Sizung am 5. Die Haupttätigkeit, die ein Stadtverordnerer auszuüben hat, iſt unzweifelhaft die Kritik. Nun gibt es drei Arten von Kritik. Die erſte möchte ich bezeichnen als die mißtrauiſche Kritik. Sie beſteht darin, daß der Stadwerordnete alle Vorlagen und Anträge zunächſt nicht darauf anſieht, was ſie wollen und was geſchaffen werden ſoll und wie es geſchaffen werden ſoll, ſondern daß er zwiſchen den Zeilen zu leſen ſucht, welche geheimen Pläne und Abſichten etwa der Magiſtrat oder die Antragſteller verfolgen könn⸗ ten, melche Vomweile ſie für ſich zu gewinnen ſuchen und durch welche Mittel ſie vielleicht gar das verehrliche Publikum täuſchen wollen.⸗ Dieſe Art der Kritik kommt bei uns nicht vor; 2 (Heiterkeit) ich erwähne ſie nur der Vollſtändigkeit wegen. Die zweite Art der Kritik möchte ich nennen die verneinende. Der Stadtverordnete, der ſie ausübt, geht an ſeine Arbeit, um zu tadeln. Er prüft die Vor⸗ lagen ſachlich, aber er weiß alles beſſer. 2 (Erneute Heiterkeit.) Die Mittel, die angegeben werden, findet er als nicht geeignet für den gewollten Zweck: die Begründungen ſind nicht ausreichend; die angeſtellten Berechnungen ſtimmen nicht; die Forderungen ſind entweder viel zu hoch oder auch viel zu niedrig. Dieſe Art der Kritik kommt ſelten bei uns vor. 5 (Große Heiterkeit.) Aber in der dritten Art ſind wir bewanderr. Dieſe möchte ich nennen die ſchöpferiſche Kritik. Sie prüft und billigt alles Gute und erkennt es freudig an. Sie erwägt, ob ſich nicht vielleicht hier und da ein ſchwächerer Punkt durch einen beſſeren erſetzen ließe; ſie denkt nach, ſie findet und erfindet und hat das Ziel, ein möglichſt vollkommenes Werk mir⸗ ſchaffen zu helfen. Meine verehrten Herren, durch dieſe Art der Kritik ſtellen wir uns würdig dem Ma⸗ giſtrat an die Seite. Durch dieſe Kritik befördern und befeſtigen wir das Vertrauen und das gute Einver⸗ nehmen zwiſchen den ſtädtiſchen Körperſchaften. Und auf der Einigkeit und dem gemeinſamen Streben nach gleichen Zielen in dieſen Körperſchaften beruht doch immer der Fortſchritt auf dem kommunalen Ge⸗ biete. (Sehr richtig! und Bravo!) Meine verehrten Herren! Mit dem Wunſche, daß Sie dieſe ſchöpferiſche Kritik recht fleißig üben mögen, heiße ich Sie herzlich willkommen. (Lebhaftes Bravo.) Wir kommen zu dem 2. Punkte der Tagesord⸗ nung: Wahl der Mitglieder des Vorſtandes der Stadtver ordnetenverſammlung (Vorſteher, deſſen Stellver treter und vier Beiſitzer). 12 M Ich bitte den 4 Herrn Altersvorſteher, den Vorſtz zu übernehmen. 7 Januar 1916 3 Altersvorſteher Dr. Frank: Meine Kerrn! t meiner Legitimation führe ich an, daß ich am 20. Januar 1834 geboren und weiter feit Ende 1878 Mit⸗ glied der Charlottenburger Stadtverordnetenverſamm⸗ lung bin. Es iſt meine Aufgabe, die Wahl des Vor⸗ ſtehers zu leite n. Ich ernenne zu Beiſitzern die Herren Ruß und Dr Genzmer. Die Wahl erfolgt durch Stimmzettel, die bereits ausgelegt ſind. Ich bitte die Herren, ſie zu beſchreiben und den einſam⸗ melnden Boten zu übergeben. (Die Wahl erfolgt. Das Ergebnis wird ermittelt.) Es ſind 58 Stimmzettel abgegeben. Davon war einer unbeſchrieben. 57 Stimmen ſind auf Herrn I)r Frentzel gefallen. (Bravo!) Herr Dr Frentzel iſt ſomit einſtimmig zum Vorſteher gewählt. Ich frage ihn, ob er die Wahl annimmt. Stadtv. Dr. Frentzel: Meine ſehr verehrten Her⸗ ren Kollegen! Ich danke Ihnen beſtens für dieſen erneuten Beweis des Vertrauens, den Sie mir durch dieſe Wahl wieder gegeben haben. Ich nehme die Wahl mit beſtem Danke an. (Allſeitiges Bravo.) (Den Vorſitz übernehmend:) Ich ſpreche zunächſt unſerm verehrten Altersvorſteher den Dank für die Leitung der Wahlhandlung aus. Wir kommen nunmehr zu der Wahl des Vorſteher⸗Stellvertreters. Ich bitte die Herren, die Zettel zu beſchreiben. (Die Wahl erfolgt. Das Ergebnis wird ermittelt.) Meine Herren, es ſind 58 Zettel abgegeben. Da⸗ von war einer unbeſchrieben. Sämtliche beſchriebe⸗ nen Zettel lauten auf Herrn Dr Hubatſch. (Bravo!) Herr Dr Hubatſch iſt ſomit wiederum zum Vorſteher⸗ Stellvertreter gewählt. Ich frage Herrn Kollegen Hu⸗ batſch, ob er das Amt annimmt. 7 Stadtv. Dr Hubatſch: Meine Herren! Ich nehme das Amt mit Dank an. (Bravo!) Vorſteher Dr. Frentzel: Wir kommen jetzt zu der Wahl der Beiſitzer. Stadtv. Otto (zur Geſchäftsordnung): Meine Herren! Ich ſchlage vor, durch Zuruf die bisherigen Beiſitzer, die Herren Dr. Borchardt, Dunck, Dr Genz⸗ mer und Ruß, wiederzuwählen. Vorſteher Dr. Frentzel: Die Wahl durch Zuruf iſt ſtatthaft, ſofern von keiner Seite Widerſpruch er⸗ folgt. — Ich ſtelle feſt, daß Widerſpruch nicht erfolgt iſt. Damit ſind durch Zuruf die genannten Herren