Sitzung am 12. Deſenber 1917 Meine Herren! Wir Votſtcher Dr. Frentzel: kommen nunmehr gemäß der Vereinbarung, die wir am Beginn der Siſug getroffen haben, zu der Anfrage der Stadtv. Heidenreich und Genoſſen betr. Bauklaſſeneinteilung. Anftageſtenter Stadtv. Heidenreich: Meine Herren! Am 16. November iſt eine Polizeiverord⸗ nung erlaſſen worden, die für die Entwickelung und Zukunft unſerer Stadt Charlottenburg von aller⸗ größter Bedeutung iſt. Der banſe Teil nördlich der Spree und der Berliner Bahn, alſo Nord⸗Charlotten⸗ burg und das Cebiet, das von der Spandaner Chauſſee, dem Neuen Fürſtenbrunner Weg und der Hamburger Bahn begrenzt iſt, iſt in die Bauordnung für die Vororte verſetzt worden. Leider habe ich meine läne nicht hier, denn ich wußte nicht, daß die Sache te zur Sprache kommen würde, und das bedauere ich ſehr; denn dann würden Sie aus den Plänen er⸗ ſehen, von welch ungeheurer Bedeutung die Sache für Charlottenburg iſt. Das Gelände umfaßt etwa den fünften Teil unſerer ganzen Stadt und etwa vier Fünftel des noch unbebauten Geländes. In den durch dieſe Verände⸗ rung betroffenen Stadtteilen herrſchte bisher die Charlottenburger Banordnung, d. h. der fünf⸗ geſchoſſige Bau und eine etma ſiebzigprozentige Aus⸗ nutzung. Aenderung eten iſt, iſt in die Bauklaſſe I ver⸗ ſetzt worden. e Bauklaſſe L geſtattet eine Be⸗ 4 von 20 4 zwei Geſchoſſe. Alſo die Ver⸗ minderung iſt 40 ein Fünftel der bisher zuläſſigen Ausnutzung gengeſenen Ich wiederhole: früher 70 % Ausnutzung und Erdgeſchoß und vier Ober⸗ geſchoſſe und jetzt 30 %, Ecken 40 % und . und ein Obergeſchoß. Eine derartige Herabfetzung bringt natürlich eine außerordentliche Entwertung des Grund und Bodens mit ſich; von fachmänniſcher Seite iſt dieſe Entwertung auf 40 bis 45 Millionen geſchätzt worden. Hierdurch ſind viele Grundbeſttzer in ihrem Vermögensſtand und in ihrer Steuerkraf: außerordentlich geſchädigt und damit auch zum Schaden der Stadt getroffen worden. Die Bauklaſſe EF iſt die niedrigſte Banklaſſe, die es in Groß⸗Berlin überhaupt gibt; ſie iſt vor ſechs Jahren eingeführt worden und ſpeziell für den Klein⸗ wo mungsbau berechnet. Sie lehnt ſich der Bau⸗ e E an, die die ſogenannte landhausmäßige Bau⸗ weiſe umfaßt, wie ſie in Grunewald, Dahlem und Alt⸗Weſtend herrſcht. Die Abweichung beſteht nur darin, daß das Kellergeſchoß für Wohnzwecke ganz unzuläſſig iſt und das Dachgeſchoß nur 40 qam Wohn⸗ fläche enthalten darf, die aber nicht zu einer beſonge⸗ ren Wohnung gemacht werden dürfen. Dieſe Ver⸗ fügung iſt ja ſehr verſtändig; denn die jetzige land⸗ hausmäſſige Bauweiſe mit Ausnutzung des Keller⸗ geſchoſſes bis zu drei Vierteln würde in Klein⸗ wohnungsgebicten naturgemäß zu Kellerwahnungen führen. Wie weit nun gerade dieſe Sanordnn für kleine Wohnungen in Charlottenburg am Platze iſt, wiſſen die Feer ja ſelbſt; jedenfalls liegen mit dieſer Bauklaſſe bisher noch keine Erfahrungen in Groß⸗ Berlin vor. Eines ſteht aber feſt: die Straßenregu⸗ lierungskoſten können bei einer ſo geringen Aus⸗ 242 0 nicht vom Grundbeſitzer getragen werden. r Stadtbaurat von Berlin, Herr Geheimrat Krauſe, eine e für ein Gelände bei Plötzenſee, 1 210 das ebenfalls mit der Bauordnung 1 beglückt iſt —— wie er mir ſagt: gegen den Willen der Stadt Berkin —, auſgemacht und ausgerechnet, daß, wenn auf dieſem Gebiete Mietwohnungen errichtet und zu nor⸗ malen Preiſen vermietet werden, dann die Mietpreiſe die Unkoſten und die Zinſen der Baukoſten decken, und es bleiben noch 4,50 ℳ pro qm für die Boden⸗ oſten und Straßenregulierung übrig; letztere koſtet jedoch bei den allerbeſcheidenſten Anſprüchen, wie er an der Hand von Plänen nachgewieſen hat, 7,25 . pro am. Wenn alſo jemand nach der Bauklaſſe 1 die Straße regulieren will, ſo muß er das Land ge⸗ ſchenkt bekommen und noch pro am 2,75 ℳ dazu 7 Das iſt das einzige, was bisher über die Bauklaſſe 1 bekannt iſt; angewendet iſt ſie in Groß⸗ Berlin noch nicht. Die Stadt wird alſo unter allen Umtänden gezwungen ſein, die Straßenbaukoſten ſelbſt zu tragen, oder, was wahrſcheinlich iſt, eine Erſchließung wird überhaupt nicht erfolgen; denn der Eigenbau, der in beſchränktem Maße auch überall. möglich iſt, wird die Gegend nicht für reizvoll genug halten, um ſich dorthin zu ziehen. Meine Herren, die Vorortbauordnung von Groß⸗ Berlin, mit der wir jetzt auch für einen großen Teil unſeres Gebiets beglückt ſind, iſt nach meine r Meinung —2 der vieler Fachleute ein großes Unglück für Groß⸗Berlin. Sie iſt in erſter Reihe ſchuld daran, Der größte Teil des Gebietes, das von der daß ſich in Berlin die Bebauung e dichter ge⸗ ſtaltet hat und weite Gebiete um Berlin der Bebauung bergebens harren infolge einer unpaſſenden Bau⸗ ordnung. Wir mögen fahren von Berlin nach welcher Richtung wir wollen: wo der Hochbau aufhört, da hört im w. ſa en auch die Bebanung überhaupt auf. Es iſt nicht gelungen, mit einer weiträumigen Bebauung erhebliche Bruchteile unſerer Bevölkerung in die Vororte zu ziehen. Ich will weiter nichts feſt⸗ ſtellen als dieſe Tatſache. Derzus allein müßte man ſchon die Schlußfolgerung ꝛiehen, daß dieſe Bau⸗ ordnung nicht richtig iſt. Charlottenburg iſt eine alte Stadt, ſie iſt kein Vorort. Wir haben alte Rechte, haben ſeit langem unſere Charlottenburger Bauordnung, und wenn eine Aenderung notwendig iſt, ſo dürften wir es doch unter keinen Umſtänden zulaſſen, daß uns eine Bauordnung vorgeſchrieben wird, die ſich 44 und nirgends bewährt hat und gleichzeitig unſeren Bürgern einen Schaden von 40 bis 45 Millionen zufügt. Wir müſſen weiter bedenken, daß die fraglichen Gelände hohe Grundwertſteuern gebracht haben. Seit 25, 30 Jahren wird dieſes Terrain als Gelände für fünf⸗ , Bauweiſe verſteuert. Wenn das öffent⸗ liche Wohl ſo große Opfer erfordert, ſo werden ſie auch von unſeren Bürgern gebracht werden müſſen; aber das Gegenteil iſt hier der Fall: es wird nur die Brachlegung weiter Gebiete herbeig⸗führt. Ich weiß, daß an maßgebender Stelle eine andere Meinung über die Bauordnungen herrſcht. Mit kindlichem Eigenſinn ſetzt man ſich über alles hinweg, was die Erfahrung beweiſt, und was er⸗ fahrene Fachleute immer und immer wieder von neuem betonen. Das Urteil erfahrener Fachleute wird als Intereſſentenurteil für wertlos erklärt, und doch können gerade über die außerordentlich kom⸗ plizierten Zuſammenhänge in der Wohnungsher⸗ ſtellung nur die Leute ein richtiges Urteil haben, die die Erſchließung von Gelände und den Wohnhausbau aus der Praxis kennen. Außerdem iſt die Furcht, daß die Fachleute zu ſehr ihre eigenen Intereſſen bei der , derartiger Fragen vertreten, nicht