166 ſolche der Kriegsfürſorge handelt, auf andere Organe abzuwälzen. Aber ich will, wie geſagt, dieſe Frage hier nicht weiter erörtern, wir haben uns mit dem beſtehenden geſetzlichen Zuſtand abzufinden, und da iſt es ſelbſtverſtändlich, daß wir als Gemeinde nicht nur an das ſoziale Gefühl der Herren von der Re⸗ „gierung appellieren dürfen, ſondern daß wir ver⸗ pflichtet ſind, auch unſererſeits mit gutem Beiſpiel voranzugehen. Auf dieſen Standpunkt haben ſich vor wenigen Tagen die Vorſitzenden aller Unter⸗ ſtützungskommiſſionen in einer gemeinſamen Sitzung geſtellt, und auch die Vertreter des Magiſtrats haben den gleichen Standpunkt eingenommen. Ich darf vielleicht von den Beſchlüſſen dieſer Zuſammenkunft das Weſentlichſte mitteilen. Es wird Ihnen bekannt ſein, daß wir bisher in Charlottenburg das Syſtem der Normalſätze ein⸗ geführt hatten, d. h., wir hatten beſtimmte Sätze feſtgelegt, die nach unſerer Meinung für den Lebens⸗ unterhalt einer Familie ausreichen, und ſie je nach der Höhe der Kinderzahl abgeſtuft. Es hat ſich nun im Laufe der zwei Jahre herausgeſtellt, daß es viel richtiger iſt, von dem Syſtem der Normalſätze zu laſſen und zu individualiſieren, anſtatt ſo ſchema⸗ tiſch wie bisher zu verfahren. Ferner herrſchte Uebereinſtimmung darüber, daß in denjenigen Fällen, in denen die Kriegerfamilie lediglich auf die Reichs⸗ und die ſtädtiſche Unterſtützung angewieſen iſt, die heute geltenden Normalſätze nicht mehr aus⸗ reichen, und in Konſequenz dieſer Anſchauung ſoll den Kommiſſionen empfohlen werden, in jedem einzelnen Falle unter Berückſichtigung der Verhält⸗ niſſe der Familien die Unterſtützung den wirtſchaft⸗ lichen Verhältniſſen entſprechend zu bemeſſen. Esſ nicht erſt der Stellung eines beſonderen Antrages der Unterſtützten bedürfen, ſondern die Unterſtützungs⸗ kommiſſionen ſollen aus ſich ſelbſt heraus die Unterſtützungen entſprechend regeln. Natürlich heißt das nicht etwa, daß die Kommiſſtonen die Unterſtützungen erniedrigen ſollen, ſondern wenn ſie ſie den Verhältniſſen entſprechend bemeſſen ſollen, dann kann das nur ſo gedeutet werden, daß ſie mit Rückſicht auf die geſteigerten Lebensmittelpreiſe erhöht werden müſſen. Wie hoch die Aufwendungen hierfür ſind, läßt ſich natürlich auch nicht entfernt berechnen, ebenſo wenig, wie wir zu Beginn des Krieges berechnen konnten, was uns die Kriegsfürſorge koſtet, und ebenſo wenig, wie wir heute berechnen können, was wir am nächſten Tage für dieſen Zweck auszugeben haben. Aber, meine Herren, gering werden die Summen nicht ſein. Selbſt wenn wir im Durch⸗ ſchnitt die Unterſtützung für jede Perſon nur etwa um 3 erhöhen, dann würde ſich für den Monat bereits eine Mehrausgabe von etwa 90 000 ℳ er⸗ geben, d. h., wir würden, wenn der Krieg noch ein Jahr dauert, rund eine weitere Million Mark mehr als bisher für Zwecke der Kriegsfürſorge auszugeben haben. Dieſe Zahlen dürfen uns aber nicht ſchrecken. Denn wenn wir die Pflicht erkannt haben, für die Angehörigen der Krieger zu ſorgen, dann dürfen wir es nicht bei ſchönen Redensarten bewenden laſſen, ſondern dann haben wir den Worten die Tat folgen zu laſſen. Wir dürfen uns nicht fragen, was eine Maßnahme koſtet, ſondern wir haben zu fra⸗ gen, was nötig iſt, und hiernach die entſprechenden Maßnahmen zu ergreifen, ganz unbekümmert darum, was nach uns kommt. Niemand von uns kann ja wiſſen, wie unſere Finanzen am Ende des Krieges ausſehen werden. Irgendwelche optimiſtiſchen Hoff⸗ Sigung am 4. Otrober 1216 nungen wird ja niemand haben, unſere Finanz⸗ lage wird wie die aller Gemeinweſen am Schluſſe des Krieges ſchlecht ſein. Aber das iſt eine eura posterior. In erſter Linie kommt es jetzt darauf an, für die Kriegerfamilien zu ſorgen. Ich betone das auch deshalb, weil mir wiederholt — natür⸗ lich nicht von Herren aus der Verſammlung, ſon⸗ dern von Außenſtehenden — geſagt worden iſt: ja, die Kriegerfamilien werden ſo ausreichend unter⸗ ſtützt, und wir müſſen das nachher durch höhere Steuern wieder aufbringen. Mit Leuten, die ſolche Argumente anführen, kann man im Ernſt nicht kämpfen. Wenn lediglich die Furcht, ein paar Mark Steuern mehr zu zahlen, uns davon abhalten ſollte, unſere Pflicht zu erfüllen, dann wäre es traurig um uns beſtellt. Ich freue mich, daß hier in der Ver⸗ ſammlung derartige Stimmen bisher nicht laut ge⸗ worden ſind. Alſo ich glaube, daß wir alle darin überein⸗ ſtimmen, daß auch die Stadt Charlottenburg den veränderten Verhältniſſen entſprechend anders, als es bisher geſchieht, für die Kriegerfrauen ſorgen muß. Wir wollen nicht nur an die Regierung einen Appell richten, ſondern wir wollen gleichzeitig auch zeigen, daß wir unſererſeits unſere Pflicht erfüllen, unbekümmert darum, ob das Reich uns mit gutem Beiſpiel vorangeht oder nicht. Soviel über den erſten Teil des Antrags. Der zweite Teil wünſcht eine Aenderung des Geſetzes dahin, daß die Unterſtützung auch noch für den der Entlaſſung aus dem Heeresdienſt folgenden Monat weitergezahlt wird. Heute iſt es ſo, daß mit dem Ende der Zahlungsperiode, wo der Betreffende oll aus dem Heeresdienſt ausſcheidet, auch die Zahlung der Unterſtützung aufhört. In der Verfügung, die den Kommiſſionen gleich zu Beginn des Krieges zu⸗ gegangen iſt, heißt es: „Scheidet ein Kriegsteil⸗ nehmer aus dem Heeresdienſt aus, ohne Anſprüche auf Militärrente zu haben oder geltend gemacht zu haben, ſo iſt die Zahlung der Kriegsunterſtützung mit der Rückkehr in die Heimat einzuſtellen. Ob und inwieweit eine Erwerbsloſen⸗ oder Armenunter⸗ ſtützung zu zahlen iſt, richtet ſich nach den dafür er⸗ laſſenen beſonderen Vorſchriften.“ — Dieſe Ver⸗ fügung ſteht durchaus im Einklang mit den geſetz⸗ lichen Beſtimmungen. Aber in der Praxis hat ſie zu einer großen Härte geführt. Die Fälle ſind gar nicht ſelten, wo ein Kriegsteilnehmer allerdings ſo⸗ fort nach ſeiner Entlaſſung Arbeit findet, wo er aber das erſte Gehalt oder den erſten Lohn erſt nach 14 Tagen oder vier Wochen ausgezahlt bekommt. Nach dem Wortlaut dieſer Beſtimmung kann ſeine Familie in der Zwiſchenzeit aus den Mitteln der Kriegsfürſorge nicht unterſtützt werden. Es könnte höchſtens die Erwerbsloſenfürſorge oder aber die Armenfürſorge einſpringen. Das will doch hoffent⸗ lich niemand von Ihnen, meine Herren, daß die Familien der Männer, die für uns gekämpft haben, wenn ſie zurückkehren, auf die Armenpflege ange⸗ wieſen ſind. Auch mit der Erwerbsloſenfürſorge iſt es ſo, daß die Scherereien, die den Leuten daraus erwachſen, viel größer ſind als bei der Kriegsfür⸗ ſorge. 8 Ganz ſchlimm ſind die Familien der Männer daran, die aus dem Heere entlaſſen ſind und außer⸗ halb arbeiten. Wir haben doch ſehr zahlreiche Fälle, wo der Mann irgendwo in einer anderen Stadt arbeitet — nicht aus eigenem Antriebe, ſondern er iſt von der Militärverwaltung ausdrücklich dorthin entlaſſen worden mit der Beſtimmung, daß er die 8