Sitzung am 20. Oktober 1915 Stadtrat Dr Gottſtein: Meine Herren! In Be⸗ antwortung der Anfrage des Herrn Stadtv. Wöllmer und in Ergänzung der Ausführungen des Herrn Bür⸗ germeiſters möchte ich die tatſächlichen Unterlagen, die von Ihnen verlangt worden ſind, geben; ich will mich aber Lei der Anführung von Zahlenmaterial ſo weit einſchränken, als es möglich iſt, da eine Ausſchußbe⸗ ratung beantragt wonden iſt, in der ja Gelegenheit ge⸗ geben ſein wird, weitergehende Angaben zu machen. Meine Herren, wir haben nicht unbeträchtliche Vorräte an Reis und Hülſenfrüchten, dazu auch von Konſerven, die ſich wegen des Fettgehalts zur Abgabe an Volksſpeiſeanſtalten beſonders eignen, im Laufe des vorigen Jahres verhältnismäßig vorteilhaft angekauft. Sie lagern im Hanſaſpeicher und werden auf ihre Güte ſtändig überwacht. Da durch die Beſtimmungen vom April dieſes Jahres die Beſchlagnahme dieſer Nah⸗ rungsmittel erfolgt iſt, ſind wir nicht in der Lage, jetzi ſchon mit dem Verkauf zu beginnen. Wir haben aller⸗ dings die Abgabe geringer Mengen an bedürftig ge⸗ wordene Anſtalten, wie Lazarette, Speiſeanſtalten uſw., ſchon vorgenommen und beabſichtigen, damit fortzufahren. Wir müſſen auch, wenn die Abgabe, die nur noch wenige Wochen ausſteht und für die wir die nötigen Einrichtungen ſchon eingeleitet haben, begin⸗ nen wird, eine einheitliche Feſtſetzung der Preiſe für ganz Groß⸗Berlin haben. Andernfalls ſetzen wir uns der Gefahr au, daß unſere Beſtände, wenn wir zu niedrige Preiſe fordern, nach den Nachbarorten ab⸗ ſtrömen. Es kann gar keinem Zweifel unterliegen, daß unſere einleitenden Maßnahmen zur Erzielung ein⸗ heitlicher Preisſätze für ganz Groß⸗Berlin von Erfolg begleitet ſein werden. Ich möchte ergänzend hinzufügen, daß wir auch einige 100 Zentner Graupen haben, von denen das gleiche gilt, was ich Ihnen eben geſagt habe. Von Pflanzenfetten haben wir uns einen Vorrat von 50 000 Pfund geſichert, der bereits an die Bevölke⸗ rung abgegeben wurde. Gegenwärtig ſind neue Ein⸗ käufe nicht möglich. Ebenſo iſt es trotz aller Verſuche unmöglich geweſen, uns von Oel größere Vorräte zu verſchaffen; es iſt aber nicht ausgeſchloſſen, daß da und dort noch kleinere Mengen zu erlangen ſein werden. Zum Erſatz des Fettes haben wir auch größere Ab⸗ ſchlüſſe in Marmelade gemacht, ebenſo in Ooſt, das jetzt an den Markt kommt, und der Kriegsausſchuß für Volksernährung wird uns bei der Herſtellung von Marmeladen und bei der Abgabe zum Sellſtkoſten⸗ Preis an die Bevölkerung behilflich ſein. Wir haben auch hier recht beträchtliche Mengen im Vergleich zu Denjenigen des Vorjahres angekauft. Was das (Gemüſe betrifft, ſo überwachen wir auf⸗ merkſam die Preisverhältniſſe und behalten uns vor, wie wir das ſchon einmal getan haben, jedesmal dann, wenn ungerechtfertigte Steigerungen in die Erſchei⸗ nung treten ſollten, unſererſeits Waren anzukaufen, was uns gar nicht ſchwer iſt, und ſie in größerer Menge unmittelbar an die Bevölkerung zu erheblich niedrigeren Preiſen abzugelen. Für Kartoffeln iſt neuerdings eine Reichskar⸗ toffelſtelle eingerichtet worden, an der wir auch be⸗ teiligt ſind. Inwieweit es durch die Reichskartoffel⸗ ſtelle möglich ſein wird, die Verſorgung der Bevölke⸗ rung in die Hand zu nehmen, ſteht dahin. Jedenfalls haben wir freihändig denjenigen Bedarf, der für die Froſtperiode zur Deckung des Konſums der Bevölke⸗ rung erfonderlich iſt — und das iſt eine ganz erheb⸗ liche Menge —, ſchon jetzt feſt eingekauft, und wir ſind im Begriff, ſie in den Speichern, die uns die Bahn⸗ verwaltung zur Verfügung geſtellt hat, einzulagern. 111 Die Deckung dieſes Vornats iſt ſchon erfolgt, ſo daß etwaige Notſtände durch Mangel an Fuhrwerk, wie ſie in der Froſtperiode des vorigen Jahres bemerkbar waren, ausgeſchloſſen ſind. 6 2 Was die Fiſche betrifft, ſo wird unſer Fiſchmarkt bei dem großen Bedarf an Erſatzſtoffen für Fleiſch ſehr ausgiebig von der Bevölkerung aufgeſucht; wir haben im Monat etwa 7000 bis 8000 Kunden zu befriedigen. Wir verkaufen friſche Seefiſche ſelbſtverſtändlich zu etwas teureren Preiſen als in normalen Zeiten. Vor allen Dingen haben wir uns große Mengen an Herin⸗ gen beſchafft, deren Abſatz außerordentlich rege iſt. Wir haben reichhaltige Vorräte, und wenn wir in die Lage kommen, ſie zu erweitern, beabſichtigen wir, das zu tun; die Beziehungen hierfür ſind angeknüpft. Was das Fleiſch betrifft, ſo werden vielleicht doch einige Zahlen intereſſieren. Wir haben ſeit Mitte Juni ungefähr ein Drittel unſerer Beſtände verkauft — das ſind rund 4000 Zentner Dauerwaren, Speck uſw. —, und zwar zu Preiſen, die wir im Einver⸗ nehmen mit der Deputation feſtgeſetzt haben und die erheblich niedriger waren als die Preiſe in den Läden. Die abgeſetzten Beſtände haben einen Erlös von etwa 700 000 ℳ eubracht. Wenn wir dieſe Waren zum Durchſchnittspreis der Läden abgegeben hätten, wäre ihr Verkaufspreis etwa 1 130 000 ℳ geweſen, (Hört! hört!) ſo daß wir bei einem Erlös von 700 000 ℳ der Be⸗ völkerung einen Vorteil von etwa rund 400 000 ℳ gewährt haben. (Bravol) Meine Herren, wir verkennen gar nicht, daß die Form, in der wir die Waren abgegeben haben, einige Schwierigkeiten und organiſatoriſche Mängel hat. Wir haben ſchon lange vor den Anregungen, die heute ge⸗ geben worden ſind, nach allen Seiten erwogen und be⸗ ſprochen, o0 eine andere Organiſation zweckmäßig und denkbar wäre. Wir ſind nach reiflicher Ueberlegung und eingehenden Beſprechungen, über die wir bereit ſind im Ausſchuß nähere Auskunft zu geben — ſelbſt⸗ verſtändlich ſind wir jeder andern Anregung auch zu⸗ gänglich —, dazu gekommen, von anderen Maßnahmen abzuſehen, weil bei der Tatſache, daß gegenwärtig die Zahl der Beanſprucher der Waren die Zahl derjenigen, die wir verſorgen, um das Drei⸗ bis Vierfache über⸗ ſteigt, jede Organiſation durch den Magiſtrat, etwa durch Verſchiebung der Verteilung an andere Stellen, die Vermehrung der Verkaufsſtellen uſw., die Schwie⸗ rigkeiten erhöhen und das Problem auch nicht löſen würden. Wir haben zurzeit 30 Verlaufsſtellen — ich will darauf nicht zu weit eingehen —, deren Vermeh⸗ cung die Zahl der Verſorgungsbedürftigen in keiner Weiſe vermindert. Der Andrang würde ſich nur auf eine größere Anzahl von Verkaufsſtellen oder bei einer Verminderung in anderer Form verſchieben. Auch das Markenſyſtem würde den Verkauf erſchweren. Bis vor wenigen Wochen vollzog ſich die Abfer⸗ tigung der Kunden durchaus glatt, bis auf einige klei⸗ nere Mißſtände. Erſt ſeit drei bis vier Wochen iſt der Andrang koloſſal angeſchwollen. Das iſt uns nicht unbekannt geblieben, und wir haben rechtzeirig die Hilfe der Polizei, die in ihren Kräften jetzt auch be⸗ ſchränkt iſt, in Anſpruch genommen. Auf Grund einer Beſprechung iſt in dieſer Woche ein anderes Verfahren eingeführt worden, das nunmehr Ordnung geſchaffen hat. Wir verhehlen uns aber keineswegs, daß es, wie