130 Sitzung am 3. ganz andere Farben auftragen, als das in meinen Ausführungen geſchehen iſt. (Sehr richtig bei den Sozialdemokraten, — Wider⸗ ſpruch bei den Liberalen.) Wenn er meine Worte zu ſtark und beleidigend ge⸗ funden hat, ſo iſt es nicht meine Abſicht geweſen, irgend jemand perſönlich ohne Grund zu kränken; aber da, wo die Tatſachen ſprechen, muß es geſtattet ſein, ſie ſo, wie ſie ſind, zu kennzeichnen. Er ſelbſt hat geſagt, die Regierung fange jetzt zu handeln an, leider zu ſpät. Jawohl, leider zu ſpät und leider noch in ſehr ſchüchterner Weiſe. Die Regierung hat ſich monatelang leiten laſſen; ich will die Vorwürfe nicht erneuern. Aber es handelt ſich darum, nunmehr da⸗ für zu ſorgen, daß ſie andere Wege geht, daß ſie ſich nunmehr von dem Schlepptau der Intereſſenten frei macht. Den Vorwurf gegen die Stadtverwaltung kann ich leider nicht zurücknehmen. Daß ſie während des Krieges im großen und ganzen getan hat, was ſie konnte, mit Ausnahme der einzelnen Punkte, die ich 4 habe, das hat bei uns niemals jemand be⸗ tritten. (Hört! hört! bei den Liberalen.) Aber es ſind — und das ſtelle ich nochmals feſt — vor dem Kriege Verſäumniſſe vorgekommen, für die wir heute büßen müſſen, und es ſind manche Punkte noch während des Krieges möglich geweſen und ſind es noch heute, auf die ſich die Stadtverwaltung ein⸗ laſſen ſollte; ich habe Ihnen ein paar Beiſpiele in bezug auf die Milchverſorgung und die Schlächterei angeführt. Ich will Herrn Kollegen Wöllmer gegenüber, der da meinte, es handle ſich bei den Maßnahmen wäh⸗ rend des Krieges nicht um ſozialiſtiſche Maßregeln den ſogenannten Kriegsſozialismus — ich mache mir das Wort durchaus nicht zu eigen, er ſelbſt hat es ja auch nicht gebraucht —, darauf hinweiſen, daß es ſich dabei doch nicht nur um vorübergehende Maßregeln handeln kann. Ich glaube doch, daß die Allgemeinheit gerade durch die Erfahrungen des Krieges ſo viel gelernt und daß man ſo viel Not kennen gelernt hat, wo man ſie nicht vermutete, ſo viel ſozial ſchädliche Erſcheinungen auf dem Gebiete der Lebensmittelverſorgung, ja in der ganzen Volks⸗ wirtſchaft gefunden hat, wo man ſie früher nicht in dem Maße für möglich hielt, daß ſich ganz notwendig dauernde Einrichtungen daraus ergeben werden. Ich will nur auf die Wohnungsfrage, auf die großen Aufgaben in der Bevölkerungspolitik hinweiſen, die uns jahrzehntelang nach dem Kriege beſchäftigen werden. Aber ich glaube, wir ſind doch in den weſent⸗ lichen, in den zurzeit praktiſchen Fragen einiger⸗ maßen einig. (Sehr richtig!) Der Zentralvorſtand des Vereins für das Wohl der arbeitenden Klaſſen hat auf Veranlaſſung des Kol legen Liepmann einen Antrag beſchloſſen, der ſich ganz in derſelben Richtung bewegt; alſo Partei⸗ unterſchiede beſtehen inſofern zurzeit nicht. Es han⸗ delt ſich hier nur um das Maß und die Schärfe der Bertretung, die allerdings für den Erfolg und die Wirkung der Beſtrebungen von großer Wichtigkeit ſind. November 1915 Wenn nun Herr Kollege Wöllmer den formellen Einwand vorbringt, der Magiſtrat ſei vielleicht gar nicht berechtigt, einen derartigen Antrag zu ſtellen, — ach, meine Herren, es handelt ſich doch darum, Maßregeln gegen ſchreiende Notſtände zu treffen. Es iſt gar kein Zweifel, daß die Reichsregierung gegen⸗ über den eng ineinander verfilzten Intereſſenten⸗ klüngeln durch den Reichstag eine gewaltige Rücken⸗ ſtärkung erfahren würde, daß dort der Wille und die Not des Volkes in ganz anderer Weiſe zum Ausdruck käme, als das heute unter dem Belagerungszuſtand möglich iſt. Herr Kollege Wöllmer ſagte dann, er tue uns gern einen Gefallen. Sie tun aber nicht uns, ſondern ſich ſelbſt und der Bevölkerung einen Gefallen, wenn Sie unſerm Antrage zuſtimmen. Unſere Fraktion iſt ja nur eine Minderheit im Reichstage. Es han⸗ delt ſich darum, Wege zu finden und zu gehen, die dem ſchändlichen Zuſtand, in dem wir jetzt leben, wirkſam ein Ende machen ſollen, und deshalb bitte ich Sie, meine Herren: nehmen Sie unſern Antrag an. Wenn recht viele deutſche Gemeinden, vor allen Dingen die Großſtadtvertretungen, demſelben An⸗ trag zuſtimmen, dann haben wir wahrſcheinlich Aus⸗ ſicht, daß er auch bald verwirklicht wird, und dann wird hoffentlich der Weg gefunden werden, nachdem unſere militäriſche Vorbereitung ſo glänzend geweſen iſt, auf dem das, was an der wirtſchaftlichen Vony bereitung ſo gröblich gefehlt hat, wenigſtens einiger⸗ maßen während des Krieges noch auszubeſſern iſt. (Bravo! bei den Sozialdemokraten.) Stadtv. Dr. Liepmann: Meine Herren! Den Antrag, den Herr Kollege Katzenſtein eben befürwortet zat und der darauf hinausgeht, wegen der Einbe⸗ rufung des Reichstages beim Reichskanzler vorſtellig zu werden, betrachten wir nicht eigentlich als einen Antrag, der mit dem vorliegenden Ausſchußantrag in Verindung ſteht. Der Ausſchußantrag beſchäftigt ſich mit kommunalen Maßregeln; der Antrag der Herren Sozialdemokraten geht aber darauf, daß eine andere Körperſchaft einberufen werden ſoll, die eventuell erwas gegen die Teuerung unternehmen ſoll. Das ſteht nach unſerer Anſicht nicht im inneren Zuſammenhang mit dem Antrag, mit dem wir uns beſchäftigen, und ſchon deshalb werden wir gegen dieſen Antrag ſtimmen. 2 Was dann weiter die Kritik betrifft, die der Herr Reoner der Sozialdemokraten an den Zuſtänden in Deutſchland und an der Tätigkeit der Regierung und des Magiſtrats geübt hat, ſo hat ſie Herr Kollege Wöllmer ſchon grell genannt. Ich finde, daß er ſich dabei ſehr milde ausgedrückt hat. Wir haben die Auf⸗ faſſung, daß dieſe Art der Kritik nicht innerhalb des Burgfriedens liegt, den einzuhalten wir uns alle ver⸗ pflichtet haben. Wir werden deshalb nicht auf eine ſachliche Erwiderung eingehen. Wir wollen nur unſer Bedauern ausſprechen, daß große ehrenwerte Stände, wie z. B. die Landwirtſchaft und die Regierung, mit deren Maßregeln wir ja auch nicht in allen Punkten einverſtanden ſind, hier in dieſer kraſſen Weiſe ange⸗ griffen worden ſind. Wir weiſen eine derartige Kritik zurück. (Bravo! bei der Vereinigten alten Fraktion.) Vorſteher Dr. Frentzel: Herr Kollege Liep⸗ mann, bezüglich Ihrer Bemerkung über die Zuläſſig⸗ keit dieſes Antrages mache ich Sie darauf aufmerk⸗