288 behandelt wiſſen will, wie ſie der Magiſtrat in der vorigen Sitzung durch meine Ausführungen behandelt wiſſen wollte, hat dann aber wieder geſagt, daß er das Berliner Syſtem empfehle, was nach meinem Dafür⸗ 12. geradezu im Widerſpruch mit dieſer Frage teht. 4 Sehr richtig!) Meine Herren, handelt es ſich um die Frage der Feſtſtellung der Bedürftigkeit, dann kann ich auch nicht anerkennen, daß die Arbeitsloſigkeit bereits der Bedürftigkeit gelichzuſtellen iſt. Ich will ihm zu⸗ geben, daß in einer Anzahl von Fällen Arbeitsloſig⸗ keit und Bedürftigkeit identiſch ſein werden. Es wird nicht immer der Fall ſein, daß der Arbeitsloſe in der Lage iſt, ſich aus den Erſparniſſen der früheren Zeit über Waſſer zu halten. Ich möchte aber be⸗ merken, daß gerade nach dem Berliner Syſtem der Arbeitsloſe eine 14tägige Karenzzeit zurückzulegen hat, nach der überhaupt erſt eine Unterſtützung be⸗ zahlt wird, ein Verfahren, das ich für den Fall, daß wirklich ein Bedürfnis vorliegt, für durchaus unge⸗ rechtfertigt halte. Alſo zwiſchen dem Berliner Syſtem und dem, was wir für angemeſſen erachten, iſt meiner Anſicht nach ein erheblicher grundſätzlicher Unterſchied. Daß die Bedürfnisfrage von Herrn Dr Bor⸗ chardt in anderem Sinne aufgefaßt und beantwortet wird wie von uns, geht ja auch daraus hervor, daß er die Frage der Bedürftigkeit unter Umſtänden den Gewerkſchaften zur Entſcheidung überlaſſen will. Ja, meine Herren, die Gewerkſchaften gewähren ja die betreffende Leiſtung ohne Rückſicht auf die Bedürftig⸗ keit. Es würde wohl der einzelne Gewerkſchaftler ſich beſtens dafür bedanken, wenn die Gewerkſchaft er⸗ klärte: Nein, du bekommſt diesmal keine Arbeits⸗ loſenunterſtützung, denn du biſt nicht bedürftig. Ge⸗ nade der Verſicherungsgedanke, der in der gewerk⸗ ſchaftlichen Unterſtützung liegt, verbietet es, daß man den Verſicherungsgedanken mit dem Bedürftigkeits⸗ gedanken verbinder. Im Umfange des verſicherten Betrages iſt an ſich ſchon die Bedürftigkeit behoben, denn es iſt ganz gleichgültig, ob Bezüge aus einer Verſicherung oder aus anderen Quellen fließen. Denn die Verſicherung bei den Gewerkſchaften kann jehr wohl eine indirekte Erſparnis genannt werden, ſie ſtellt etwa dar die Eingahlung von laufenden Prämien auf ein Sparkaſſenbuch, das am Ende der Arbeitszeit in Anſpruch genommen wird. Trotzdem ſoll für die ſtädtiſche Leiſtung nach der Meinung des Herrn Dr Borchardt die gewerkſchaftliche Leiſtung außer Betracht bleiben und ſie dennoch als eine Unter⸗ ſtützung im Umfang der Bedürftigkeit bezeichnet werden. Das iſt nicht wohl möglich. Nun, meine Herren, hat Herr Stadtv. Dr Bor⸗ chardt auch noch ausgeführt, daß wir durch die Vor⸗ ſchriften des Provinzialausſchuſſes in der Geſtaltung der Arbeitsloſenfürſorge durchaus nicht gebunden ſind. Ich möchte feſtſtellen, daß ſelbſt, wenn der Provinzialausſchuß einen ſolchen Beſchluß nicht ge⸗ faßt hätte, ich mich trotzdem in Uebereinſtimmung mit dem Herrn Vorredner des Magiſtrats unbedingt auf ſeinen Standpunkt ſtellen würde. Wir dürfen, wie geſagt, nicht den Fall der Verſicherung mit dem Fall der Unterſtützung verwechſeln. Bei einer Unter⸗ ſtützung kann und darf jeweilig nur das individuelle Bedürfnis geprüft und berückſichtigt werden. Wenn jeder Gewerbetreibende, der keine Arbeit hat, viel⸗ leicht aber irgendwelche Vermögensquellen beſtzt, ſagen wollte: Mein Geſchäft ſteht ſtill, bitte, zahlt mir Sitzung vom 14. Oktober 1914 eine Unterſtützung, — ſo werden wir ihm ſagen: Wir denken gar nicht daran, du biſt nicht bedürftig. Es iſt zwar nicht anzunehmen, daß ſolche Leute einen Antrag auf Unterſtützung ſtellen werden; aber un⸗ möglich iſt es ſchließlich nicht. Denn wir haben bei den Kriegsunterſtützungen erlebt, daß Perſonen Unterſtützungsanträge geſtellt haben, die abſolut nicht bedürftig waren, und darin wird mir Herr Stadtv. Dr Borchardt doch Recht geben, daß die Gewährung von Unterſtützungen in ſolchen Fällen unverſtändig wäre und auch über unſere Leiſtungsfähigkeit bei weitem hinausgehen würde. Er irrt aber auch, wenn er meint, daß die Pro⸗ vingiallandtagsvorlage den Provinzialausſchuß nicht ermächtigt habe, Ausführungsbeſtimmungen in dem Sinne zu erlaſſen, wie ſie tatſächlich erlaſſen worden ſind. Er irrt ferner darin, wenn er glaubt, daß der Provinzialausſchuß durch die letzte Konzeſſton, die Herr Dr Spiegel hier mitgeteilt hat — die übrigens Herr Dr Spiegel in einem andern Wortlaut mitgeteilt hat wie Herr Stadtv. Dr Borchardt —, ſich auch de iure über die Grundlagen des Provinziallandtags⸗ beſchluſſes hinweggeſetzt hat. Meine Herren, bevor dieſe Vorlage des Provinziallandtages zum Beſchluß erhoben worden iſt, hat die Provinzialverwaltung bei den einzelnen Groß⸗Berliner Kommunen, die zur Provinz Brandenburg gehören, Fühlung genommen und feſtgeſtellt, nach welchen Geſichtspunkten die Arbeitsloſen unterſtützt werden. Da iſt ihr allgemein bis auf den Fall Schöneberg die Erklärung abgegeben worden, daß wir die Unterſtützungen nach indivi⸗ duellen Grundſätzen gewähren und daß wir bean⸗ ſpruchen, daß uns auch für dieſen Fall die Provinz die 50% erſtattet. Damals iſt bereits von ſeiten ſämtlicher Vertreter des Provinzialausſchuſſes, alſo ſchon vor Einbringung dieſer Vorlage, gar kein Zweifel gelaſſen worden, daß die Vorlage nur im Sinne der jetzt erlaſſenen Ausführungsvorſchriften verſtanden werden ſoll. Ich ſelbſt habe dieſen Ver⸗ handlungen beigewohnt und kann hier durchaus ver⸗ ſichern, daß die Ausführungsbeſtimmungen den Ab⸗ ſichten bei Einbringung der Vorlage entſprechen. Die Vorlage ſpricht ſich ja ſo apodiktiſch, wie das die Ausführungsbeſtimmungen des Provinzialaus⸗ ſchuſſes tun, über die Frage der individuellen Be⸗ handlung der Unterſtützungsfälle nicht aus, weil ſie eben von dieſer Vorausſetzung als ſelbſtverſtändlich ausgeht. Aber einzelne Sätze der Vorlage ergeben doch, daß auch der Provinzialausſchuß durch die Be⸗ gründung dieſer Vorlage der bei ihm ſelbſtverſtänd⸗ lichen Vorausſetzung hat Ausdruck geben wollen. Wenn nun der Provinzialausſchuß ſeine Aus⸗ führungsbeſtimmungen ſo präziſiert und ſo pointiert, dann tut er das, weil er glaubte, daß momentan die Neigung beſtünde, von dem Syſtem der Individual⸗ unterſtützung zu dem Syſtem der Normalunterſtützung, der feſten Sätze überzugehen, die nicht nach dem Maß⸗ ſtabe des jeweiligen Bedürfniſſes, ſondern bei Arbeits⸗ loſigkeit eo ipso dem Arbeitsloſen zufallen. Von dieſem Standpunkt aus hat der Provinzialausſchuß nach der ganzen Grundlage ſeiner Vorlage und nach der Grundlage der Beſchlüſſe gegenüber Beſtrebungen, in die Unterſtützungsaktion den Verſicherungs⸗ gedanken zu tragen, meines Erachtens mit Recht Stellung genommen. Unzutreffend iſt ſchließlich die Ausführung des Herrn Dr Borchardt, der Provinzialausſchuß habe nachgelaſſen, bei der Bedürftigkeitsprüfung nur 50 % der Gewerkſchafts⸗ oder ſonſtigen Unterſtützung an⸗ zurechnen. Der Provinzialausſchuß hat vielmehr