Sitzung am 22. den Antrag auf Dringlichkeit mit Rück⸗ ſicht auf die Ausführungen des Herrn Oberbürger⸗ meiſters, in denen er uns ſagte, daß Verhandlungen mit der Reichsregierung und ſonſtigen Behörden ſchweben, die jedenfalls in der Butterfrage in aller⸗ nächſter Zeit eine weſentliche Aenderung herbeiführen dürften, wieder zurückgezogen. Was iſt nun in der Butterfrage während dieſer 14 Tage geſchehen? Abſolut gar nichts! Es wird hier in dieſem Saale niemand anweſend ſein, der nicht die koloſſalen Menſchenanſammlungen vor den einzelnen Butterverkaufsſtellen geſehen hätte; es wer⸗ den wenige hier im Saale ſein, die ſchon morgens um 5 Uhr die Menſchenanſammlungen beobachtet haben, die vor den Schlächterläden ſtattfinden. Auch dort ſtehen morgens um 5 Uhr ſchon Hunderte von Men⸗ ſchen, die lediglich ein bischen Fleiſch oder Fett kaufen wollen. Meine Herren, wenn die deutſche Heeres⸗ verwaltung ſo jammervoll gearbeitet hätte wie die Reichsregierung hier im Inlande, dann ſtünde es um uns hier ſehr faul, ſage ich Ihnen! aber ſeinerzeit (Sehr gut! bei den Sozialdemokraten.) Die Zuſtände, die ſich hier bei uns im Lande gezeigt haben, kommen nicht an die Oeffentlichkeit; die Preſſe wird infolge der Zenſur nach jeder Rich⸗ tung hin unterdrückt. Es ſind hier Dinge vorge⸗ kommen, die jeder Beſchreibung ſpotten, und das muß hier heute einmal zum Ausdruck gebracht wer⸗ den. Es haben Schlägereien ſtattgefunden: es ſind Leute ohnmächtig geworden; ſie haben ſich um die Butter geprügelt, weil feſtgeſtellt wurde, daß ein⸗ zelne aus dem Publikum wahre Hamſtergeſchäfte machen, daß Leute von anderen Perſonen, die zah⸗ lungsfähig genug ſind, beauftragt werden, Einkäufe in Fleiſch zu machen, das ſich dann dieſe bemittelten Kreiſe wie ein Hamſter in ihre Vorratskammern legen. Das ſind gewöhnlich diejenigen, die den Pa⸗ triotismus in Erbpacht genommen haben, jetzt aber nur auf ihr eigenes Wohl zum Schaden der minder⸗ bemittelten Bevölkerung bedacht ſind. (Widerſpruch und Zurufe.) — Das geſchieht aber ſo. (Stadtv. Dr Liepmann: Woran unterſcheiden Sie dennn das?) — Den Beweis dafür werde ich Ihnen antreten! Die minderbemittelte Bevölkerung iſt infolge der Teuerungsverhältniſſe überhaupt gar nicht in der Lage, für ſich größere Vorräte zu beſchaffen. (Widerſpruch.) Meine Herren, das ſtimmt nun einmal; Sie wiſſen es nur nicht. Sie ſitzen hier im Glashauſe und dür⸗ fen nicht mit Steinen werfen. Gerade die Leute, die 1444 gehen und hamſtern, ſind Leute von Ihrem Holze! (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Meine Kerren, bedenken Sie aber noch ferner⸗ bin etwas Wenn ſo koloſſale Anſammlungen vor unſeren Lebensmittelverkaufsſtellen ſtattfinden, glau⸗ ben Sie denn nicht, daß auch das Ausland das er⸗ fährt; meinen Sie denn, wir ſeien ſo von der Welt abgeſchloſſen, Dezember 1915 153 daß überhaupt nichts nach außen dränge? Ja, die Zenſurbehörde iſt peinlichſt darauf bedacht, alles zu vermeiden, was irgendwie darauf hindeuten könnte, daß hier ein Mangel an Lebeus⸗ mitteln vorhanden iſt. Hier aber wird in breiteſter Oeffentlichkeit gezeigt, daß es der Fall iſt; jeder Aus⸗ länder, der hier durchkommt, muß ja ſehen: Him⸗ mel, was iſt denn in Groß⸗Berlin los, das iſt ja ſchrecklich, vor jedem Butterladen ſtehen Hunderte von Menſchen! Hier vor dieſem Hauſe können Sie es bei dem Butterladen von Ladewig tagtäglich mit anſehen, und die Herren des Magiſtrats werden es wahrſcheinlich von ihrem Amtszimmer aus oft genug beobachtet haben. In neuerer Zeit iſt auch geſagt worden, daß dem⸗ nächſt eine Aenderung in bezug auf die Lebensmittel⸗ verteilung eintreten ſollte. Da iſt mir nun zu Ohren gekommen, daß man beiſpielsweiſe bei der Reisvertei⸗ lung ſchon von vornherein die Verkaufsſtellen des Kon⸗ ſumvereins, dieſer koloſſal großen Genoſſenſchuft einfach ausgeſchaltet hat, und ein Magiſtratsvertreter ſoll dazu geſagt haben: der Konſumverein müſſe erſt ſeine Statuten ändern, da er lediglich an Mit⸗ glieder verkauft. Und dieſer Standpunkt wird ver⸗ treten, trotzdem die Stadt Berlin dasſelbe ſchon immer getan hat. Meine Herren, ich weiß auch nicht, warum ſich nicht die Gemeinden von Groß⸗Berlin einmal etwas näher im Reiche umſehen. Es gibt einzelne Ge⸗ meinden im Deutſchen Reiche, die mit der Verteilung der Lebensmittel ſelbſt ganz gute Erfolge erzielt haben. Beiſpielsweiſe iſt die Stadt Stettin in ganz muſtergültiger Weiſe vorgegangen. Sie hat Fleiſch⸗ und Fettkarten ausgeſtellt, die nach Nummern und Gruppen geordnet ſind, und auf dieſen Karten iſt ausdrücklich vermerkt: die Inhaber der Karten von Nummer ſo und ſo, bis da und da hin, erhalten ihre Lebensmittel in der Verkaufsſtelle ſo und ſo in der und der Zeit. Alſo der betreffende Konſument iſt nur darauf angewieſen, ſich genau nach ſeiner Gruppe und Nummer zu richten und um die betreffende Zeit dort⸗ hin zu gehen. In dieſer Weiſe iſt die Sache dort ge⸗ regelt. Hier in Groß⸗Berlin hat beiſpielsweiſe die Stadt Köpenick ſeit einigen Tagen Butterkarten ein⸗ geführt. Hier in Charlottenburg hat ſich bisher nichts gerührt. Ich leſe heute im Berliner Tageblatt, daß Herr Oberbürgermeiſter Wermuth geſagt hat: mit der Butterkarte iſt nichts, das geht nicht. Meine Herren, führen Sie ſie doch überhaupt erſt einmal ein, und wenn Sie ſehen, die Sache geht nicht, dann ſchmeißen Sie ſie über den Haufen, und dann muß etwas anderes gemacht werden. Denn der Schlen⸗ drian, der augenblicklich in bezug auf die Lebens⸗ mittelverſorgung herrſcht, kann ſo nicht weitergehen. Es wird mir hier eben noch ein Zettel mit einer Notiz hingelegt — ich hätte es beinahe vergeſſen, will es aber jetzt noch erwähnen —, die auf folgendes hinweiſt. Es werden beiſpielsweiſe Soldaten von Leuten aus beſſeren Ständen, wie mir ausdrücklich geſagt worden iſt, beauftragt, Butter für ſie zu kau⸗ fen, die den Soldaten auch unter irgend einem Vor⸗ wande, den ſie angeben, verabfolgt wird. Es ſind troſtloſe Zuſtände, wenn die Angehöri⸗ gen der beſſer bemittelten Kreiſe für ſich alles ein⸗ heimſen, und die arme Bevölkerung darunter dann auf das bitterſte leiden muß. Der Mann, der mor⸗ gens früh zur Arbeit aehen muß, nimmt ſchon wochenlang trockene Stullen mit; er kann ſie nicht lediglich mit Wurſt beſchmieren.