Sitzung vom 14. Oktober 1914 Bald nach Ausbruch des Krieges haben ſich zahlreiche Damen an die Herrſchaften in den Stadt⸗ vierteln der beſſer ſituierten Einwohner gewandt und darum gebeten, Kinder der ärmeren Bevölke⸗ rungsklaſſen zur Speiſung zu übernehmen. Soviel ich weiß, hat ſich eine große Zahl von Herrſchaften dazu bereit erklärt. Ich habe nun noch in der aller⸗ letzten Zeit mit Erſtaunen gehört, daß hiervon wenigſtens bei den mir bekannten Familien — nicht Gebrauch gemacht worden iſt. Ich habe das damit zu motivieren geglaubt, daß nicht genügend Kinder vorhanden ſind, die den Herrſchaften überwieſen werden könnten, wenigſtens nicht genügend Char⸗ lottenburger Kinder, und daß aus weiteren Ent⸗ fernungen Groß⸗Berlins Kinder nicht hierher ge⸗ bracht werden ſollten. Wie ich nun der Vorlage entnehme, ſind aber mehr als ausreichend ſelbſt Charlottenburger Kinder vorhanden, die aus öffentlichen Mitteln geſpeiſt wer⸗ den. Deshalb wäre es mir doch intereſſant, zu er⸗ fahren, warum dieſe Kinder den Familien, die ſich im Auguſt dazu angeboten hatten, noch nicht zuge⸗ führt worden ſind und, wenn ſchon die Kinder die⸗ ſen Familien nicht überwieſen wurden, warum dann dieſe nicht darum angegangen ſind, doch ein Ent⸗ gelt für den nicht geleiſteten Freitiſch zu geben. Meiner Ueberzeugung nach würden alle dieſe Fami⸗ lien nicht nur 16 5 pro Tag entrichten, ſondern das Mehrfache, vielleicht auch eine Mark. Das würde ja das Aequivalent für das ſein, was ſie für das Mittagbrot, den Veſperkaffee und das Abendeſſen ausgeben. Ich glaube alſo, daß es doch wichtig iſt, die Wohltätigkeit, zu der ſich die Familien verſtanden haben, auch auszunutzen. Es iſt ja dabei auch zu bedenken, daß die Familien, wenn ſie mit der Spei⸗ ſung in Anſpruch genommen werden, in vielen Fällen auch Intereſſe für das betreffende Kind ge⸗ winnen und nicht nur dieſem, ſondern vielleicht der ganzen Familie manche Annehmlichkeit zuteil wer⸗ den laſſen könnten, die jetzt unterbleibt. Stadtrat Dr (Gottſtein: Meine Herren! Nach den Ausführungen des Herrn Stadtv. Dr Lands⸗ berger könnte die Oeffentlichkeit annehmen, daß die Zuſtimmung zu dieſer Vorlage nur in Anbetracht des guten Zweckes erfolgt ſei und daß eine ganze Reihe von Bedenken hätte zurückgeſtellt werden müſſen, die eigentlich eine Berückſichtigung hätten verlangen können, aber im Hinblick auf die augen⸗ blicklichen Kriegszuſtände eine mildere Beurteilung zuließen. Aber ſchon in der Vorlage iſt ausdrücklich hervorgehoben worden, daß eine Reihe der von dem Herrn Stadtv. Dr Landsberger betonten Punkte ihre Berückſichtigung gefunden haben. In der Depn⸗ tation iſt die Zahl der Fälle einzeln aufgeführt wor⸗ den, die von der oder jener Stelle überwieſen wor⸗ den ſind. In der Vorlage ſteht ausdrücklich, daß die Schulkinderſpeiſung durch die Zuweiſungen der Kommiſſionen eine Erweiterung erfahren hat, daß ſie alſo nicht mehr ausſchließlich Schulſache geblieben iſt, wie das früher galt. Ich kann verſichern, daß in der Zentralſtelle, dem Jugendheim, jeder einzelne Fall individuell mit großer Mühe und Sorgfalt ge⸗ prüft wird, und mit dem Augenblick, wo es wün⸗ ſchenswert erſchien, die Speiſung in der Familie vorzunehmen, wurde das auch ſofort durchgeführt. In der Vorlage iſt ja auch ausdrücklich geſagt wor⸗ den, daß der Zuſammenhang der Familie gewahrt werden ſollte. Auch das, was Herr Stadtv. Ir. Landsberger weiter wünſcht, iſt, wenn auch nicht von Anfang an, ſo mindeſtens nach Verlauf der erſten Woche erfüllt worden, nämlich eine ſorgfältige Benachrichtigung der Unterſtützungskommiſſionen in jedem einzelnen Falle, wo eine Schulkinderſpeiſung ſtattfindet. Wenn das nicht zu ſeiner Kenntnis gekommen iſt — er ſchüttelt mit dem Kopfe —, ſo liegt das vielleicht an der Kommiſſion und nicht an der Zentralſtelle; denn ich bin in der Lage, nachzuweiſen, daß jeder einzelne Fall gebucht iſt, daß eine ſorgfältig geführte Karto⸗ thek vorliegt und jeder einzelne Fall genau unter⸗ ſucht worden iſt. Ich kann zuſammenfaſſend ſagen: alle die Forderungen, die Herr Stadtv. Dr. Landsberger aufgeſtellt hat, ſind ſchon erfüllt worden, denn ſelbſtverſtändlich erkannten auch wir ſie als notwen⸗ dig an; es iſt daran auch ſchon von Anfang an ge⸗ dacht worden. Inbezug auf das, was Herr Stadtv. Dr Byk ausgeführt hat, bitte ich, zu bedenken, daß die Ueberweiſung an Freitiſche in einzelnen Familien zuweilen örtliche und ſonſtige Schwierigkeiten machte. Da, wo die Berückſichtigung der Aner⸗ bietungen zur Speiſung in der Wohnung möglich war, iſt ſie durchgeführt worden. Vielfach ſcheiterte aber die Ueberweiſung an den ſchon in der Tages⸗ preſſe hervorgehobenen Umſtänden, daß nämlich die Wege zu weit, daß die Speiſungszeiten ungünſtig lagen, daß die Familienmitglieder nicht getrennt werden konnten uſw. Wo es aber möglich war, die freund⸗ lichen Anerbietungen zu berückſichtigen, iſt dem auch entſprochen worden. Die Zahl der Fälle iſt jedoch nicht ſo groß geworden wie die Zahl der Aner⸗ bietungen. Dafür haben dann Geldablöſungen ſtattgefunden. Stadtv. Vogel: Meine Herren! Wenn auch die Vorlage in mehrfacher Beziehung eine Ergän⸗ zung der beſtehenden Einrichtung bringt, ſo möchte ich doch noch auf eine notwendige Erweiterung auf⸗ merkſam machen, die hier nicht erwähnt worden iſt, die allerdings von Herrn Stadtrat Ur Gottſtein ſchon anderwärts erörtert worden iſt, aber der Voll⸗ ſtändigkeit halber auch hier erwähnt werden muß, nämlich auf die Ausdehnung der Kinderſpeiſung auf die ſtädtiſchen Kindergärten. Es iſt von Schul⸗ ärzten verſchiedentlich darauf hingewieſen worden, daß eine Reihe von Kindern an Unterernährung leidet und das hauptſächlich mit die Urſache dafür iſt, daß die Kinder in der Entwicklung zurückgeblie⸗ ben ſind. Deshalb bekommen ſie auch in den Kin⸗ dergärten ſchon zum Frühſtück Milch und Brötchen. Aber das iſt auch nach Anſicht der Schulärzte viel⸗ fach nicht genügend, und ich glaube, Herr Stadtrat Dr Gottſtein iſt ganz damit einverſtanden, daß die⸗ ſen Kindern, die vielfach ſchon im ſchulpflichtigen Alter ſind, auch noch die Mittagsſpeiſung gewährt werden muß, wenn das nach dem Urteil der Schul⸗ ärzte nötig iſt. Es ſind in den Kindergärten allerdings auch noch jüngere Kinder, unter ſechs Jahren, die körperlich und geiſtig zurückgeblieben ſind und von denen man nicht erwarten kann, daß ſie ſchulfähig ſind. Auch für dieſe wäre eine Teil⸗ nahme an den Speiſungen dringend nötig. Wenn die Eltern dann der Sorge für die Mittagskoſt ent⸗ hoben ſind, können ſie auch die anderen Mahlzeiten, Frühſtück und Abendbrot, etwas reichlicher bemeſſen, und wenn das geſchieht, wird es eine doppelte Wohl⸗ tat für die Kinder ſein. Wie geſagt, Herr Stadtrat