Sitzung am 19. Januar 1916 Wohnungsreformprogramm bezeichnen, das ja ſeit einer Reihe von Jahren den Gegenſtand der Erör⸗ terung aller Wohnungskongreſſe bildet und die For⸗ derungen aller derjenigen Kreiſe enthält, die ſich als Wohnungsreformer bezeichnen dürfen. Was den Antrag ſelbſt betri ft, ſo geht er zu⸗ nächſt davon aus, daß in unſerer Stadt nach dem Kriege eine Wohnungsnot oder, wie es hier heißt, aller Vorausſicht nach ein Mangel an Kleinwohnun⸗ gen entſtehen wird. Ja, meine Herren, dieſe Vor⸗ frage iſt nicht ſo leicht zu beantworten, wie es viel⸗ leicht ſcheint. (Sehr richtig!) Ich möchte kein Hehl daraus machen, daß ich perſönlich zu denjenigen gehöre, die der Anſicht zuneigen, daß allerdings ein fühlbarer Mangel an Kleinwohnungen im allgemeinen nach dem Kriege zu erwarten ſein wird; gewiſſe allgemeine Erwä⸗ gungen ſprechen dafür. Aber es wird doch auch von manchen erfahrenen Sachverſtändigen dieſe Befürch⸗ tung nicht ſo ſehr geteilt. Ich möchte den Herren Antragſtellern nur entgegenhalten, daß eine ſolche Autorität — Sie werden ſie gewiß als Autorität anerkennen — wie UDr. Hugo Lindemann in Stutt⸗ gart, ein Mann, der ſich ſeit Jahren mit dieſer Frage ganz eingehend berufsmäßig beſchäftigt hat, vor kurzem in der „Kommunalen Praxis“ nach eingehen⸗ der Erörterung aller Für und Wider zu folgendem Urteil gekommen iſt: 2 Ueberklickt man die Momente, die für und gegen die Verſchlechterung des Kleinwohnungs⸗ marktes nach dem Kriege ſprechen, ſo wird man, wenn man die gebührende Vorſicht anwendet, nur zweierlei behaupten können. Einmal, es iſt wahrſcheinlich, daß die Nachfrage nach Kleinwohnungen nach dem Kriege größer ſein wird als vor ihm und während ſeiner Damer, und dieſer Nachfrage wird, da die Bautätig⸗ keit bei weitem nicht einmal das normale Quantum an Kleinwohnungen beſchafft hat, kein entſprechendes Angebot gegenüberſtehen. 3weitens, es iſt niſcht wahrſche in⸗ lich, daß der Wohnungsmangel in der nächſten Zeit nach dem Kriege kat aſtrophal auftreten wird wie nach dem Kriege 1870/71. Ich möchte daram nur die Bitte knüpren, doch auch nicht Beunruhigungen hervorzurufen, die durch die tatſächlichen Verhältniſſe vielleicht nicht gerecht⸗ fertigt ſein werden. 5 Aber unendlich viel ſchwieriger iſt ja die Frage der Mittel zur Abhilfe für den Fall, daß wir mit einem fühlbaren Mangel an Kleinwohnungen zu rechnen haben, und zwar mit einem ſo fühlbaren Mangel, daß ein Eingreifen der öffentlichen Gewal⸗ ten in Reich, Staat und Stadt erforderlich wird. Sie wiſſen ja, daß ſich ſeit Jahr und Tag die geſetzge⸗ benden Körperſchaften in Reich und Staat mit dieſer Frage beſchäftigen. Ich brauche ja nur an das Schickſal der pireußiſchen Wohnungsgeſetzentwürfe von 1904 und 1914 zu erinnern, um zu zeigen, wie ſchwierig doch die Probleme ſind, um die es ſich hier handelt. Die Verhandlungen der Realkreditkom⸗ miſſton im Reichsamt des Innern beſtätigen das ja wohl gleichfalls. Darüber aber ſind alle einig, was Herr Stadtv. Meyer ausgeführt hat, daß die Gemeinden als ſol⸗ 17 che überhaupt nur zu einem ſehr kleinen und unzu⸗ reichenden Teile in der Lage ſind, dieſes Problem zu löſen. Gilt das aber im allgemeinen von den Ge⸗ meinden, ſo gilt es, wie das auch ſchon betont worden iſt, ganz beſonders pon einer einzelnen Gemeinde innerhalb Groß⸗Berlins. Ja, ich nehme kei⸗ nen Anſtand, zu erkkären, daß ich d i e Kleinwohnungsfrage innerhalb einer einzelnen Gemeinde Groß⸗Berlins überhaupt für unlösbar halte. (Sehr richtig!) Schon die Vorfrage, nämlich die Frage, ob wir mit einem Kleinwohnungsmangel zu rechnen haben wer⸗ den, überhaupt die Beurteilung des Wohnungsmark⸗ tes, bietet für die einzelnen Gemeinden innerhalb Groß⸗Berlins ganz außerordentliche Schwierigkeiten. (Sehr richtig!) Denn der Wohnungsmarkt iſt doch wie die meiſten anderen Märkte Groß⸗Berlins nicht ein Markt der einzelnen Gemeinden, ſondern eine Angelegenheit Groß⸗Berlins. Die Sachlage würde klarer liegen, wenn wir aus allen Gemeinden Groß⸗Berlins oder wenigſtens aus den Stadtgemeinden ſtatiſtiſches Material hät⸗ ten. Das haben wir leider nicht. Aus der größten Gemeinde Groß⸗Berlins liegen neuere Zahlen nicht vor. Wir haben ja noch im Oktober 1915 eine Zäh⸗ lung der leer ſtehenden Wohnungen veranſtaltet; die letzte Zählung in Berlin rührt aber aus dem Jahre 1914 her. Dieſe Zählung ergab in Berlin allein über 28 000 leer ſtehende Kleinwohnungen von 1 bis 2 Zimmern, alſo eine ſehr hohe Zahl und erheblich mehr als in den Vorfahren 1912 und 1913 mit etwa 20 000. Wie ſich das inzwiſchen verſchoben hat, ent⸗ zieht ſich jeder exakten Beurteilung; es fehlt uns da jede feſte Grundlage. Meine Herren, daß der Verband Groß⸗Berlin nach der gegenwärtigen Geſetzeslage zur Löſung dieſes Problems nicht zuſtändig iſt, ſteht außer Zweifel. Das iſt durch die Geſetzgebungsgeſchichte klargeſtellt. Das Abgeordnetenhaus hatte bei der Beratung des Verbandsgeſetzes für Groß⸗Berlin beſchloſſen, dem Verbande auch die Sorge für das Kleinwohnungs⸗ weſen zu übertragen; im Herrenhauſe iſt aber dieſe Beſtimmung, die das Abgeordnetenhaus in die Vorlage hineingebracht hatte, geſtrichen worden. Es iſt alſo kein Zweifel, daß der Verband Groß⸗ Berlin nicht zuſtändig iſt. Ich möchte aber doch nicht unterlaſſen, gegen⸗ über dem, was Herr Stadtv. Katzenſtein hier in be⸗ zug auf die Leiſtungen anderer größerer Gemeinden auf dem Gebiete des Kleinwohnungsweſens mitge⸗ teilt hat — es iſt hier hauptſächlich auf Frant furt a. M. hingewieſen worden; es hätten ebenſo aut Düſſeldorf, Eſſen und noch eine Reihe onderer großer Städte genannt werden können —, auf folgendes hin⸗ zuweiſen. Meine Herren, alle die Städte, die hier genannt worden ſind, ſind einmal wirtſchaftlich ſelb⸗ ſtändige Gemeinden, und zwar Gemeinden, die über ein ſehr großes Weichbild verfügen; und das, was uns Herr Stadtv. Katzenſtein mitgeteilt hat, ließ ja ſchon erkennen, daß es ſich dabei um Leiſtungen der Stadt⸗ verwaltungen handelt, die nur auf einem ſehr großen Gemeindegebiet — Frankfurt a. M., das er erwähnte,