198 Prüfung dieſes Tarbeſtandes, ſo mache ich mich unter Umſtänden ſelbſt ſtraffällig. Nach de. Verordnung des Oberkomandos ſoll die Frage berückſichtigt werden, ob jemand körper⸗ lich zur Verrichtung diefer Arbeit imſtande iſt. Herr Kollege Ir Borcha. dt hat bereits vollſtändig mit Recht ausgeführt, daß das eine Frage iſt, deren Prü⸗ fung man nicht dem Portier allein oder dem Haus⸗ wirt überlaſſen kann und über die ſehr wohl Diffe⸗ renzen entſtehen können, die nachher der Strafrichter evemuell zu prüfen hat. Aber es iſt doch ſchließlich nicht bloß der körperliche Zuſtand eines Mieters, der dabei zu berückſichtigen iſt, es kommen doch auch 3. B. Berufspflichten und Familienrückſichten in Betracht. Soll der Arzt, der eben im Begriff iſt, zum Kranken zu gehen, auf die Anordnung des Portiers: „Jetzt ſchippen Sie mal erſt den Schnee weg!“ den Kranken im Stich laſſen? — Oder der Rechtsanwalt, der einen Termin wahrnehmen will, die Verpflichtung zum Schneeſchippen als höher und wichtiger aner⸗ kennen? (Zuruf und Heiterkeit.) — Herr Kollege, ich weiß nicht, ob Sie Ihre Berufs⸗ pflichten jo auffaſſen würden, wenn Sie Rechtsan⸗ malt wären. Und dann die Familienrückſichten! Soll eine Mutter, die i hr Kind zur Schule be⸗ ſorgen will oder die Eſſen zu kochen oder ein kran⸗ tes Kind zu pflegen hat, die Kinder im Stich laſſen, weil Hauswirr oder Portier das wünſcht? Es iſt ja ganz klar und für jeden, de. ſich die Sache nur einigermaßen Jurchdenkt, von vornherein erſichtlich, daß die Durchführung der Veroronung tag⸗ täglich zu Szenen, zu Zänkereien füh en wird, daß die Zwiſtigkeiten zwiſchen dem Hauswirt einerſeits und den Mietern andererſeits, ja zwiſchen den Mie⸗ tern ſelbſt garnicht aufhören werden. Ich möchte ſagen: in einer Zeit, wo ſich die Parteien im Reichs⸗ tage bemühen, den Burgfrieden wieder herzuſtellen, gelingt es dem Oberkommando, durch eine Verord⸗ nung den Hausfrieden dauernd zu ruinieren. Jeder,] der mit Privatklageſachen zu tun gehabt hat, weiß, daß das tägliche Brot der Beleidigungsabteilung der Amtsgerichte die Streitigkeiten auf den Hintertrep⸗ pen ſind. Daß dieſe Streitigkeiten durch ſolche Ver⸗ ordnungen auf das äußerſte geſteigert werden, da⸗ rüber, meine Herren, kann, glaube ich, niemand im Zweifel ſein. Kurz und gut, die Sache iſt ſo wenig durchdacht, ſo unerfreulich, daß die Aufhebung der Verordnung oder ihre Erſetzung durch eine verſtän⸗ dige, wohldurchdachte Verordnung ſehr wohl am Platze wäre. 8 Dabei müſſen wir wieder eine Beſchwerde er⸗ heben, die auch bei früheren Verordnungen ſchon in dieſem Saale erhoben worden iſt. Man kann doch wohl verlangen, daß Rechtsſätze, die ſo ſchwer in das Privatleben der Bevölkerung eingreifen, erſt ergehen, nachdem die Behörde, die eine ſolche Verordnung er⸗ laſſen will, Rückſprache genommen hat mit denjenigen Vertretungskörperſchaften, die zur Wahrnehmung der Rechte und Intereſſen der Bevölkerung berufen ſind. (Sehr richtig!) Ich glaube nicht es iſt mir wenigſtens nie etwas davon bekannt geworden —, daß die Stadtbehörden, die Magiſtrate, bei der Beratung dieſer Verordnung herangezogen worden ſind. Wenn es geſchehen wäre, Sitzung am 14. Novemder 1917 ſo, glaube ich, wäre es nicht zu einer ſolchen Verord⸗ nung gekommen. Ich kann nur den Wunſch aus⸗ ſprechen, daß es dem Einſchreiten der Magiſtrate ſowohl non Charlottenburg wie der anderen Groß⸗ Berliner Gemeinden gelingen möge, dieſe Verordnung beiſeite zu ſchaffen. (Bravo!) Stadtv. Schwarz: Meine Herren! Der letz⸗ ten Ausführung des Herrn Vorredners kann ich nur beiſtimmen. Wenn das Militär kommandiert, ſo iſt es gewohnt, zu kommandieren im Rahmen der ihm bekannten Tatſachen und in bezug auf Tätig⸗ keiten, die den Kommandierten bekannt ſind. Das iſt hier aber nicht der Fall. Darum wäre es durch⸗ aus wünſchenswert, wenn in ſolchen Fällen mit den Stadtobrigkeiten Fühlung genommen würde. Wir haben aber die Form und die Sache zu unterſcheiden. In der Form kann ich dem Kollegen Borchardt zum Teil folgen, nicht aber darin, daß er ſo weit geht, daß aus den Fenſtern herausklingt: weg mit der ganzen Sache! Auf die Form will ich zunächſt eingehen. Daß ein Portier oder ein rbe⸗ liebiger Hauswirt einfach Anordnungen trifft, iſt gänzlich unmöglich. Als die Angelegenheit an mich herantrat, dachte ich zunächſt, ich erhielte ein Formu⸗ lar, das ich herumſchicken ſollte. Nach vergeblichem Warten habe ich mich hingeſetzt und ſelbſt ein For⸗ mular entworfen. Dieſe Arbeit hätte das Ober⸗ fommando für uns beſorgen müſſen. Man hat näm⸗ lich folgende Kategorien zu unterſcheiden: es gibt Kranke, die Schnee nicht beſeitigen können, es gibt Alte, die das auch nicht können, es gibt aber auch Drückeberger, die es nicht wollen. Leute aus den unteren Volksſtänden fragten mich: „Fegen denn die aus dem Vorderhaus auch?“ — und als ich ſagte: „Ja, die fegen auch!“ — erklärten ſie: dann fegen wir auch. Meine Herren, vergeſſen Sie das nicht: wir ſelbſt und unſere Frauen haben die Pflicht, mit. gutem Beiſpiel voranzugehen. (Sehr richtig!) Macht es das Vor derhaus, dann macht es auch das Hinterhaus. (Sehr richtig!) Das iſt abſolut notwendig. Nun gibt es unter den Mietern Leute, die ſchichtweiſe arbeiten; die können nicht ſagen: wir tommen um die und die Zeit, ſie wiſſen es von der einen Woche auf die andere nicht. Da habe ich es in meinem Haus ſo gemacht: ich habe in dem For⸗ mular für die Wochentage je eine Kolonne beſtimmt, dieſe für die Tätigteit am Vormittag reſp. Nach⸗ mittag halbiert. Ich habe es gerade von den ſozial Höchſtgeſtellten erlebt, daß ſie beſtimmte Stunden an beſtimmten Tagen eingetragen haben. Als ich gelegentlich gefragt wurde: wer fegt denn früh⸗ morgens um 6 Uhr? — ſagte ich: „Ich und wer ſonſt noch will. Unſeren Portiers können wir das nicht zumuten. Unſere Portierfrauen ſind heute vielfach unterernährt, bleichſüchtig; ſie haben neben ihrer Hausarbeit ſo lange nach Waren ſtehen müſſen, haben eine ſchwere Laſt mit den Lebensmittelkarten. Die können das nicht neben dem Fegen des Bürger⸗ ſteiges aushalten. Ihre Männer ſind zum großen