Sitzung am 3. November 1915 Grundlage des wirtſchaftlichen Lebens ſein und bleiben muß. (Zuruf: Aber nur die Grundlage!) — Es iſt alles im Fluß, Herr Kollege Bernhard, und es liegt mir fern, allzu doktrinär zu ſein. Ich gebe ohne weiteres zu, daß Zeiten kommen können, wo wir auch unſere Anſichten hierüber revidieren; wir werden aber nicht unſere Weltanſchauung ändern; ſie liegt im Charakter. Ich bin der Ueberzeugung, daß das wirtſchaftliche Leben nur da gedeiht, wo dem einzelnen ſeine Freiheit ſo weit gegeben wird, wie es der Allgemeinheit nicht zum Schaden gereicht. (Sehr richtigl bei den Sozialdemokraten.) — Sehr richtig, ſagen Sie; der Sozialismus verlangt aber, daß die Einrichtungen der Allgemeinheit zum Schaden des einzelnen ausgedehnt werden. Widerſpruch bei den Sozialdemokraten.) Darin liegt der große Unterſchied, und es iſt ſehr die Frage, wobei die Allgemeinheit beſſer fährt und das wirtſchaftliche Leben beſſer gedeiht, in dieſer oder in jener Richtung. Aber, meine Herren, ich habe ſchon das aetan⸗ was ich nicht tun wollte: ich habe mich verführen laſſen, dem Herrn Kollegen Katzenſtein auf das Ge⸗ bier der reinen politiſchen Betrachtung zu folgen: das zu tun, iſt jedenfalls augenblicklich unzeitgemäß Herr Kollege Katzenſtein weiß aanz genau, daß alle die Maßnahmen ſozialiſierender Art, die vorae⸗ nommen worden ſind. durch die Krieaslage bedingt werden dadurch. daß Deutſchland vom Weltmarkt ab⸗ geſchloſſen iſt, daß eine Knappheit der Lebensmittel entſtanden, das Angebot aeringer geworden iſt und daß infolaedeſſen die Preiſe ſteigen mußten. Weaen dieſer veränderten Lage des Marktes iſt es eine Not⸗ wendiakeit geworden, daß die Beßörden. und das Reich in erſter Reihe, in die Privatwirtſchaft ein⸗ greifen, ſie reaeln und ihr Höchſtpreiſe vorſchreiben Meine Herren, wir haben im Ausſchuß feſt⸗ geſtellt — und ich alaube da im Namen derienigen meiner Treunde zu ſprechen, die mit mir einer Auf⸗ faſſuna ſind —, daß der Maaiſtrat und die Lebens⸗ mitteldeyntation das aetan haben, was im Rahmen der geſetzlichen Befuaniſſe überhaupt möalich war Verbeſſerungen ſind natürlich immer möalich, und ſi⸗ werden erfolgen, und was in dieſer Beziehung noch geſchehen kann. das ſoll geſchehen, das wird aeſchehen Aßer wir haben auch erkannt, daß die ſtädtiſchen Maßnahmen bearenzter Art ſind, daß uur etwa⸗ Wirkſames geſchehen kann. wenn das Reich ſein⸗ ſtarke Hand dazu bietet. Meine Herren, das iſt ietz“ im Fluß, und auch wir richten heute nochmals den dringenden Appell an die Regieruna, eneraiſche Maß⸗ regeln zu erareifen. weiter auf dieſem Weae fortzu⸗ ſchreiten, um die Bevölkerung vor einer weiteren Ver⸗ teuernna der notwendiaen Lebensmittel zu ſchützen Was ſoll man nun zu dem Antraa der Herren So⸗ zialdemokraten ſagen. daß der Maaiſtrat den Reichs⸗ kanzler erſuchen möae, den Reichstaa ſofort einzu⸗ herufen? Ich tue ja dem Herrn Kolleaen Katzenſtein und ſeinen Freunden wirklich gern einen Gefallen; (Heiterkeit) aber dieſe Form hier erſcheint mir abſolut unan⸗ nehmhar. (Sehr richtig! bei den Liberalen.) 129 Es iſt ja ſelbſtverſtändlich, daß ſich unſere politiſchen Anfichten, die dem Antrage zugrunde liegen. begegnen; aber die Form des Antrages iſt beim beſten Willen nicht annehmbar. Man könnte ſogar im Zweifel darüber ſein, ob er überhaupt noch im Rahmen des der ſtädtiſchen Verwaltung zuſtehenden Petitions⸗ rechtes liegt. Ich will darauf nicht weiter eingehen. Daß die Stadtverwaltung, Magiſtrat und Stadtver⸗ ordnetenverſammlung, von ihrem Petitionsrecht Ge⸗ brauch macht und den Reichskangler bittet, Maß⸗ regeln gegen die Teuerung zu ergreifen, das liegt ja in Ihrem Antrag ſelbſt, den Sie geſtellt haben und der von uns angenommen iſt. Das iſt ja das, was Sie wollen; weiter kann nichts geſchehen. Aber es iſt fraglich, ob es nicht über unſer Petitionsrecht hin⸗ ausgeht, wenn die Stadtverwaltung an den Reichs⸗ kanzler das Erſuchen richtet, den Reichstag einzu⸗ berufen. Es iſt mir zweifelhaft, ob der Geiſt politi⸗ ſcher Geſchicklichkeit über dieſem Antrag ſchwebt; ich bitte, über ihn zur Tagesordnung überzugehen. (Bravo! bei den Liberalen.) Stadtv. Kantzenbach: Meine Herren! Ich möchte gervorheben, daß ich aus den Verhandlunaen des Aus⸗ ſchuſſes den Eindruck gewonnen habe, als ob es doch in manchen Fällen erwünſcht und zweckmäßig wäre, wenn bei den aroßen Einkänfen an Lebensmitteln von der Stadtverwaltung außer den Sachverſtändigen, ie wir in der Devutation haben, bin und wieder noch andere Sachverſtändige aus den Kreiſen der Büner⸗ ſchaft zugezogen würden. Ich möchte deshalb in An⸗ regung bringen. daß dieſe Deputation für die Tolge Iurch Sachverſtändige aus den Kreiſen der Bürger verſtärkt wird. Ich möchte hierbei weiter bervorheben, vaß dieſe Anregung auch den Wünſchen meiner Ireunde entſpricht. Gleichzeitig will ich aber hier nochmals einer Anreaung Ansdruck geben, die ich be⸗ eits im Ausſchuß vorgebracht babe, daß ſich nämlich vie Stadtverwaltung auch den Beꝛug von Süßwaſſer⸗ iſchen und Mild angelegen ſein laſſen möchte. Wenn vurch dieſe Maßnahme auch nicht allzu viel erreicht wird, ſo ſollen wir uns doch von dem Geſichtspunkt leiten laſſen, daß viele Weniae auch hier ein Viel machen, und daß wir beſtrebt ſein ſollen, alle Maß⸗ vegeln zu ergreifen, die geeignet ſind, der jetzt beſtehen⸗ den Fleiſchnot zu ſteuern. Stadtrat Dr. Gottſtein: Herr Stadtverordneter Kantzenbach muß in den Verhandlungen des Aus⸗ ſchuſſes überhört haben oder es muß ihm entgangen ſein, daß ausdrücklich von Magiſtratsſeite erklärt wurde, daß kein einziger Einkauf ohne Zuziehung von Sachverſtändigen ans bürgerlichen Kreiſen erfolgt iſt. Stadtv. Kantzenbach: Ich wollte zum Ausdruck bringen, daß in die Deputation Bürgerdeputierte hin⸗ eingewählt werden, die als Sachverſtändige gelten ſollen. Stadtv. Katzenſtein: Meine Herren! Ich möchte ganz kurz auf die Ausführungen des Herrn Kolle⸗ gen Wöllmer erwidern. Er hat Uebertreibungen in meinen Ausführungen gefunden. Ich glaube, daß ich den Tatſachen nur in ſehr geringem Maße erecht geworden bin. Wollte man die Dinge, wie ſie ſich abgeſpielt haben und wie ſie heute noch beſtehen, in ihrer ganzen Grellheit darſtellen, dann müßte ich