Außerordentliche Sitzung vom 4. Rovember 1914 Bürgermeiſter Dr. Maier: Meine Herren! Ich möchte im Anſchluß an die Ausführungen des Herrn Stadtv. Dr Stadthagen bitten, ſeinem Vorſchlage zuzuſtimmen, wonach die Faſſung unter BI dahin geändert wird, daß geſagt wird: Erreicht der Arbeitsverdienſt eines teilweiſe Erwerbsloſen wöchentlich nicht das Anderthalb⸗ fache der Nomalunterſtützung. Gemeint iſt dasſelbe, was wir wollen, aber ich gebe zu, daß ſeine Faſſung das deutlicher zum Ausdruck bringt. Deswegen begrüße ich ſeinen Antrag und empfehle Ihnen ſeine Annahme. Im übrigen möchte ich zu ſeinen Ausführungen bemerken, daß dieſe nicht materielle Grundſätze be⸗ treffen, die hier von der Stadtverordnetenverſamm⸗ lung beſchloſſen werden müßten, ſondern daß es ſich um Organiſationsvorſchriften und Zuſtändigkeits⸗ regelungen zwiſchen der Armenverwaltung und der Arbeitsloſenunterſtützung handelt. Dieſe Fragen werden vom Magiſtrat als der ausführenden Ver⸗ waltungsbehörde geregelt werden. Stadtv. Gebert: Meine Herren! Ich habe im Grunde genommen zu der Vorlage, ſoweit die mate⸗ riellen Punkte in Betracht kommen, wenig zu ſagen. Ich will nur betonen, daß ich mich mit der Anregung des Herrn Dr Stadthagen einverſtanden erkläre, weil auch ich nicht will, daß ſich nachher irgend welche Härten zeigen. Was mich aber veranlaßt, zu dieſer Vorlage zu ſprechen, iſt der Umſtand, daß der Magiſtrat wiederum peinlichſt vermieden hat, mit den Gewerkſchaften Hand in Hand zu gehen; denn in dieſer Vorlage iſt mit keinem Wort geſagt, inwieweit und inwiefern die hier erwähnten 50 % der gewerkſchaftlichen Unterſtützung in Anrechnung zu bringen ſind und wie in dieſer Frage eine Verſtändigung mit den Ge⸗ werkſchaften ſtattfinden ſoll. (Zuruf.) — Nein, nach der Vorlage des Magiſtrats ſoll ſie nicht ſtattfinden. — Es haben in der vergangenen Woche Konferenzen ſtattgefunden und hierbei hat ſich gezeigt, daß ſich die Gemeindevertretungen Groß⸗ Berlins mehr und mehr zu der Anſchauung aufge⸗ ſchwungen haben, daß ſich mit den Gewerkſchaften durchaus praktiſch zuſammenarbeiten läßt. Selbſt Herr Stadtrat Fiſchbeck, der, wie ja wohl bekannt iſt, noch im vergangenen Jahr ein ziemlich enragierter Gegner der Arbeitsloſenunterſtützung überhaupt war, hat ſich dahin geäußert: es habe ſich herausgeſtellt, daß ſich in außerordentlich leichter und praktiſcher Weiſe mit den Einrichtungen der Gewerkſchaften arbeiten laſſe. Auch Herr Oberbürgermeiſter Wer⸗ muth hat ohne weiteres denſelben Standpunkt ein⸗ genommen. Meine Herren, ein ähnliches Zuſammenarbeiten mit den Gewerkſchaften wünſchten wir auch hier in Charlottenburg. Wir müſſen es ſehr bedauern, daß der Magiſtrat dieſen Weg nicht beſchreiten will oder nicht gehen mag. Die Gründe hierfür kann ich nicht feſtſtellen; denn die Ausführungen, die in der vor⸗ letzten oder in der letzten Plenarſitzung darüber ge⸗ macht worden ſind, haben mich nicht davon über⸗ zeugen können, daß die Argumente des Magiſtrats ſtichhaltig ſind. Um ſo mehr hat es mich aber frap⸗ 313 piert, daß man die in Betracht kommende gewerk⸗ ſchaftliche Unterſtützung in Anrechnung bringen will. Ich möchte hier auf die kleine Gemeinde Luckenwalde hinweiſen, die eine Unterſtützung ohne Rückſicht darauf eingeführt hat, ob der Betreffende von einer Organiſation eine Unterſtützung erhält oder nicht. Dieſe Unterſtützung mag in ihrer Höhe ja niedriger ſein als die unſerige; der Magiſtrat von Luckenwalde hat ſich aber jedenfalls bereit gefunden, doch mit den Gemerkſchaften zuſammenßugehen, (indem er ihnen die Kontrolle uſw. überwieſen hat. Hieraus iſt alſo auf ein gemeinſames Zuſammenarbeiten mit den Ge⸗ werkſchaften zu ſchließen. Auch in Berlin iſt eine ähnliche Unterſtützung eingerichtet worden, die ſich dem Genter Syſtem annähert, und was in Berlin und einem Teil ſeiner Vororte möglich iſt, ſollte in Charlottenburg meines Erachtens nicht unmöglich ſein. Allerdings wünſche ich, daß nachher nicht ſo wie beiſpielsweiſe in Schöneberg und namentlich in Lichtenberg verfahren wird, wo ja unliebſame Zwiſchenfälle vorgekommen ſind. Soviel über das Zuſammenarbeiten mit den Gewerkſchaften. Ich hätte gewünſcht, daß der Ma⸗ giſtrat hier in ſeiner Vorlage dargelegt hätte, wie ein praktiſches Zuſammenarbeiten mit den Gewerkſchaften durchgeführt werden könnte. Darüber finden wir in der Vorlage leider nichts. Der Magiſtrat hat uns in ſeiner Vorlage auch die Ausführungsbeſtimmungen zum Provinzialland⸗ tagsbeſchluß mitgeteilt. Mein Wunſch geht nun da⸗ hin, daß dieſe Ausführungsbeſtimmungen nicht ſo ſchroff gehandhabt werden möchten; denn in dieſen erxtremen Beſtimmungen ſind manche Härten ent⸗ halten, wie ſich ja in Lichtenberg herausgeſtellt hat. Man hat beiſpielsweiſe einem Arbeitsloſen die Unter⸗ ſtützung deshalb verweigert, weil er eine ihm nach⸗ gewieſene Arbeit nicht angenommen hat. Der Mann hat aber den Nachweis geführt, daß er die Arbeit überhaupt nicht leiſten könne. Trotz alledem hat man ihm aber die Unterſtützung verweigert. Das ſind Härten, die vermieden werden ſollten. Darum möchte ich hier von dieſer Stelle aus wünſchen, daß den Kom⸗ miſſionen mit auf den Weg gegeben wird, derartige Härten unter allen Umſtänden auszuſchalten. Meine Herren, noch ein paar Worte in bezug auf das Zuſammenarbeiten mit den Gewerkſchaften. Es heißt hier, daß eine Kontrollſtation vorhanden ſein müſſe. Dieſe Kontrollſtation dürfte unſer Ar⸗ beitsnachweis ſein. Aber wir haben ja hier in Char⸗ lottenburg Gewerkſchaftsbureaus, durch die die be⸗ treffenden gewerkſchaftlichen Organiſationen eine ſtändige tägliche Kontrolle ausüben, und da wäre es meines Erachtens ganz gut geweſen, wenn ſich der Magiſtrat für ſeinen Teil auf dieſe Kontrolle der Gewerkſchaften beſchränkt und auch für ſich als aus⸗ reichend betrachtet hätte. Dann brauchten die gewerk⸗ ſchaftlich organiſierten Unterſtützungsempfänger nur von einer Stelle aus kontrolliert zu werden. Dieſer Weg läßt ſich meines Erachtens ſehr wohl gehen, und ich möchte wünſchen, daß ſich der Magiſtrat noch ein⸗ mal mit der Frage beſchäftigt, ohne deshalb aller⸗ dings die Durchführung ſeiner Beſchlüſſe zu verſchie⸗ ben, ob es nicht doch praktiſch wäre, auch hier in Char⸗ . mit den Gewerkſchaften Hand in Hand zu gehen. Das iſt mein Wunſch, den ich dieſer Vorlage noch mit auf den Weg geben möchte.