Sitzung am 10. Mai 1916 Ich wende mich nunmehr zu dem materiellen Teile der Sache, im weſentlichen zu dem Antrage, den Herr Stadtv. Hirſch begründet hatrt. ezüglich der Fleiſchkarten kann ich mich ſehr kurz faſſen. Ich glaube, wir alle ſind der Ueber⸗ zeugung — das haben auch die Herren Redner ſämt⸗ lich ausgeführt —, daß das Heil der Zukunft nicht allein in der Karte liegt. In gewiſſen Staaten, bei⸗ ſpielsweiſe in Sachſen, ſoll die Kartenwirtſchaft be⸗ reits einen derartigen Umfang angenommen haben, daß ſich jeder Einwohner eine Art von Kartothek an⸗ legen muß. Da aber dieſe Karten leider nicht den Cha⸗ rakter tragen, daß das, was man ſchwarz auf weiß beſitzt, man auch getroſt nach Hauſe tragen kann, ſo nutzen dieſe Karten im allgemeinen wenig, wenn nicht das da iſt, auf das ſie ſich beziehen, d. h. wenn nicht hinter der Form die Materie ſteht. Das kann uns aber nicht abhalten — darin ſtimme ich mit den drei Herren Vorrednern überein —, die Frage auf das Ernſthafteſte zu erwägen. Ich darf betonen, Daß dieſe Erwägung nicht von heute und auch nicht von geſtern datiert, ſondern daß ſie ſowohl im Kreiſe unſerer Nahrungsmitteldeputation als auch beſonders in der in erſter Linie zuſtändigen Körperſchaft Groß⸗ Berlins, im Arbeitsausſchuß der Preisprüfungs⸗ ſtelle, ſeit langem gepflogen worden iſt. Ich kann Ihnen mitteilen, meine Herren, daß die Entſcheidung über die Frage der Einführung von Fleiſchkarten — in welcher Form und in welcher Menge, ſei zunächſt 2 z dahingeſtellt — jedenfalls unmittelbar bevor⸗ eht. (Zuruf.) — In Groß⸗Berlin. — Ich glaube, daß damit der weſentliche Teil der Anfragen nach dieſer Richtung er⸗ ledigt iſt. Ich würde alſo bei dieſer Sachlage gegen die Annahme des von den drei Fraktionen geſtellten Antrags kein Bedenken tragen. Wenn ich mit einem Worte noch auf die Schwie⸗ rigkeiten hinweiſe, die gerade die Einführung einer Fleiſchkarte mit ſich bringt, ſo geſchieht es nur des⸗ halb, damit nicht der Vorwurf erhoben werden kann: warum habt ihr das nicht ſchon längſt gemacht! Sie werden mir ohne weiteres zugeben, daß zwei ſehr ſchwerwiegende Gründe gegen die Einführung gerade einer Fleiſchkarte in dieſem Moment ſprechen: die außerordentliche Geringfügigkeit der zur Verfügung ſtehenden Menge einerſeits und die großen Schwan⸗ kungen dieſer Menge andererſeits. Beides nötigt zur äußerſten Vorſicht. Ich muß dem Herrn Geheimrat Stadthagen in dieſer Beziehung doch entgegentreten, wenn er glanbt, daß es auf das Ausland keine be⸗ ſondere Wirkung ausüben würde, wenn die Reichs⸗ hauptſtadt Berlin mit einem minimalen Quantum einer zur Verfügung ſtehenden Menge auf einer Fleiſchkarte vorgeht. Ich denke darüber anders, und ich muß ſagen, daß ich mich zur Einführung einer Fleiſchkarte mit ſehr geringen Mengen nur durch die äußerſte Not würde drängen laſſen. Aber wie geſagt, es ſcheint ſo weit zu ſein; die Einführung wird ſich vorausſichtlich vollziehen. Daß nebenbei der Einführung einer Fleiſchkarte ungehenre Schwierigkeiten in der Verſchiedenheit der einzelnen Teile des Viehes entgegenſtehen, brauche ich hier nicht zu erwähnen; das werden die Herren ſich ohne weiteres ſelbſt ſagen. Soviel von der Fleiſch⸗ karte. Was nun den zweiten Antrag der FTraktion des Herrn Stadtv. Hirſch betrifft, ſo darf ich feſtſtellen — 103 und ich glaube, daß ich in dieſer Beziehung mit der Majorität der Stadtverordnetenverſammlung durch⸗ aus einig gehe —, daß Ihre Nahrungsmitteldepu⸗ tation ſtets den Standpunkt vertreten hat, daß ein Eingreifen in das Privatgewerbe ſowohl auf dieſem wie auch auf anderen Gebieten nur dann zu ge⸗ ſchehen hat, wenn es unbedingt notwendig iſt und wenn wir ſicher ſind, daß wir durch dieſen Eingriff das erzielen, was wir auch wirklich wollen. Wir dürfen nicht ſo leichtherzig ſein, die augenblicklichen Verhältniſſe lediglich zugrunde zu legen. Wir müſſen und dürfen doch hoffentlich an eine Zeit denken, die uns den Frieden wieder bringen ſoll. Und was das bedeuten würde für unſere geſamte Volkswirtſchaft, wenn wir auch nur auf einem, allerdings dem ſo wich⸗ tigen Gebiete der Nahrungsmittelverſorgung, die dort bisher tätigen Kräfte vollſtändig ausſchalteten, das brauche ich in Ihrem Kreis auch nicht auszu⸗ führen. Ich darf aber den Herrn Stadtv. Hirſch viel⸗ leicht an eine ganz intereſſante geſchichtliche Reminiſzenz erinnern, die ihm wohl bekannt ſein wird. Die italieniſchen Städte — man kann auch von früheren Bundesgenoſſen lernen —, die zum großen Teil ſozialiſtiſch verwaltet werden, haben gerade auf dem Gebiete der Nahrungsmittelfürſorge ſehr inter⸗ eſſante Experimente gemacht, aber leider immer mit einem Erfolg, den der Herr Stadtv. Hirſch wahr⸗ ſcheinlich gar nicht wünſchen wird. Sehr bekannt als Schulbeiſpiel iſt die ſtädtiſche Bäckerei in Catania auf Sizilien. Da hat man nämlich vor etwa 10 Jahren den Verſuch gemacht; man hat einfach das Bäckergewerbe vollſtändig ausgeſchaltet und die ganze Brotherſtellung kommunaliſiert, mit (dem einzigen Erfolge, daß zunächſt eine koloſſal große Anzahl Ge⸗ werbetreibender brotlos gemacht wurde, ſo daß man notgedrungen nochher dazu gekommen iſt, die ſämt⸗ lichen Bäckermeiſter und geſellen als ſtädtiſche An⸗ geſtellte in die Tätigkeit, die ſie vorher ausübten, wieder hineinzubringen, und mit dem weiteren Er⸗ folge, daß nach etwa vier Jahren das Unternehmen als vollſtändig geſcheitert und ausſichtslos aufgegeben werden mußte. Das iſt eins von den vielen Bei⸗ ſpielen, wie in Italien unter ſozialiſtiſchem Regime die Nahrungsmittelverſorgung in den Städten ge⸗ handhabt worden iſt. Das ſind immerhin Zeichen dafür, daß man mit ſolchen Verſuchen ſehr vorſichtig ſein foll. Wir müßten auch, wenn wir hier dazn übergehen wollten, die geſamte Fleiſchverſorgung, den Fleiſchhandel zu verſtaatlichen, über eine ganze große Zahl von ſachverſtändigem, geſchultem Perſonal ver⸗ fügen, das wir auch nur wieder dadurch, wie das Beiſpiel von Catania lehrt, bekommen könnten, daß wir die alten, auf dieſem Gebiet tätigen Leute bei uns heranzögen. Daß dadurch nun etwa alles aus⸗ geſchaltet würde, was jetzt vom Publikum, meiſtens fälſchlicherweiſe, als Bevorzugung einzelner Kreiſe angeſehen wird, das kann ich Ihnen bei allem Ver⸗ trauen in meine eigene Verwaltung auch nicht ver⸗ ſprechen; wenn wir mit denſelben Perſonen arbeiten müſſen, dann liegt es zu nahe, daß auch da das vor⸗ kommen kann, was gerade vermieden werden ſoll. (Sehr richtig!) Meine Herren, ich kann den Wünſchen der Herren von der Linken des Hauſes bezüglich der Verſtadtlichung der Verkaufsſtellen weniaſtens inſo⸗ fern in einem Punkte entgegenkommen, als ich per⸗ ſönlich und mit mir die auf dieſem Gebiete tätigen Dezernenten ſchon vor einiger Zeit die Notwendig⸗