Außerordentliche Sitzung vom 17. März 1915 7 die unſerm Volke durch vorzeitigen Verbrauch der wichtigſten Volksnahrungsmittel drohen, zu groß, als daß man nicht möglichſt jeder Urſache dafür nachgehen und an ſeinem Teile die ſo dringend nötige Einſchränkung im Verbrauch mit allen Mitteln fördern müßte. Wir glauben daher, an die in Frage kommenden Firmen die Bitte richten zu ſollen, zu prüfen, ob es nicht — wenigſtens für den Regelfall — angebracht erſcheint, den von ihnen unterſtützten Frauen nur einen Teil der Unterſtützung bar auszuzah⸗ len, den Reſt aber in einer geeigneten Form für ſie aufzuſparen. In beſonderen Notfällen könnte ein Teil des Guthabens freigegeben werden, während der Reſt für ſpätere Zeiten aufgehoben bliebe. Da die allgemeine Enwicklung umſerer Volkswirtſchaft nach dem Kriege heute noch gar nicht überſehen werden kann, ſo iſt es nicht un⸗ möglich, daß das Vorhandenſein jener Spargut⸗ haben ſpäter einmal von allen Beteiligten als ungemein ſegensreich empfunden wird. Die ſtädtiſchen Zuwendungen ſollen ſelbſtverſtändlich nicht gekürzt werden. — Vielleicht iſt es auch beſonders wirkſam, wenn die Firmen, die unſerer Anregung folgen, den Grund für ihre Maß⸗ nahme in eindringlicher Weiſe mitteilen. Meine Herren, ich erkenne unumwunden an, daß ſich der Magiſtrat bei ſeinem Schreiben von einer guten Abſicht hat leiten laſſen. Aber er iſt auf verkehrtem Wege. Wenn er Sparſamkeit üben will — wogegen keiner von uns etwas einzuwenden hat —, dann mag er da anfangen, wo tatſächlich derartige Ratſchläge an⸗ gebracht ſind. Aber es geht doch nicht an, den Arbeit⸗ gebern zu empfehlen: Zahlt den Frauen eurer bis⸗ herigen Angeſtellten nicht mehr ſo viel, damit ſie nicht ſo viel Nahrungsmittel kaufen! (Sehr richtig!) Denn die Unterſtützungen reichen einſchließlich deſſen, was das Reich und die Stadt gibt, tatſächlich nur aus, um den notdürftigſten Lebensunterhalt zu beſtreiten. (Sehr richtigl) Aber nun bitte ich den Magiſtrat, ſich einmal die Wirkung ſeines Schreibens klar zu machen. Nehmen wir an, die Arbeitgeber würden auf den Vorſchlag ein⸗ gehen; ſie würden den Frauen einen Teildeſſen, was ſie ihnen heute in Form von baren Unterſtützungen geben, auf die Sparkaſſe legen. Die Folge wäre doch, daß die Frauen nicht weniger kaufen als bisher, ſondern genau ſo viel, denn ſie würden an anderer Stelle zu ſparen ſuchen: ſie würden einfach den Hauswirten ihre Miete ſchuldig bleiben. (Sehr richtig!) Darüber ſollten ſich die Herren Hauswirte klar wer⸗ den: wenn das, was der Arbeitgeber jetzt gibt, den Frauen zum Teil entzogen wird, dann ſuchen ſie da zu ſparen, wo ſie ſparen können. An Nahrungsmitteln können ſie nicht ſparen; ſie ſagen alſo: Na, dann kriegt der Hauswirt nichts —, und dann haben dieſe wieder das Nachſehen. Ich will gewiß nicht die Intereſſen der Hauswirte wahrnehmen, aber die Folgeerſcheinung wird das ſein, und Sie wiſſen ja alle, daß die Frauen, die von den Arbeitgebern unterſtützt werden, keinen Mietszuſchuß von der len Sie einmal das ſehr berechtigte Klagelied der Haus⸗ Stadt bekommen. Dann ſol⸗ 19 beſitzer hören! Oder aber die Arbeitgeber ſagen ſich einfach: Ja, wenn es den Frauen unſerer Arbeiter ſo gut geht, dann iſt es doch konſequent, daß wir ihnen überhaupt keine Unterſtützung geben. Sie würden alſo den Frauen die Unterſtützung kürzen oder ganz ent⸗ ziehen, und dann müßte die Stadt wieder eintreten und dieſen Frauen wie allen anderen Mietzuſchüſſe gewähren. Dieſe Konſequenzen hat ſich der Magiſtrat offen⸗ bar nicht klar gemacht; ſonſt hätte er ein ſolches Schrei⸗ ben unmöglich an die Arbeitgeber richten können. Aber auch das unterliegt für mich gar keinem Zweifel, daß eine Reihe von Arbeitgebern darin eine Bevormun⸗ dung erblickt, die ſich höflichſt verbitren. Mir iſt bekannt, daß ein Arbeitgeber infolge dieſes Schreibens ſofort bei ſämtlichen Kriegerfrauen angefragt hat, ob etwa der Charlottenburger Magiſtrat in letzter Zeit ihre Unterſtützungen gekürzt habe. Denn die Arbeit⸗ geber haben ſich ja in ihrer Mehrheit, ſoweit ſie ſich überhaupt darüber geäußert haben, immer auf den Standpunkt geſtellt, daß ſie die Unterſtützungen den Frauen nicht deswegen geben, damit Reich und Stadt etwas ſparen, ſondern damit es den Frauen ihrer An⸗ geſtellten etwas beſſer geht als den übrigen. Ich hoffe alſo, meine Herren, daß die Stadtver⸗ ordnetenverſammlung in der Verurteilung des Schrei⸗ bens des Magiſtrats mit mir einmütig iſt, (Sehr richtig!) und ich möchte dringend bitten, daß der Magiſtrat in Zukunft ein derartiges Schriftſtück nicht hinausſendet, deſſen Wirkung er ſich offenbar nicht vor Augen geführt hat. Ich bin überzeugt, daß durch dieſes Schreiben gerade das Gegenteil von dem erreicht wird, was dem Magiſtrat vorgeſchwebt hat. (Bravo!) Bürgermeiſter Dr Maier: Meine Herren! Ich bedaure auf das Lebhafteſte, daß der Herr Stadtv. Hirſch die gegenwärtige Zeit dazu benutzt hat, um hier Unzufriedenheit in die Bevölkerung hineinzu⸗ tragen, die bei der Bevölkerung gar nicht beſteht. Es iſt Ihr Brief!) Meine Herren, ich erinnere Sie daran, daß, als ſeiner⸗ zeit die Unterſtützungsſätze beraten worden ſind, gerade aus dem Kreiſe der Stadiverordnetenverſammlung Anregungen gegeben wurden, die Zuwendungen der Arbeitgeber auf die Unterſtützungsſätze anzurechnen, und daß ich als Vertreter des Magiſtrats mit aller Entſchiedenheit dieſen Anregungen entgegengetreten bin. Ich erinnere Sie auch daran, daß verſchiedene Vorfitzende der Unterſtützungskommiſſionen immer wieder darüber Klage führen, daß eine große Unge⸗ vechtigkeit in der Behandlung der einzelnen Frauen beſteht; daß die eine Frau, die Reichsunterſtützung plus kommunaler Unterſtützung bezieht, daneben die volle Arbeitgeberunterſtützung hat, während die an⸗ dere Frau entſprechend weniger erhält. Gerade dieſer Umſtand hat vielfach zu Beſchwerden Veranlaſſung gegeben. Nun werden Sie aus dem Schreiben erſehen, daß ſich der Magiſtrat mit irgendwelchen rigoroſen Maß⸗ regeln gar nicht beſchäftigt, ſondern ausdrücklich bittet, es möge im einzelnen Falle geprüft werden, ob es nach Lage der Verhältniſſe Stadtv. Hirſſch: (Stadtv. Hirſch: „In der Regel“)