252 wir ſtehen ja mit Wohltätigkeitsanſtalten in Verbin⸗ dung. Ich würde es aufs tiefſte bedauern, wenn in der jetzigen Zeit die Kommunen oder die mit ihnen in Verbindung ſtehenden großen Anſtalten, wie das Rote Kreuz uſw., die Induſtrie und den Handel übergehen und Einrichtungen ſchaffen würden, um derartige Ar⸗ tikel vielleicht ein paar Pfennige billiger, aber viel⸗ leicht auch viel ſchlechter anzufertigen. Ich möchte davor dringend warnen und bitten, die Induſtrie, die auf die einzelnen Artikel eingearbeitet iſt, mit Auf⸗ trägen zu verſehen und dadurch auch der Arbeitsloſig⸗ keit zu ſteuern. Denn was erreichen Sie ſonſt? Die Betriebe müſſen eingearbeitete Arbeiter entlaſſen, und auf der andern Seite werden ungelernte Kräfte heran⸗ gezogen. (Sehr richtigl) Dann möchte ich noch hervorheben, daß die frei⸗ willige Liebestätigkeit, die nach allen Richtungen hin als außerordentlich dankenswert anzuerkennen iſt, hier und da ſchon Formen angenommen hat, die die Ar⸗ beitsloſigkeit zu vermehren, nicht ihr zu ſteuern ge⸗ eignet ſind. Die Hemdennäherei und Strümpfeſtricke⸗ rei durch unentgeltliche Hilfskräfte, durch unſere Kinder in den Schulen iſt ein falſcher Weg. (Lebhafte Zuſtimmung.) Solche Maßnahmen ſollten von den maßgebenden Stellen ergehen, die den Bedarf, die Verwertung der Materialien in der heutigen ſchweren Zeit zu über⸗ ſehen vermögen. (Sehr richtig!) Meine Herren, das ſind die Punkte, die ich hier kurz erwähnen wollte. Ich hoffe, daß wir, wenn wir nach allen dieſen Richtungen vorgehen, wenigſtens bis zu einem gewiſſen Grade, ſoweit wir es als Kommune können, der Not der Arbeitsloſigkeit ſteuern werden. (Bravol) Stadtv. Vogel: Meine Herren! Der Herr Bürgermeiſter hat vorhin darauf hingewieſen, daß die Bürgſchaft durch zwei Bürgen nicht die alleinige Vor⸗ ausſetzung für die Hingabe eines Darlehens ſein ſoll. Er hat aber nicht ſagen können, daß der Vorſchlag des Herrn Dr. Liepman, Darlehen gegen ein Pfand zu geben, unrichtig iſt. Allerdings hat er erklärt, daß eine ſolche Einrichtung, die wir ſchon vor 10 Jahren be⸗ antragt haben, nicht aus dem Handgelenk geſchaffen werden kann. Daß die dringende Notwendigkeit dazu vorliegt, wird wohl nicht beſtritten werden können. Daß wir jetzt nicht aus dem Handgelenk ein ſolches Pfandleihamt errichten können, das iſt — ich will den Satz einmal umkehren — nicht der Fluch der böſen Tat, ſondern der Fluch der böſen Untätigkeit. Es iſt eben inzwiſchen nichts geſchehen, und nun, wo es nötig iſt, iſt man nicht ſo weit. Ebenſo iſt es mit der Arbeitsloſenverſicherung. Der Magiſtrat, insbeſondere Herr Dr Spiegel, hat ſich die größte Mühe gegeben, man hat uns eine Vor⸗ lage über die Errichtung einer Arbeitsloſenverſicherung gemacht. Aber da ſind dann kluge Herren gekommen, (Heiterkeit) Außerordentliche Sitzung vom 19. Auguſt 1914 — ja, Herr Kollege Rothholz, Sie auch — und die haben, wie man ſo ſagt, ihm Knüppel zwiſchen die Beine geworfen. So iſt auch hier nichts geſchehen. Es haben eine Menge Sitzungen, Fraktionsſitzungen und Plenarſitzungen, ſtattgefunden — nichts iſt ge⸗ ſchehen. Da ſage ich auch: es iſt der Fluch der böſen Untätigkeit, daß wir keine Arbeitsloſenverſicherung haben, jetzt, wo wir ſie dringend brauchen. Unſere Pflicht iſt es, durch ehrliche Arbeit das Verſäumte nach⸗ zuholen. Mit gutem Willen läßt ſich vieles machen. Von der Badeanſtalt heißt es in der Charlotten⸗ burger „Neuen Zeit“: „Die Ausſchachtungsarbeiten können gleich ausgeführt werden, aber zu den weite⸗ ren Arbeiten fehlen techniſche Kräfte“. Es wäre doch ein Armutszeugnis, das ſich die Stadt Charlotten⸗ burg ausſtellte, wenn ſie nicht techniſche Kräfte für den Bau der Badeanſtalt hätte. Gearbeitet kann ſchon werden, wenn man nur will. Man muß nur nicht alles unter dem Fluch der Untätigkeit liegen laſſen, ſondern muß beizeiten nach Kräften tätig ſein. Wir ſollen ſowohl das Pfandleihamt wie auch die Arbeits⸗ loſenverſicherung ſchleunigſt in Angriff nehmen. Stadtv. Dr Liepmann: Dem Herrn Vorſteher weiß ich Dank für ſeinen guten Willen, daß er jetzt nicht ſtreng die Hausordnung handhaben will. Ich glaube aber, daß ich für meine Ausführungen hin⸗ ſichtlich einer Pfandleihanſtalt ein beſonderes Ent⸗ gegenkommen nicht in Anſpruch zu nehmen brauchte, denn in der Vorlage ſteht ausdrücklich unter Nummer 2, daß Darlehen bei anderweiten hinreichenden Sicher⸗ heiten gegeben werden ſollen. Zu dieſen Sicherheiten gehören nun aber auch Pfänder, die in einer der⸗ artigen Anſtalt genommen werden können und ſollen. Meine Ausführungen ſollten nur darauf hinzielen, daß der Ausſchuß die Möglichkeit der Hergabe von Dar⸗ lehen nicht nur gegen Verpfändung von Koſtbarkeiten und Wertſachen beſtimmt, ſondern auch gegen Pfänder des gewöhnlichen Hausrats, die der kleine Mann in ſeiner Familie hat. Es iſt richtig, was der Herr Bürgermeiſter geſagt hat, daß ſchon ſeit langer Zeit die Gründung einer derartigen Anſtalt angeregt wor⸗ den iſt, insbeſondere vom Kollegen Vogel und Ge⸗ noſſen, und daß ſchwere Bedenken gegen die Schaffung eines ſtädtiſchen Leihamtes beſtanden. Ich muß ge⸗ ſtehen, daß ich mich früher dieſen Bedenken ange⸗ ſchloſſen habe und daß ich gegen eine ſolche Vorlage in Friedenszeiten geſtimmt hätte. Aber die Zeiten ſind eben andere geworden. In Friedenszeiten, in gewöhnlichen Kreditzeiten, konnte man die Darlehns⸗ ſucher an das Königliche Leihamt in Berlin ver⸗ weiſen. Jetzt bei der großen Not, die in der Bürger⸗ ſchaft herrſcht, iſt, wie ich gehört habe, das Königliche Leihamt nicht mehr in der Lage, alle Darlehnsgeſuche abzufertigen und in raſcher Weiſe Hilfe zu bringen. Deswegen kann, glaube ich, der Gedanke ſehr wohl in unſerm Ausſchuß erörtert werden, und er muß in unſerm Ausſchuß erörtert werden. Denn wenn wir Hilfe bringen wollen, wenn wir die Vorlage, ſei es in der jetzigen oder durch einen Nachtrag ergänzten Form, erledigen wollen, dann muß es raſch geſchehen. Wenn wir nicht raſch damit kommen, ſondern, wie der Herr Bürgermeiſter meint, erſt nach langen Vorſtudien, dann würden wir vielleicht erſt vorgehen, wenn die außergewöhnliche Not nicht mehr vorhanden iſt. Ich bitte deshalb, des Wortes eingedenk zu ſein: Doppelt gibt, wer raſch gibt!