91 ſorgung bekannt geworden iſt, zum zweiten, welche Maßregeln er bereits ergriffen hat, und zum drit⸗ ten, welche er zu ergreiſen gedenkt, um ſeinerſeits den Mißſtänden nach Möglichkeit abzuhelfen. Die erſte Mitteilung erbitten wir, um völlige Klarheit zu gewinnen. Wenn es auch ſcheint, als ob die Aufregung unſerer Bevölkerung ihren Höhe⸗ punkt überſchritten hätte, ſo wird doch von einer völ⸗ ligen Beruhigung der Bevölkerung nicht ſchon ge⸗ ſprochen werden können. Dieſe wird aber vielleicht gefördert, wenn an der Hand nüchterner Tatſachen amtlich und in vollſter Oeffentlichkeit durch den Magiſtrat, dem in dieſem Falle wohl auch das Material der Polizeiverwaltung zur Verfügung ſteht, uns mitgeteilt wird: was iſt wahr, was iſt wirklich vorgekommen. Es iſt nicht ſchön, aber es iſt leider menſchlich, einzelne Vorkommniſſe zu verall⸗ gemeinern und an ſich einfache Tatſachen im Wieder⸗ erzählen ſo lange auszugeſtalten und auszuputzen, bis ſie ungeheuer übertrieben ſind. (Sehr richtig!) Eine aufgeregte Bevölkerung iſt nicht zu kritiſcher Prüfung bereit, ſie glaubt in ihrer großen Mehrheit in dieſen unruhigen Tagen in ſehr fachlicher, unbe⸗ man ihr auftiſcht. Darum ſind einwan d⸗ freie Mitteilungen durch den Ma⸗ giſtrat unbedingt nötig. Wer unſer ein⸗ heimiſches Blatt, die „Neue Zeit“, die übrigens in dieſen unruhigen Tagen in ſehr ſachlicher, unbe⸗ fangener und maßvoller Weiſe auf die Charlotten⸗ burger Bevölkerung einzuwirken verſucht hat, heute geleſen hat, der weiß, daß jetzt der Streit ausbricht um die Schuldigen und über die Schuldfrage über⸗ haupt, und daß da Behauptung gegen Behauptung ſteht. Auch aus dieſem Grunde wird eine mög⸗ lichſte Klarſtellung der Verhältniſſe erfolgen müſſen. Wir müſſen erſt wiſſen, was wirklich geweſen iſt, um richtig urteilen zu können. Wenn wir zweitens in unſerer Anfrage fragen, welche Maßregeln der Magiſtrat den Mißſtänden ge⸗ genüber ergriffen hat, ſo ſei dazu ein Doppeltes aus⸗ drücklich hervorgehoben. Auch die beſten Maßregeln fönnen da keine Lebensmittel ſchaffen, wo keine Le⸗ bensmittel vorhanden ſind. (Sehr richtig!) — Wir leben einmal in einer Zeit großer Knappheit; denn nicht ohne Wirkung auch auf dieſem Gebiete ſtehen wir in dem gewaltigſten Kriege aller Zeiten. Wir müſſen ſparſam wirtſchaften, wir müſſen uns einſchränken, ſoweit es nur irgend möglich iſt. Wir müſſen aber durchhalten und können auch durchhalten, auch in der Großſtadt, der man die Rationen beſonders knapp zuzumeſſen ſcheint. Aber wir werden nur durchhalten, wenn auch die Großſtadtbevölkerung in allen ihren Teilen die Ueberzeugung hat, daß die Verteilung der vorhandenen Lebensmittel gerecht erfolgt, daß keine Vorräte zurückgehalten werden, um ſie mit ſchmählich hohen Verdienſten unlauter zu ver⸗ kaufen. Und als Zweites ſei hervorgehoben, daß nicht ctwa unſer Magiſtrat durch ſeine Maßnahmen die Mißſtände grundlegend beſeitigen kann. Die Wurzeln des Uebels liegen tiefer. Die Mängel der Organiſ ation treffen die ver⸗ antwortliche Stelle im Reich. (Sehr richtig!) Sitzung am 10. Mai 1910 Hier muß der Hebel angeſetzt werden, wenn allge⸗ l. und durchgreifende Beſſerung erzielt werden oll. Wenn wir . nach Maßregeln fragen, die der Magiſtrat ergriffen hat, ſo denke ich dabei vor⸗ nehmlich an eins: an das Zuſammengehen der polizeilichen und der ſt ä d tiſchen Verwaltung Charlottenburgs in al⸗ len dieſen Fragen. Ich will nicht unterſuchen, ob bisher irgendwelche Mißgriffe vorgekommen find. Unſere Aufgabe iſt nicht und kann nicht ſein, Oel ins Feuer zu gießen. Wir müſſen aufklärend und beruhigend zu wirken ſuchen. Deshalb aber wünſche ich auf der Grundlage völliger Gleich⸗ berechtigung der beiden Stellen ein Zuſammengehen der polizeilichen und ſtädtiſchen Inſtanzen und nicht etwa eine juriſtiſche Ausein⸗ anderſetzung über die gegenſeitigen Kompetenzen. Als Drittes in der Anfrage bitten wir den Magiſtrat um Auskunft, welche Maßregeln er etwa zu ergreifen denkt. Hier ſetzt einmal die dringliche Anfrage der Herren Kollegen Stadthagen und Gen. und zum zweiten der ſozialdemokratiſche Dringlich⸗ feitsantrag ein. Ich enthalte mich deshalb in dieſem Augenblick jedes Eingehens auf Einzelfragen. Wir werden — ich darf das zur Geſchäftsordnung hier gleich im Zuſammenhang mit bemerken — die Be⸗ ſprechung unſerer Anfrage beantragen; es wird zweifellos auch die Beſprechung der zweiten Anfrage beantragt werden, und wir werden dann die Bitte ausſprechen, die Beſprechung beider Anfragen mit der Beratung des ſozialdemokratiſchen Antrags zu verbinden. Dann werden meine Freunde zu dem ſo⸗ zialdemokratiſchen Antrag Stellung nehmen und auch unſere Wünſche darlegen. Mögen dann die Wünſche dieſer Verſammlung auch nicht in allen Einzel⸗ heiten übereinſtimmen, in den Wünſchen ſind wir hoffentlich alle einig, daß unſere heutigen Verhand⸗ lungen uns ein klares Bild der tatſächlichen Lage ge⸗ ben, daß ſie dazu beitragen mögen, unſere Bürger⸗ ſchaft zu beruhigen, und daß ſie ſchließlich einen Anfang zu einer Beſſerung der Ver⸗ bältniſſe auf dem Gebiete der Le⸗ bensmittelverſorgung für unſere Bürger⸗ ſchaft bedeuten. (Bravo 1) Antragſteller Stadtv. Hirſch: Meine Herren! Den unmittelbaren Anlaß zur Einbringung unſeres Antrags haben die Vorgänge gegeben, die ſich in der vorigen Woche in Charlottenburg abgeſpielt haben. Ich darf wohl annehmen, daß das auch der Anlaß zur Einbringung der beiden uns vorliegenden Anfragen geweſen iſt. Während ſich aber die Her⸗ ren Stadthagen und Gen. und Otto und Gen. auf Anfragen an den Magiſtrat beſchränken, haben wir es für erforderlich gehalten, in dieſem Augen⸗ blick mit einem beſtimmt formulierten Antrag an Sie heranzutreten, einem Antrage, dem Sie hoffent⸗ lich Folge geben und dem dann wohl auch der Ma⸗ giſtrat beitreten wird, ſo daß man ſich wenigſtens 15 einem gewiſſen Umfang eine Abhilfe verſprechen ann. Ich muß vorausſchicken, daß ich in der Beur⸗ teilung der Vorgänge auf den Straßen von meinem Vorredner etwas abweiche. Herr Kollege Otto ſprach von halbwüchſigen Burſchen und Mädchen, die ſich durch Rohheit und ſinnloſe Zerſtörungswut zu