270 Antrag der Stadtv. Ahrens und Gen. betr. Unter⸗ ſtützung Arbeitsloſer. — Druckſache 219. (Der Antrag lautet: Die Stadtverordnetenverſammlung erſucht den Magiſtrat, ihr unverzüglich eine Vorlage zur Unterſtützung Arbeitsloſer auf folgender Grund⸗ lage zu unterbeiten: 1. Die Stadtgemeinde gewährt laufende Un⸗ terſtützungen a) an Angeſtellte und Arbeiter, welche trotz Arbeitsfähigkeit und Arbeitswilligkeit eine Beſchäftigung nicht finden können, 5) an kleinere Gewerbetreibende und An⸗ gehörige freier Berufe, die bei der gegen⸗ wärtigen Wirtſchaftslage außerſtande ſind, ſich und ihre Familien zu er⸗ nähren. 2. Die Unterſtützung wird unbekümmert dar⸗ um gewährt, ob der Betreffende von einer Berufsorganiſation Arbeitsloſenunter⸗ ſtützung bezieht oder nicht. 3. Für diejengen Bezugsberechtigten, die von einer Berufsorganiſation Arbeitsloſen⸗ unterſtützung beziehen, wird die Unter⸗ ſtützung nicht an die Perſon, ſondern an die Organiſation gezahlt.) Antragſteller Stadtv. Dr Borchardt: Meine Herren! Wir beantragen in dieſem Antrage, das Syſtem der Unterſtützung Arbeitsloſer, wie es gegen⸗ wärtig bei uns beſteht, von Grund aus zu ändern. Wir beantragen unter Nummer 1, daß die Stadtge⸗ meinde laufende Unterſtützungen an Arbeitsloſe gewähren ſoll, während bei uns das Syſtem beſteht, daß in den Kommiſſionen an Arbeitsloſe im Falle der Bedürftigkeit einmalige Unterſtützungen ge⸗ zahlt werden. Nun kann man ja der Meinung ſein, daß auch die Gewährung einmaliger Unterſtützungen, die im Bedarfsfalle wiederholt wird, an die ſich eine zweite, eine dritte einmalige Unterſtützung an⸗ ſchließen kann, wenn der Betreffende keine Arbeit gefunden hat, den Bedürfniſſen Rechnung trägt, der Notlage genügt und unter Umſtänden beſſer iſt als eine ſchematiſch feſtgeſetzte laufende Unterſtützung von geringem Betrage. Vor allen Dingen kann man der Meinung ſein, daß durch die Ueberlaſſung der Prüfung der Bedürftigkeit an die Kommiſſionen die Unterſtützung den einzelnen Fällen viel mehr angepaßt werden kann, als es durch die ſchematiſche Feſtſetzung eines beſtimmten geringen täglichen Satzes geſchehen kann. Meine Freunde geben ohne weiteres zu, daß hierin ein nicht unweſentlicher Vor⸗ zug des Charlottenburger Syſtems gegenüber dem Syſtem liegt, wie es z. B. in Berlin beſteht und wie wir es beantragen. Aber meine Freunde ſind ſich auch darüber klar, daß mit dieſem Vorzug ein großer Nachteil verbunden iſt. Denn es muß dadurch eine außerordentlich ungleichmäßige Behandlung der ver⸗ ſchiedenen Arbeitsloſen hervorgerufen werden, je nach dem Stadtteil, in dem ſie wohnen, je nach der Un⸗ terſtützungskommiſſion, der ſie überwieſen ſind, der ſie zugehören. Es gibt Kommiſſionen, die den Arbeits⸗ loſen in weitherzigerer Weiſe entgegenkommen als andere, und es gibt Kommiſſionen, die ein Bedürfnis bei Arbeitsloſigkeit nicht anerkennen in Fällen, wo andere Kommiſſionen das ſehr wohl tun. Ja, es Sitzung vom 23. September 1914 kommt auch vor, daß, da die Kommiſſionen doch an die Ermittlungen der Rechercheure und Rechercheurinnen gebunden ſind, den Arbeitsloſen von — ſagen wir einmal: ungeſchickten Rechercheuren in einer ſehr wenig taktvollen Weiſe zugemutet wird, ſich von ihrem nötigſten Hausrat zu entblößen, ehe ſie die Unterſtützung wegen Arbeitsloſigkeit in Anſpruch nehmen. Dadurch ſind manche Klagen von Arbeits⸗ loſen wegen Nichtberückſichtigung ihrer Anträge bei manchen Kommiſſionen veranlaßt. Eine ſolche Un⸗ gleichmäßigkeit der Behandlung fiele fort, wenn die Arbeitsloſigkeit als Grund für die Unterſtützung an⸗ erkannt wird. Deswegen, meine Herren, haben meine Freunde den Antrag geſtellt, unſer Syſtem abzuändern und laufende Unterſtützungen an Arbeitsloſe zu ge⸗ währen, und zwar, wie wir in a und b ſagen, nicht nur an Angeſtellte und Arbeiter, die trotz Arbeits⸗ fähigkeit und Arbeitswilligkeit eine. Beſchäftigung nicht finden können, ſondern auch an kleinere Ge⸗ werbetreibende und Angehörige freier Berufe, die bei der gegenwärtigen Wirtſchaftslage außerſtande ſind, ſich und ihre Familien zu ernähren. Die Faſſung der Ziffern a und b iſt wörtlich aus der Berliner — ich kann nicht mehr ſagen: Vorlage, denn in Berlin iſt ſie bereits durch einen Gemeinde⸗ beſchluß angenommen — aus dem Berliner Statut übernommen, um in dieſer Weiſe unſer Syſtem der Unterſtützung Arbeitsloſer dem von Berlin anzu⸗ nähern. Ich ſage: anzunähern und nicht ein dem Berliner Syſtem völlig gleiches einzuführen; denn unter Ziffer 2 beantragen meine Freunde, die Un⸗ terſtützung unabhängig davon zu gewähren, ob der Betreffende von einer Berufsorganiſation Arbeits⸗ loſenunterſtützung bezieht oder nicht. Dieſer Abſatz unſeres Antrages iſt eine ſehr weſentliche Abweichung von dem Berliner Statut; denn in dieſem iſt vorgeſehen, daß derjenige Arbeits⸗ loſe, der von einer Berufsorganiſation Arbeitsloſen⸗ unterſtützung bezieht, von der Stadt nur einen Zu⸗ ſchuß zu dieſer Arbeitsloſenunterſtützung erhält. Mit anderen Worten: es iſt alſo im Berliner Syſtem vor⸗ geſehen, daß die Unterſtützung, die der Arbeitsloſe von ſeiner Berufsorganiſation erhält, in einem ge⸗ wiſſen Umfange auf die Unterſtützung angerechnet wird, die er von der Kommune erhalten ſoll, daß die Kommune bei denjenigen Arbeitsloſen, die von einer Berufsorganiſation eine Unterſtützung empfan⸗ gen, geringere Unterſtützungsſätze zahlen ſoll als bei anderen Arbeitsloſen. Meine Freunde halten dieſe Beſchränkung der kommunalen Arbeitsloſenunter⸗ ſtützung bei den organiſierten Arbeitern, die von einer Berufsorganiſation eine Unterſtützung be⸗ ziehen, nicht für angebracht, da es ſich ja gegenwärtig in keiner Weiſe um eine Arbeitsloſenverſicherung handelt, um eine Unterſtützung wegen Arbeitsloſig⸗ keit auf Grund irgendwelcher Verſicherungsmaß⸗ nahmen, die der Betreffende vorgenommen hat, ſon⸗ dern um eine Unterſtützung wegen Arbeitsloſigkeit, weil angenommen wird und, wie wir glauben, mit Recht angenommen wird, daß dieſe Arbeitsloſigkeit mit den gegenwärtigen kriegeriſchen Zeitumſtänden im Zuſammenhang ſteht. Gerade aus dieſem Um⸗ ſtande heraus ſind wir auch der Meinung, daß es den Berufsorganiſationen ger nicht möglich ſein wird, in dem Umfange weiter Arbeitsloſenunter⸗ ſtützungen zu gewähren, wie ſie ſie nach ihren für