98 Kontrolle hinzugezogen werden. Ich bin überzeugt, daß, wenn entſprechende Vorſtellungen durch den Herrn Oberbürgermeiſter bei dem Herrn Polizei⸗ präſidenten erhoben werden, ſolche Ausweiskarten ſchon in wenigen Tagen ausgegeben werden können. Und wenn die Händler nur wiſſen, daß ſie beobachtet werden nicht von uniformierten Polizeibeamten, ſondern vielleicht von ihren eigenen Berufskollegen, die ſie aber nicht kennen —, ſo wird das, glaube ich, ſchon für viele ein Grund ſein, betrügeriſche Mani⸗ pulationen, zu denen ſie ſonſt vielleicht Neigung hätten, von vornherein lieber zu unterlaſſen. Meine Herren, ich habe ſchon geſagt, daß ich in den Fleiſchkarten kein Allheilmittel erblicke, und ich wage auch nicht zu behaupten, daß ich in den übrigen Punkten unſeres Antrags ein Allheilmittel ſehe; aber ich ſtehe auf dem Standpunkt, daß wir nichts unverſucht laſſen dürfen und alles tun müſſen, ſoweit es in unſern Kräften ſteht, um die Ernährung der ſicherzuſtellen und ſie vor Bewucherung zu ſchüren. Gewiß wird dadurch der eine, der es nicht verdient hat, mit dem andern, der es verdient hat, getroffen; mit dem letzteren kann man kein Mitleid haben. Wer ſich in dieſer ſchweren Zeit, wo ſämtliche Schichten der Bevölkerung ſo große Opfer bringen, nicht ſcheut, ſeine Nebenmenſchen auszu⸗ beuten, verdient kein Mitleid; gegen ſolche Elemente muß mit den allerſchärfſten Mitteln, die uns zur Verfügung ſtehen, vorgegangen werden. Meine Herren, bei der Beratung unſerer letzten Interpellation am 22. Dezember hat der Herr Ober⸗ bürgermeiſter am Schluß ſeiner Rede auch auf die pſychologiſchen Momente hingewieſen. Ich möchte daran anknüpfen und Sie bitten, zu bedenken, daß die Not innerhalb des Volkes groß iſt. Sie ſehen, daß die Empörung in den Maſſen täglich zunimmt⸗ und angeſichts dieſer Umſtände wäre nichts gefähr⸗ licher, als das Volk durch ſchöne Redensarten tröſten zu wollen. (Sehr richtigl) Meine Herren, Worte hat die Bevölkerung genug gehört, ſie verlangt Taten. Deswegen bitte ich Sie, unſern Antrag anzunehmen und damit zu zeigen, daß Sie wirklich geſinnt ſind, ſoweit es in den Kräf⸗ ten der ſtädtiſchen Körperſchaften ſteht, der Not ein Ende zu machen. (Bravo! bei den Sozialdemokraten.) Frageſteller Stadtv. Dr. Stadthagen: Meine Herren! Meine Freunde haben ihre Wünſche in die Form der Anfrage gekleidet: Wann gedenkt der Magiſtrat eine Fleiſch⸗ karte einzuführen, die allen Schichten der Be⸗ Bevölkerung die gleiche Menge Fleiſch ſichert? Wir ſind in der Tat der Anſicht, daß es auf prak⸗ tiſche Maßnahmen ankommt. — Ich ſehe ſchon wie⸗ der ein Lächeln auf einigen Geſichtern. Es iſt eben eine vollkommene Verkennung der Sachlage, wenn dieſe Angelegenheit nicht mit dem rechten Ernſt be⸗ handelt, wenn von vornherein gegenüber Vorſchlägen geſagt wird: das iſt ja gar nicht möglich. Meine Herren, es iſt möglich! Bei Gelegenheit der Ein⸗ führung der Butterkarte habe ich ähnlich wie der Herr Vorredner darauf hingewieſen, daß das Syſtem, das die Stadt eingeführt hat, falſch iſt. Die ſtädtiſche Verwaltung hat auf einem anderen Stand⸗ Bevölkerung Sitzung am 10. Mai 1916 punkt geſtanden; die Entwickelung hat uns, wie der Herr Vorredner ausgeführt hat, recht gegeben. Meine Herren, ich gehe auf die großen Fragen der geſamten Fleiſchverſorgung unſeres Volkes nicht ein; dazu vollkommen nach allen Richtungen hin Stellung zu nehmen, ſind wir, hier wenigſtens, nicht in der Lage. Nach den geſetzlichen Grundlagen der ganzen Kriegswirtſchaft iſt es nicht Aufgabe des Reiches, wie es vielleicht manche denken könnten, für die Ver⸗ teilung und Verbrauchsregelung der Lebensmittel zu ſorgen, ſondern in § 12 der Preisprüfungsſtellen⸗ verordnung vom 4. November 1915 haben die Ge⸗ meinden die weitgehendſte Befugnis, aber auch die weitgehendſten Pflichten zugewieſen erhalten. Es ſteht dort: „Zur Durchführung der Verſorgung der Bevölkerung mit beſtimneren Gegenſtänden des notwendigen Lebensbedarfs zu angemeſſenen Preiſen können die Gemeinden uſw. für die Erzeuger und Herſteller ſolcher Gegenſtände ſowie für die Handel⸗ und Gewerbetreibenden ihres Bezirks Vorſchriften hinſichtlich des Be⸗ triebs, insbeſondere des Abſatzes, des Erwerbs, der Preiſe und der Buchführung erlaſſen, unter Ausſchluß des Handels und Gewerbes die Verſorgung ſelbſt übernehmen und — nach anderen Beſtimmungen zur Regelung des Verbrauchs er⸗ laſſen.“ Das iſt die geſetzliche Grundlage der Fragen, die uns jetzt beſchäftigen. Meine Herren, was haben die Groß⸗Berliner Gemeinden, insbeſondere die Gemeinde Charlotten⸗ burg, die uns ja hier in erſter Linie intereſſiert, getan? Sie haben Wochenkarten für Gegenſtände eingeführt, bei denen ſie nicht über eine beſtimmte Menge der Ware verfügten. Man hat der Einrich⸗ tung den ſchönen Namen Sperrkarte gegeben. Für wen war das eine Sperrkarte2? Das war eine Sperrkarte für die arbeitende Be⸗ völkerung und nicht etwa für die bemittelten Einwohner. Nein, die nichtarbeitende Bevölkerung, die Zeit hatte, ſich ſtundenlang hinzuſtellen, konnte allenfalls Butter bekommen. Es iſt ein Unding, eine Karte mit einem Bezugsrecht für eine beſtimmte Menge einer Ware einzuführen, bei der ich über eine beſtimmte Menge nicht verfüge. Da gibt es nur zwei Wege. Es gibt einmal den Weg, ent⸗ weder von Woche zu Woche je nach den Vorräten, über die ich verfüge, die Menge zu ändern, oder die Möglich⸗ keit, den Zeitraum, für den ich über eine beſtimmte Menge verfüge, be⸗ liebig zu geſtalten. Ich glaube, praktiſcher iſt dieſer zweite Weg, den auch einige Städte be⸗ ſchritten haben. Er iſt auch vor langen Zeiten unſerer Verwaltung ans Herz gelegt worden; es hat nichts geholfen, private Vorſtellungen haben auch nichts vermocht. Wir ſind jetzt ſo weit, daß wir uns die Frage vorlegen müſſen: welchen Weg gehen wir. Darauf kommt es an. Und da möchte ich, trotzdem das eine Einzelfrage zu ſein ſcheint, doch darauf eingehen, weil es meines Erachtens die grundſätzliche iſt, denn wir müſſen unterſcheiden zwiſchen der Zuteilung der notwendigſten Lebens⸗ mittel an die Städte und die Verteilung dieſer Waren durch die Städte. Meine Herren, wir wiſſen: wir haben nicht viel Lebensmittel, aber wir haben genug. Davon bin ich 2 4