106 weit Produkte innerhalb dieſes Wirtſchaftsge⸗ biets nicht reichlich erzeugt werden, die uns auch von außerhalb nicht mehr oder in unzu⸗ reichendem Maße zugeführt werden, es ein Kampf aller gegen alle ſein würde, wenn es die Kommunen als ihre Aufgabe betrachten würden, ſich mit Rückſichtsloſigkeit auf dieſe Erzeugniſſe zu ſtürzen, um ſie ihrer Bevöl⸗ ferung zu ſichern. Deswegen muß nach meinem Dafürhalten in allen den Fällen, wo die Produktion des Landes knapp iſt, das Reich eingreifen, um durch geeignete Anord⸗ nungen die mangelnde Produktion gleich⸗ mäßig und gerecht zur Verteilung zu bringen, die Preiſe zu regeln und ſo den Verſorgungs⸗ verbänden, die nicht ſelber produzieren können, diejenigen Mengen ſicherzuſtellen, die not⸗ wendig ſind, um die dringendſten Anſprüche der Bevölkerung zu befriedigen. Der Herr Bürgermeiſter führte dann aus, daß dasjenige, was er ſomit für erforderlich hielt, durch gewiſſe Maßnahmen im höchſten Grade erſchwert und gefährdet würde, und bemerkte in bezug hierauf: Was hinſichtlich der Abgrenzung einzelner Wirtſchaftsgebiete innerhalb des Reiches wäh⸗ rend des Krieges geleiſtet worden iſt, das wird ſpäter wahrſcheinlich ein erhebliches Kopf⸗ ſchütteln hervorrufen. Wir haben ſeinerzeit nach vielen Kämpfen und Mühen glücklich den deutſchen Zollverein begründet und müſſen es erleben, daß heute faſt jeder Korpsbezirk zu einem beſonderen Staate durch Ausfuhrver⸗ bote uſw. ausgeſtaltet wird. 7 Meine Herren, die Gründe, die für die Schwie⸗ rigkeiten von Magiſtrat und Stadtverordnetenver⸗ ſammlung als allein ſtichhaltig erachtet wurden, ſind ſeitdem nicht weggefallen, ſondern ſie haben ſich er⸗ heblich vermehrt. Wir wiſſen, daß ſich jetzt nicht nur Korpsbezirke, ſondern ſogar Landratskreiſe von ein⸗ ander abſchließen, und unſere Landeskarte bietet ſo in bezug auf die wirtſchaftlichen Maßnahmen ein buntſcheckiges Bild dar, zu dem glücklicherweiſe die Einmütigkeit aller Deutſchen auf dem Schlachtfelde in einem ganz gewaltigen Gegenſatze ſteht. Was allein die Fleiſchverſorgung anlangt, ſo kann derjenige, der heute vom Oſten unſeres Reiches eine Reiſe nach dem Süden macht, die allermerk⸗ würdiaſten Erfahrungen in ſeinem Tagebuche zuſam⸗ menſtellen. Da haben wir dicht nebeneinander die Bundesſtaaten Baden und Heſſen, von denen Baden die Fleiſchkarte hat, Heſſen keine. In Preußen ſelbſt aber iſt es noch viel vielgeſtaltiger. Da haben wir zunächſt einmal eine Menge von Kommunen, in denen es keine Fleiſchkarte gibt; dann haben wir Kommunen, in denen es eine Fleiſchkarte gibt. Dieſe Fleiſchkarten ſind auch noch verſchieden, verſchieden in bezug auf die Menge, auf die ſie lauten — in einer Stadt ſind es 500 g für die Perſon und Woche, in der andern 250 g uſw. —, verſchieden auch hin⸗ ſichtlich des ganzen Syſtems, auf dem ſie beruhen. Aber noch mehr, meine Herren! In zahlreichen Orten des Deutſchen Reiches müſſen ſich heute die von dieſen Orten Abreiſenden einer Durchſuchung auf Mitnahme von Nahrungsmitteln unterwerfen, die an die Reviſionen erinnert, denen ſich deutſche Reiſende bei der Ueberſchreitung der Grenzen von Alexandrowo und Ventimiglia einſt haben unter⸗ werfen müſſen. Sitzung am 10. Mai 1916 Dieſe Gründe ſind es unſerer Ueberzeugung nach vor allem, die jene Situation verſchulden, in der wir uns ſehen, und wenn ich auch dem Herrn Oberbürgermeiſter darin folge, daß ich dieſe Gründe heute nicht darauf prüfe, ob ein Verſchulden vorliegt, worin gegebenenfalls das Verſchulden beſteht, wie das Verſchulden zu beſeitigen iſt Erwägungen, die ja außerhalb unſeres Einflußbereiches liegen —, ſo ſcheint es mir doch notwendig, daß wir an die Spitze unſerer heute zu faſſenden Entſchließung die Forderung ſtellen, daß in dieſen Verhältniſſen vom Reiche aus Wandel geſchaffen wird. Meine Herren, wenn wir das tun — und das iſt der erſte Punkt des Antrages, den ich verleſen habe —, ſo handeln wir nicht nur im Intereſſe der Groß⸗Berliner Bevölkerung, ſondern wir handeln im wirklichen nationalen Intereſſe. Denn auf den gro⸗ ßen Städten, beſonders auf Berlin, ruhen die Augen des Auslandes, und jede kleine Unruhe, die ſich da bemerkbar macht, wird im Auslande, vor allem im feindlichen Auslande, aufgebauſcht und als ein Symptom innerer Revolution dargeſtellt. Deshalb iſt es auch eine wirkliche nationale Forderung, daß die Reichsregierung alles tut, um durch eine gerechte Verteilung der, wie auch ich glaube, in genügendem Maße vorhandenen Lebensmittel Unruhen in großen Städten zu vermeiden. Ich komme nun zu den Einzelmaßnahmen der Stadt. Solche Einzelmaßnahmen werden — das wiſſen wir — keinen auch nur teilweiſen Erſatz für durchgreifende Maßnahmen des Reiches zu bilden vermögen. Die ſchär feſte Kontrolle, das vielfeitigſte Kartenſyſtem werden nur Stückwerk ſein, wenn die Ware nicht da iſt, und wir überſchätzen deshalb in keiner Weiſe die Abhilfemittel, die wir benützen können. Aber wir müſſen uns damit abfinden, daß durchgreifende Maßnahmen zur Behebung der jetzi⸗ gen Schwierigkeiten bisher vom Reiche, abgeſehen von der Brotverſorgung, nicht getroffen worden ſind, und wir dürfen Maßnahmen, die wir an ſich für zweckmäßig halten, nicht deswegen aufſchieben, weil wir ſagen: Wichtigeres hat das Reich zu leiſten. In dieſem Sinne ſchließen wir uns dem Beſtreben an, Abhilfemittel zu ſuchen, die alsbald von Stadt wegen ohne Rückſicht auf die Maßnahmen des Reiches angewendet werden ſollen. Der erſte Punkt der Anträge der ſozialdemokrati⸗ ſchen Fraktion und der drei übrigen Fraktionen be⸗ trifft die Einführung von Fleiſchkarten für Charlottenburg. Der Herr Oberbürgermeiſter hat bereits dargelegt, daß dieſer Fleiſchkarte nicht mit übertriebenen Hoffnungen entgegengeſehen werden darf. Meine Herren, wir ſind durch die vorzügliche Wirkung der Brotkarte verwöhnt worden: aber wir vergeſſen doch leicht, daß es etwas anderes iſt, den Verbrauch einer Ware zu regeln, deren Erzeugung ſich nach ganz beſtimmten Naturgeſetzen einmal im Jahre zu beſtimmter Zeit vollzieht, etwas anderes dagegen, den Verbrauch von Waren zu regeln, deren Erzeu⸗ gung nach Zeitpunkt und Menge zum mindeſten teil⸗ weiſe im Belieben des Beſitzers ſteht und deren Ab⸗ ſatz nicht ohne weiteres vereinheitlicht und von Staats⸗ wegen geleitet werden kann. In dieſem Zuſammen⸗ hange möchte ich mich auch dem Herrn Oberbürger⸗ meiſter darin anſchließen, daß ich ebenſo wenig wie er die Notlage oder — Notlage iſt nicht der richtige Ausdruck — die Mißſtände auf dem Gebiete der Fleiſchverſorgung lediglich auf ein böswilliges Zu⸗ rückhalten des Viehs durch die Landwirtſchaft zurück⸗