Sitzung am 10. Mai 1916 einem Kriege ſo zu ernähren, wie das augenblicklich der Fall iſt. (Sehr richtig!) Ich habe ja hier nicht die Intereſſen der Landwirt⸗ ſchaft zu vertreten, und ich ſage das auch nicht aus irgendeiner wiſſenſchaftlichen Schrulle heraus, ſondern einfach deshalb, weil das Beſtreben, eine derartige Propaganda gegen die Landwirtſchaft zu treiben, allmählich anfängt, für die Städte ſelbſt gefährlich zu werden, und weil es meines Erachtens bereits, wie die Geſchichte der Nahrungsmittelverſorgung während des Krieges zeigt, für uns außerordentlich gefährlich geworden iſt. (Zuſtimmung.) Es iſt leider in der erſten Zeit der hochgehenden Wogen nicht möglich geweſen, dieſen phraſenhaften Anſchuldigungen energiſch genug entgegenzutreten. Sie ſind ſchließlich ſo allgemein geglaubt worden, daß ſonſt vernünftige Männer nicht mehr gewagt haben, ihnen entgegenzutreten. So ſind denn ſchließlich die Million Schweine abgeſchlachtet worden, was zum Urgrund für die jetzige Fettnot geworden iſt. Das hat die Hetze zur Folge gehabt, die gegen die Land⸗ wirtſchaft getrieben iſt. (Zuruf.) — Darüber werden wir uns noch unterhalten, denn auf die Kartoffeln werde ich mir erlauben gleich zurückzukommen, wo die Dinge genau ſo liegen. So iſt denn das Schwein allerdings zum achten Feinde des deutſchen Volkes geworden. Aber dieſer, Feind iſt etwas anderer Natur als unſere ſonſtigen Feinde. Dieſe hören nämlich auf, uns gefährlich zu ſein, wenn ſie tot ſind, während das Schwein uns leider dadurch gefährlich geworden iſt, daß es im Uebermaß von uns getötet wurde. Ich darf nun darauf aufmerkſam machen, daß etwas Aehnliches bei der Kartoffel vorliegt. Hier kann man doch unter keinen Umſtänden die Frage auf⸗ werfen, ob es der Landwirrſchaft möglich geweſen iſt, das deutſche Volk mit Kartoffeln zu verſorgen; denn wir haben eine Ernte von 50 Mill. Tonnen Kar⸗ toffeln gehabt, und wir brauchen nicht viel mehr als 15 Millionen für die geſamte Volksernährung. (Hört! Hört!) Nun iſt es uns nicht einmal gelungen, dieſe 15 Mil⸗ lionen überhaupt ſicherzuſtellen. Daraus zeigt ſich alſo, daß doch weſentliche Dinge in der Verteilung und der Verſorgung nicht in Ordnung ſind. Das iſt doch klar — ich will das nicht ausführlich unter⸗ ſuchen —: man hat einmal ſehr niedrige Höchſtpreiſe feſtgeſetzt zu einer Zeit, wo die Futtermittel außer⸗ ordentlich teuer waren, hat dann die Kartoffeln trotz des niedrigen Höchſtpreiſes nicht beſchlagnahmt und ſich dann gewundert, daß der Bauer, der das Vieh doch mit irgend etwas füttern muß, die Kartoffeln Yerfuttert hat. Ich berühre dieſe Dinge lediglich deshalb, weil ich, daran zeigen will, daß dieſes dauernde Keile⸗ treiben zwiſchen Landwirtſchaft und Stadt zu falſchen Schlüſſen und falſchen Maßnahmen im Intereſſe der ſtädtiſchen Ernährung führt. Nur deshalb, nur aus ſtädtiſchen Geſichtspunkten bedaure ich dieſe Tendeng, 109 und deshalb habe ich mich darüber gefreut, daß der Herr Oberbürgermeiſter dieſe Frage in beſonderer Beziehung auf die Schlachtung hier behandelt. Selbſtverſtändlich iſt es richtig, meine Herren, daß wir uns den Riemen enger ſchnallen müſſen im Interſſe des Heeres, im Intereſſe der Fleiſchnahrung, die unſere Soldaten draußen haben müſſen. Aber wir dürfen nicht vergeſſen, daß da ſehr ſchwere Mißſtände in bezug auf die ſtaatliche und Reichsorganiſation vorliegen. Das Heer fordert einfach an, und es iſt keine Inſtanz vorhanden, die den Abnehmer kon⸗ trolliert. Wir wiſſen nicht bei der wenig einheitlichen Organiſation, die heute beſteht, bei der abſolut nicht vorhandenen Verbindung zwiſchen Heeresleitung und ziviler Gewalt, ob es nicht einzelnen Intendanten ſpaßt, einfach aufzufordern, wieviel ihnen beliebt. Wenn heute die Intendanten des Feldheeres den merk⸗ würdigen Einfall hätten, alles, was an Fleiſchvor⸗ räten vorhanden iſt, anzufordern und zu Konſerven verarbeiten zu laſſen, ſo würde das gar nicht von irgendeiner Seite feſtzuſtellen ſein. Ich bin ſchon deshalb für die von mir ja auch in der Preſſe fortge⸗ ſetzt geforderte Zentralinſtanz für die Nahrungsmit⸗ telverſorgung durch das ganze Reich. Erſt dann wird es möglich ſein, ſich mit der Heeresverwaltung über das, was notwendig iſt, zu unterhalten. Darüber kann kein Zweifel beſtehen, daß die großſtädtiſche Bevölkerung unter allen Umſtänden den Bedürfniſſen des Heeres gerecht werden muß. Und es gibt wohl keinen in der ganzen Bevölkerung, der nicht erklären würde, daß er bereit wäre, wenn es ſein müßte, auch einige Tage im Jahre zu hungern, wenn er wüßte, daß er uns damit zum Siege ver⸗ hülfe. Aber wir müſſen dann auch in der Tat die Ueberzeugung haben, daß einheitlich ge⸗ hungert wird. Da bin ich nun im Gegenſatz zu dem Herrn Vorredner der Anſicht, daß durchaus nicht ſo einheit⸗ lich gehungert wird. (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Gewiß läßt ſich nicht leugnen, daß die Fleiſch⸗ knappheit zum Teil auch durch Zurückhaltungen von Vieh auf dem Lande mit bedingt worden iſt. Aber dieſe Zuſtände kommen nicht bloß daher, daß Guts⸗ beſitzer und Bauern Vieh, das ſchlachtreif iſt, zurück⸗ halten, ſondern vor allem daher, daß eine geradezn unſelige Organiſation in der Fleiſchverſorgung ein⸗ geführt worden iſt, durch die das Land von ſolchen Intereſſenten entblößt iſt, die ein Intereſſe daran haben, daß ſchlachtreif im Stalle ſtehende Vieh aus dem Stalle herauszuholen. Wenn wir uns einmal klar machen wollen, wie die Zu ſtän de in den Schlächterläden, von denen hier die Rede war, entſtanden ſind, ſo müſſen wir zunächſt zugeben, daß die Schuld daran in allererſter Linie die Polizei trägt. Nachdem die Polizei recht lange verſäumt hat, überhaupt etwas zu tun, verſäumt hat, ſich rechtzeitig einen Plan zu⸗ recht zu legen, hat ſie hinterher übereilt und infolge⸗ deſſen auch ſchlecht gehandelt. Wenn man rechtzeitig ſgeprüft, rechtzeitig überwacht und alles rechtzeitig vorbereitet hätte, dann hätte man unter allen Um⸗ ſtänden zum mindeſten nicht die ganzen Fleiſchmen⸗ gen ſofort verkauft, nachdem man ſie beſchlagnahmt hatte. Denn dazu gehört doch nur ein ganz geringes Durchſchnittsmaß von Vorausſicht, zu erkennen, daß man mit der Maßnahme, die man ſchließlich ergrif⸗