Sitzung am 10. Mai 1916 Erzeſſen haben verleiten laſſen. Das iſt nur ſehr be⸗ dingt richtig. Ich ſelbſt habe die Vorgänge zum guten Teil mit beobachtet. (Zurufe und Heiterkeit.) — Da iſt nichts zu lachen. Ich habe es für meine Pflicht gehalten, als ich erfuhr, was vorging, mich als Mitglied der Lebensmitteldeputation ſelbſt von den Tatſachen zu überzeugen. Ich begreife nicht, wie (s auch nur ein Mitglied in der Verſammlung geben kann, das darüber zu lachen vermag. — Meine Her⸗ ren, man muß ſehr genau unterſcheiden zwiſchen dem Publikum, das ſich am Vormittag auf dem Markt und am Nachmittag und am ſpäten Abend vor eini⸗ gen Läden eingefunden hat, und zwiſchen dem Publi⸗ kum, das in der Nacht die Exzeſſe verübt hat. (Sehr richtig!) Wenn Sie ſelbſt auf den Markt gegangen wären, dann würden Sie gefunden haben, daß es dort hauptſächlich die Hausfrauen geweſen ſind, Haus⸗ frauen, die zum großen Teil durch beleidigende Re⸗ densarten von gewiſſen Händlern zum äußerſten ge⸗ trieben wurden. Am Nachmittag war es auch das⸗ ſelbe Publikum, das Sie tagtäglich vor den Läden beobachten können, das Publikum, das auch dadurch gereizt war, daß ſich — ob fälſchlich oder nicht fälſch⸗ lich, laſſe ich vorläufig einmal dahingeſtellt — das Gerücht verbreitet hatte, daß große Mengen von Fleiſchwaren zurückgehalten würden. Erſt in der Nacht fanden ſich dann die jungen Leute ein, die überall dabei ſein müſſen, wo etwas los iſt, zum großen Teil gar nicht Charlottenburger, ſondern Burſchen, die von überall aus Groß⸗Berlin hierher kamen, um dann die bedauerlichen Erzeſſe zu ver⸗ üben. Das iſt weſentlich anders zu beurteilen als die Anſammlungen am Tage. So ſehr ich die Aus⸗ ſchreitungen bedauere, ſo muß ich doch ſagen, daß ich mich eigentſich nicht wundere über den ſpontanen Ausbruch des Volksunwillens, der dabei zum Durch⸗ bruch kam; im Gegenteil, wenn ich durch die Straßen ging und die Anſammlungen beobachtete, habe ich mir häufig geſagt: ich begreife nicht, wie die Frauen hier ſtunden⸗ und nächtelang ſtehen und dann noch ſo ruhig bleiben können, ſelbſt wenn ſie unverrich⸗ teter Sache wieder abziehen müſſen. Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Man kann ſich nicht darüber wundern, daß endlich einmal der Unwille des Volkes ſich Bahn brach, ſon⸗ dern man muß ſich darüber wundern, daß das Voll ſo lange ruhig geblieben iſt. (Sehr richtig!) Meine Herren, darüber ſind wir uns wohl alle einig, daß die jetzigen 3 uſtände unh alt⸗ bar ſind. Leider iſt das, was uns jetzt über ver⸗ ſchiedene Händler mitgeteilt worden iſt, keine ver⸗ einzelte Erſcheinung. Würde es ſich um eine verein⸗ zelte Erſcheinung handeln, darum, daß der eine oder andere Händler Wucher treibt, ſei es durch Zurück⸗ haltung von Ware, ſei es durch Hinaufſchraubung der Preiſe, ſo hätte man nicht nötig, darüber in öf⸗ fentlicher Sitzung zu verhandeln, ſondern man könnte 95 gegen die Leute auf Grund der geſetzlichen Beſtim⸗ mungen vorgehen. Aber es ſind keine vereinzelten Erſcheinungen. Nicht nur aus Charlottenburg, ſon⸗ dern auch aus anderen Berliner Vororten, aus Ber⸗ lin ſelbſt, aus der Provinz, von überall her werden derartige Fälle berichtet. Naun liegt es mir ſelbſtverſtändlich fern, die Händler alle über einen Kamm zu ſckeren, etwa zu ſagen, daß alle Händler verwerfliche Manipulationen begehen. Eine ſolche Ungerechtigkeit werden Sie mir nicht zutrauen. Aber von einem großen Teile der Händler ſteht das heute nach den Ergebniſſen der polizeilichen Ermittlungen — ich halte mich nur an die amtlichen Veröffentlichungen — feſt. So ſehr man auch dieſe gewiſſenloſen Händler, die ſich nicht ſcheuen, ſich auf Koſten des Volkes zu bereichern, ver⸗ urteilen muß, ſo darf man doch dem Handel nicht die Hauptſchul d beimeſſen. Es iſt ja erklärlich, daß ſich die Wut jetzt in erſter Linie gegen diejenigen richtet, die man gerade bei der Hand hat; das ſind die Händler. Aber Herr Kollege Otto hat ſchon ganz mit Recht darauf hingewieſen, daß die tieferen Urſachen der jetzigen Kalamität ganz wo anders zu ſuchen ſind. Da müſſen wir in erſter Linie unſere An⸗ klagen gegen die Regierung erheben, die mit ihren Maßnahmen viel zu ſpät vorgegangen und zum größten Teil auf halbem Wege ſtehen geblieben iſt. Das eine hat ſich, glaube ich, jetzt auch deutlich geßeigt, daß all das Gerede, daß die deutſche Land⸗ wirtſchaft uns ausreichend ernähren rann, nichts auf ſich hat. (Sehr richtig! — Zuruf des Stadtv. Bernhard.) — Jawohl, Herr Kollege Bernhard, das ſtimmt ganz genau; denn wenn wir nicht eine ſo koloſſale Knapp⸗ heit an Lebensmitteln hätten, dann wäre es nicht möglich, Lebensmittel zurückzuhalten. Dieſe Knapp⸗ heit bildet ja die Vorausſetzung für die Zurückhaltung von Lebensmitteln, ſie bildet die Vorausſetzung für all die Vorgänge, die ſich jetzt abgeſpielt haben. Nehmen Sie einmal an, wir hätten Ueberfluß an Lebensmitteln oder auch nur ſo viel, wie wir zur normalen Ernährung des Volkes brauchten, ſo würde kein Händler wagen, wucheriſche Preiſe zu fordern, und wenn er ſie forderte, würde er ſeine Ware nicht los werden. Aber gerade die Knappheit hat es zu Wege gebracht, daß ſich Händler erlzuben dürfen, ganz exorbitant hohe Preiſe zu verlangen, und leider finden ſich, auch wenn ſie noch ſo hohe Preiſe for⸗ dern, immer Leute, die dieſe Preiſe ohne Rückſicht darauf zahlen, daß ſie damit ihre Mitmenſchen ſchä⸗ digen. Aber, meine Herren, ſo ſehr ich auch der Re⸗ gierung die Hauptſchuſd beimeſſe, ſo kann ich doch andererſeits die Gemeinden nicht ganz von jeder Schuld freiſprechen. (Sehr richtig!) Die Gemeinden haben früher, in den Zeiten des Friedens, die Verſorgung der Bevölkerung mit Le⸗ ſbensmitteln nicht als zu ihren Aufgaben gehörend betrachtet. Wir haben wiederholt und Jahre hin⸗ durch immer und immer wieder dahingehende An⸗ regungen gegeben, die auch leider hier von der Ver⸗