ſind. Dazu kommt die ungeheure Zahl der Nicht⸗ organiſierten. Um Ihnen nur ein Bild zu geben, will ich Ihnen die Aufſtellung des Deutſchen Buchdrucker⸗ verbandes kurz mitteilen. Danach zählte dieſer Ver⸗ band am 1. Auguſt 800 Arbeitsloſe und am 17. Auguſt 3000, wozu noch 1500 kommen, die nur halbe Tage arbeiten. Ein ähnliches Bild zeigt der Transport⸗ arbeiterverband — das iſt eine Gruppe, zu der nicht⸗ gelernte Arbeiter gehören —, wo nach der Aufſtellung am 1. Auguſt 1900 Arbeitsloſe vorhanden waren, jetzt 5280 arbeitslos ſind. Der Holzarbeiterverband hatte am 1. Auguſt 3500, am 17. Auguſt 14 000 Arbeits⸗ loſe. Das ſind ganz erſchreckliche Zahlen. Man muß ſich eigentlich darüber wundern, daß große Privat⸗ betriebe, die über rieſige Kapitalien verfügen, es fertig bringen, Arbeiter zu entlaſſen. Man kann vielleicht ſagen, daß das mit dem geſchäftlichen Gange nicht anders zu vereinigen ſei. Aber ich ſollte meinen, ber einer geſchickten und vernünftigen Einteilung der dort zu verrichtenden Arbeit brauchte die Arbeitsloſigkeit einen ſolchen Umfang nicht anzunehmen. Wenn uns der Magiſtrat nun heute ſagt, er wolle die in Betracht kommenden Tiefbauten uſw. in Angriff nehmen, ſo begrüßen wir das mit Freude. Ich möchte jedoch noch einen Schritt weiter gehen. Meines Erachtens könnten die freigewordenen Stellen in den einzelnen Arbeitszweigen wieder beſetzt werden. Wir würden damit doch für eine ganze Anzahl Ar⸗ beiter wieder Arbeitsgelegenheit ſchaffen. Wenn nicht voll gearbeitet werden kann, ſo könnte wenigſtens eine gewiſſe Zeit gearbeitet werden. Wir würden die Ar⸗ beitsloſigkeit dadurch vermindern. Mir iſt mitgeteilt worden, daß bei den Waſſerwerken geſagt worden iſt, daß die Ueberſtunden nicht bezahlt werden und, falls die Arbeiter ſich ſträubten, Ueberſtunden zu machen, der Arbeitsturnus auf 12 Stunden erhöht werden ſoll. Meine Herren, das ſind Maßnahmen, die wir in der jetzigen Zeit keineswegs billigen können. Das muß entſchieden inhibiert werden. — Das ſind alles Fragen, die wir meiner Meinung nach heute wohl erörtern können. Nun ſagt der Herr Bürgermeiſter, beiſpielsweiſe bei der Hochbaudeputation könnten die Arbeiten für die Badeanſtalt nicht in Angriff genommen werden. Ja, wann wird denn die Badeanſtalt fertig? Sie wird doch wohl erſt dann fertig, wenn hoffentlich der Krieg vor⸗ bei iſt. Der Bau ſelbſt beanſprucht eine weit längere Zeit als ein Viertelfahr. Auch bei dieſem Bau würden eine ganze Menge Arbeiter beſchäftigt werden können. Ich bin alſo nicht der Anſicht des Herrn Bürger⸗ meiſters, daß man mit dem Bau der Badeanſtalt warten ſoll, ſondern bin der Meinung, daß man hier ſo ſchnell wie möglich eingreifen ſollte. Ich möchte Sie bitten, dem Magiſtrat den Wunſch mit auf den Weg zu geben, daß die im Etat eingeſetzten Arbeiten ſo ſchnell wie möglich in Angriff genommen werden. (Bravo! bei den Sozialdemokraten.) Stadto. Dr. S : Ich möchte auch meiner⸗ ſeits den Herrn Vorſteher bitten, die Geſchäftsordnung 251 möglichſt weitgehend ferner auszulegen; ich wäre ihm ſehr dankbar dafür. Vorſteher Dr. Frentzel (unterbrechend): Herr Kollege Stadthagen, wenn ich unterbrechen darf! Ich glaube, es waltet ein Mißverſtändnis ob. Ich habe nur den Wunſch geäußert, daß die Verſammlung es mir geſtatten möge durch ihr Verhalten, dieſes freiere Verfahren, das ich geübt habe, weiter üben zu können. Aber Sie werden mir zugeben, daß eine gewiſſe Regel herrſchen muß; ſonſt werden unſere Beratungen un⸗ fruchtbar. Stadtv. Dr Stadthagen: Ich möchte nur darauf hinweiſen, daß durch Stellung beſonderer Anträge große Debatten entfeſſelt werden, die ſich durch An⸗ regungen bei den Vorlagen beſſer vermeiden laſſen. Im übrigen möchte ich meinem Freunde Liep⸗ mann zuſtimmen, da ich glaube, daß das Kriegs⸗ leihamt weit mehr mit der Vorlage zuſammenhängt als die Frage der Arbeitslofigkeit. Es handelt ſich hier in der Vorlage um die Abwendung eines vor⸗ übergehenden Notſtandes durch Darlehen auf Schuld⸗ ſchein oder Wechſel, im andern Falle durch Darlehen auf Objekte, die einen gewiſſen Wert repräſentieren, die unter Umſtänden weit beſſer fundiert ſind als die in der Vorlage genannten. Zu der Sache ſelber möchte ich nur ein Wort noch jagen. Ich habe früher auch große Bedenken gegen die Errichtung eines Leihamts gehabt. Ein Krieg s⸗ leihamt hat jedoch ganz andere Grundlagen als ein Leihamt in Friedenszeiten. Ich glaube auch nicht, daß jetzt die großen theoretiſchen Erörterungen zu machen wären, die ſeinerzeit gemacht worden ſind. Im übrigen iſt ja die Denkſchrift da. Wenn wir ein Kriegsleihamt einrichten wollen, müſſen wir es natür⸗ lich bald, in 14 Tagen tun. Ich möchte heute keine Stellung dazu nehmen, ob ich die Bedenken, die ich früher hatte, fallen laſſen kann. Der Ausſchuß wird aber, glaube ich, die Frage in den Rahmen ſeiner Be⸗ ratung ziehen oder die Anregung geben können, ſie in einem beſondern Ausſchuß zu prüfen. Nun komme ich zu der Frage der Arbeits⸗ loſigkeit. Das iſt allerdings eine der Haupt⸗ fragen. Da möchte ich auch Herrn Kollegen Gebert darin recht geben, daß man prüfen muß, ob man den Bau der Badeanſtalt fortſetzen ſoll, wo es ſich um einen ſo weit ausſchauenden Bau handelt, und daß man ihn, ſelbſt wenn man ihn ſchnell ausführt, erſt fertig geſtellt haben wird, wenn hoffentlich der Krieg vorbei iſt. Ganz beſonders möchte ich auch den Wunſch des Herrn Kollegen Gebert unterſtreichen, in den ſtädti⸗ ſchen Betrieben nicht Ueberſtunden zu machen und dort Einſtellungen vorzunehmen, wo Not an Mann iſt. Ich weiß, daß auch in anderen als den von ihm genannten Betrieben Kräfte fehlen. Ich möchte dringend bitten, dort die Ein⸗ ſtellung von geeigneten Hilfskräften ſtattfinden zu laſſen. Wir ſind es der Allgemeinheit ſchuldig, unſer⸗ ſeits alles zu tun, was wir können. Ferner möchte ich vor dem Wege warnen, der in der Oeffentlichkeit jetzt mehrfach angegeben worden iſt, daß Staat und Kommune, alſo auch die Stadt Char⸗ lottenburg, große Arbeiten, die in der Kriegszeit not⸗ wendig ſind, in eigene Regie übernehmen. Es war von der Einrichtung von Lazaretten und der Beſchaf⸗ fung von Kriegsbedarfsgegenſtänden die Rede; —