Sitzung am 3. will nur auf die jetzt ſo überaus dringliche Frage der Milchverſorgung hinweiſen. Unſere Stadt iſt heute nicht in der Lage, aus eigenen Betrieben Milch zu liefern. Warum nicht? Die Stadt Freiburg i. Br. hat in eigenen und Stiftungsſtallungen etwa 2000 Milchkühe ſtehen; das wären, auf Eharlottenburger Bevölkerungsverhältniſſe übertragen, 700 bis 300 Kühe, und ich glaube, dieſe Zahl würde ins Gewicht fallen. Eine Reihe ſüddeutſcher Städte, auch andere: Straßburg, Nürnberg, Augsburg, Dortmund, hat es übernommen, während des Krieges Milchzentralen einzurichten; Dortmund hat eine große Molkerei ins Leben gerufen und Verträge abgeſchloſſen. Die Stadt Stralſund iſt wegen Lieferung von täglich 1000 Litern in Unterhandlungen eingetreten; das wären, auf un⸗ ſere Bevölterungszahl übertragen, ſo viel wie 10 000 Liter. Sie ſehen, es läßt ſich auch während des Krieges noch manches unternehmen. In einer Reihe von Städten hat man die Schlächterei übernommen, ſo z. B. in Zweibrücken. Die bayeriſche Stadt Füſſen hat Maſtvieh geſchlachtet und Fleiſch erſter Quali⸗ tät für 90 § verkauft, wodurch die Schlächter ge⸗ nötigt wurden, ihren Preis um 30 bis 40 5 für das Pfund herabzuſetzen. Die Stadt Köslin hat in dieſen Tagen 2 Stück Rindvieh geſchlachtet, das Pfund zu 80 bis 90 § verkauft und dabei noch einen Gewinn von 70 ℳ pro Stück erzielt. Es iſt alſo tatſächlich möglich, während des Krieges noch manches zu tun. In ganz anderem Maße wäre das freilich mög⸗ lich, wenn wir während des Krieges und ſofort daran gegangen wären, in größerem Umfange gemeinſchaft⸗ lich mit den Nachbargemeinden dieſer Verſorgung näherzutreten. Es haben jetzt eine Reihe badiſcher Städte und die Stadt Ludwigshafen eine Einkaufs⸗ genoſſenſchaft gegründet. Wie nahe hätte es gelegen —und liegt es noch heute —, den Zweckverband Groß⸗ Berlin zu einer ſolchen Einkaufsgenoſſenſchaft umzu⸗ geſtalten! Er könnte mit einem ganz andern Gewicht als die einzelnen Gemeinden, die ſich heute vielleicht auf dem Markt Konkurrenz machen, eingreifen; er tönnte auch einen anderen Einfluß auf die Regierung ausüben. Und hier, meine Herren, komme ich auf einen Punkt, wo wir auch von Verſäumniſſen unſerer ſtädtiſchen Verwaltung reden müſſen. Es iſt vor dem Kriege unterlaſſen worden, die Intereſſen der breiten Konſumentenmaſſen, der groß⸗ ſtädtiſchen Bevölkerung den kleinen, aber einflußreichen Kreiſen gegenüber, die aus unſerer Wirtſchaftspolitik den großen Vorteil gezogen haben, mit dem nötigen Nachdruck zu vertreten. Es wäre wünſchenswert, wenn ſich die Herren Oberbürgermeiſter im Herren⸗ hauſe und an anderen Stellen vielleicht weniger als die Träger königlicher Ehrenketten, ſondern mehr als zur energiſchen Wahrung der Konſumentenintereſſen berufene Sachwalter i hrer Bevölkerung betrachtet hätten, und in dieſer Hinſicht iſt außerordentlich viel verſäumt worden. Die Regierung iſt jetzt dazu gekommen, eine Reihe von Maßregeln zu ergreifen, es ſind Höchſtpreiſe feſtgeſetzt worden. Der Höchſtpreis für Brot war von vornherein viel zu hoch; ihm ſind Getreidepreiſe zu⸗ grunde gelegt, die bereits auf einer unmäßigen Spe⸗ fulation beruhten. Ebenſo iſt es mit den Butter⸗ preiſen, auch bei den Kartoffeln, und wir ſehen das noch auf anderen Gebieten. Das Zentralorgan der chriſtlichen Gewerkſchaften hat vor einiger Zeit darauf hingewieſen, daß man 35 Jahre vor dem Kriege erhöhte Lebensmittelpreiſe bezahlt hat, immer unter dem Hinweis darauf, daß unſere Landwirtſchaft in den Stand geſetzt werden November 1915 127 müſſe, während eines Krieges die Bevölkerung ſach⸗ gemäß zu ernähren. Nun, was iſt die Folge geweſen Die alte Erfahrung: Verzogene Kinder ſind immer undankbare Kinder, und die Landwirtſchaft iſt in einem Maße verzogen worden, daß ſie es während des Krieges in geradezu unerhörter Weiſe unterlaſſen hat, ihre Schuldigkeit zu run, daß ſie aus den traurigen Umſtänden, in denen wir alle leben müſſen, einen ganz unerhörten Konjunkturgewinn gezogen, daß ſic ſich ſogar gar nicht geſcheut hat, gegebenenfalls Le. bensmittel dem Verderben zu überliefern, nur weil die Preiſe, die ihr augenblicklich geboten wurden, ihren Anſprüchen nicht genügten. Ich weiß ja wohl, daß mehr bloß die Landwirtſchaft machen; es teinen Sinn hat, nun⸗ verantwortlich zu (Sehr richtig!) es ſind auch eine ganze Reihe anderer Kreiſe mit⸗ ſchuldig. Denken wir nur an die großen, an die ungeheuerlichen Gewinne, die in den erſten Kriegs monaten die Großmühlen gemacht haben; denken wir an die Treibereien, die ſich der Großhandel und, wo er es fertig gebracht hat, auch der Kleinhandel hat zuſchulden kommen laſſen. Dem will ich hier rühmend die von den Konſumgenoſſenſchaften be⸗ triebene Preispolitik gegenüberſtellen. Die Konſum⸗ genoſſenſchaften haben ſich von Anfang an als Or⸗ gan der gemeinnützigen Bedarfsverſorgung gefühlt und bewieſen; ſie haben ihre früher gekauften Vor⸗ räte zu den alten Preiſen ausverkauft und alles getan, um der Lebensmittelverteuerung in etwas ent⸗ gegenzuwirken. Aler was iſt auf anderen Seiten geſchehen? Wir leſen z. B. aus Gotha, daß ein großer Pächter von mehreren Rittergütern in dem Augenblick, wo ihm von einer Molkerei ein etwas höherer Preis geboten wird, die Milchverſorgung der Stadt Gotha einſtellt und erſt durch Regierungs⸗ verordnung gezwungen werden muß, die paar hun⸗ dert Familien, die er verſorgte, wieder mit Milch zu bedenken. Wir leſen, daß der Pächter der Do⸗ mäne Dahlem vom 1. November ab einen Milch⸗ preis von 40 „5 gefordert hat. Ich muß ſagen: ſolche Dinge gehören an den Schandpfahl! (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Deswegen iſt es notwendig, daß unſere offizielle Vertretung, der Magiſtrat und der Herr Oberbürger⸗ meiſter, viel ſchärſer, als es bisher geſchehen iſt, dieſen Dingen entgegentritt. Wir haben den Antrag geſtellt, der Magiſtrat möge auf den Reichskanzler einwirken, unverzüglich den Reichstag zuſammenguberufen, da⸗ mit in durchgreifender Weiſe dieſen ſchmählichen Preistreibereien entgegengewirkt werde. Wir ſehen ja, daß Maßregeln ergriffen werden, aber verſpätet, unzulänglich, ſchüchtern. Sonſt iſt man wahrhaftig, wenn es der Bevölkerung gegenüber gilt, Vorteile zu erzielen, nicht ſo ſchüchtern geweſen. Meine Herren, es iſt auch eine neue Induſtrie aufgekommen, die ſich mit der Verwertung verdor⸗ bener Nahrungsmittel befaßt. Durch die Zurückhal⸗ tung wichtiger Nahrungsmittel ſind derartige Mengen verdorben, daß heute in den Zeitungen waggonweiſc ſolche Waren angeboten werden. Ja, es hat ſich hier in Berlin eine Geſellſchaft gebildet, die ſich in der Großmarkthalle durch Plakate erbietet, verdorbene Nahrungsmittel fuhren⸗ und waggonweiſe zu be⸗