69 Sitzung am 12. März 1919 Stadtv. Dr. Broh (fortfahrend): Die 150 abge⸗ ſchlachteten Kriminalbeamten, die angeblich in Lich⸗ tenberg lagen, ſind, wie Sie alle wiſſen, eine der vielen Erfindungen des Vorwärts und des Berliner Tage⸗ blatts. Damit wird natürlich hauſieren gegangen und das Spießbürgertum in Charlottenburg aufge⸗ regt, damit nun auch zu ſeiner Sicherheit die Regie⸗ rungstruppen kommen und womöglich die Straßen Charlottenburgs ſo zerſchießen, wie ſie die Frankfurter Allee und Lichtenberg zerſchoſſen haben. Gott be⸗ wahre uns vor dem Schutz dieſer Regierunastruppen, 7 Sie ſo ſehnlichſt herbeiwünſchen und herbei⸗ hoffen. Nun wurde geſagt, das wäre alles ein Erzeugnis der Revolution. Nein, verehrter Herr Dr Krüger, das iſt alles nur ein Erzeugnis des 4½ Jahre wäh⸗ renden Weltkrieges. (Sehr richtig! bei den Unabhängigen Sozial⸗ demokraten.) Der hat erſtens einmal die Menſchen zu Beſtien ge⸗ macht. Aber dieſelben Leute, die Sie heute als die Schlächter, als die Beſtien hinſtellen, ſind diejenigen, die Sie vorher als die deutſchen Helden vergöttert haben, als es nämlich zu kämpfen galt, (lebhafte Zurufe bei den bürgerlichen Parteien) während Sie hier in Sicherheit ſaßen. (Erneute lebhafte Zurufe. — Glocke des Vonſtehers.) Vorſteher Dr. Borchardt (unterbrechend). Ich muß noch einmal erſuchen, den Redner nicht andau⸗ ernd zu unterbrechen. Sie überzeugen ſich ja doch ſelbſt, werte Kollegen, daß die Verhandlungen da⸗ durch ganz außerordentlich in die Länge gezogen werden. Stadtv. Dr. Broh (fortfahrend): Alſo dieſe Hor⸗ den aus dem Felde ſind es, die jetzt die Kämpfe in Berlin und Charlottenburg ausfechten. Das iſt die Folge Ihrer Maßnahmen. Denn Sie waren es ja und, wie ich inzwiſchen gehört habe, gerade auch Herr Kollege Dr Luther, der ſtets dafür eingetreten iſt, den Krieg ſolange wie möalich durchzuhalten, und der das Wort gerufen hat: Gott ſtrafe Enaland! Nun wurde geſagt: ja, jene Völker haben ihre Nation hochgehalten und deshalb haben ſie aeſtegt. Nun ſtimmt das ſchon überhaupt aus dem einfachen Grunde nicht, weil ja die Entente, wie Sie alle wiſſen, ſelbſtverſtändlich durch die Hilfe der Ameri⸗ kaner geſiegt hat, und Sie wollen doch nicht be⸗ haupten, daß Amerika etwa in dem Sinne national iſt, wie es Deutſchland iſt. Amerika ſtellt eine Zu⸗ ſammenwürfelung der verſchiedenſten Völker dar: von Deutſchen, Enaländern, Italienern, Irländern uſw., die erſt vor qanz kurzer Zeit hierhergekommen ſind, und an der Weſtfront haben ſehr viele Deutſche unter amerikaniſcher Flagge begeiſtert gegen Deutſch⸗ land gekämpft. Alſo mit Ihrem nationalen Humbua kommen Sie uns nicht! 2 (Stürmiſche Rufe bei den bürgerlichen Parteien⸗ e,, Pfect Cchent), Wenn Sie im übrigen meinten — ich kann dach nicht verſtehen, was Sie daßriſchenrufen —, daß der altonaltems — ich wem nicht, wie Sie ſch ausdrückten — nur ein Mißgewächs auf dem nationalen Boden ſei, ſo proteſtiere ich auch hier⸗ gegen. Wir haben nichts mit Ihren nationalen Ideen gemeinſam, merken Sie ſich das bitte. Wir ſtehen ausſchließlich auf dem Boden des Inter⸗ nationalismus, wir kennen keine feindlichen Na⸗ tionen, wir kennen nur Menſchen, die einander gegenüberſtehen, und allerdings eventuell Menſchen, die wir ſachlich bekämpfen müſſen, weil ſie den alten mordenden Haß immer noch in der Welt verewigen wollen, und das ſind Sie, die Nationaliſten! Stadtrat Dr. Fiſcher: Ich möchte ganz kurz auf einige Ausführungen der einzelnen Herren Vor⸗ redner eingehen, um in der Oeffentlichkeit nicht den Eindruck zu erwecken, als ob der Maaiſtrat bei der Belegung der Schulen etwas verſehen hätte. Der Fall, auf den die Herren angeſpielt haben, betrifft offenbar die Auguſte⸗Viktoria⸗Schule, und das iſt der einzige Fall, wo eine kurze Zeit lang der Schul⸗ unterricht fortaeführt worden iſt, obwohl einzelne Räume der Schule als Geſchäftszimmer durch das Militär beſetzt waren. Die Beſchlaanahme dieſer ein⸗ zelnen Zimmer iſt damals unmittelbar durch das Militär erfolgt, und der Maaiſtrat hat ſich dem nicht widerſetzen können. Wir haben dann zunächſt er⸗ reicht, daß dieſe Einquartierung der Truppen auf einen Flur beſchränkt blieb, ſo daß verſucht wurde, vorläufig den Unterricht weiter zu führen. Während dieſer Zeit iſt es vorgekommen, daß Mädchen von einzelnen Soldaten veranlaßt worden ſind, Knöpfe anzunäl en und dal. Bei dieſer Beſchäftigung ſollen außerdem unſittliche Redensarten gefallen ſein. Außerdem iſt es Tatſache, daß zwei Mädchen der Auguſte⸗Viktoria⸗Schule Krätze bekommen haben. Ob das auf die Einquartierung zurückzuführen iſt, kann ich nicht angeben; es iſt immerhin möglich. Nachdem ſich dieſe Unzuträalichkeiten herausaeſtellt hatten, lat jedenfalls die Schulverwaltuna veranlaßt, daß der Unterricht in die Leibniz⸗Oberrealſchule ver⸗ legt worden iſt. In allen anderen Fällen haben wir grundſätzlich die Schulen, in denen eine Einquar⸗ tierung erfolate, vollſtändia freigemacht. Es iſt natürlich unmöalich, aroße Maſſen von Soldaten in Privatquartieren unterzubringen, worauf einer der Herren Vorredner hinwies. Selbſtverſtändlich wer⸗ den die belegten Schulen vor der Wiederaufnahme des Schulunterrichts außerordentlich ſorafältig des⸗ infiziert, ſo daß es ausaeſchloſſen iſt, daß infolge der Einquartierung die Schüler oder Schülerinnen Krätze oder Läuſe bekommen können. Ferner haben wir bei der Auswahl dieſer Schulen für die mili⸗ täriſche Einquartieruna in allererſter Linie die Ge⸗ bäude in Anſpruch genommen, die nach ihrem bau⸗ lichen Zuſtande bezüglich ihrer ſchlechten Beſchaffen⸗ heit zunächſt in Betracht kamen; es iſt nicht richtig, daß in erſter Linie die beſſeren Gebäude dafür ver⸗ wandt worden ſind. Stadtv. Dr Liepmann: Meine Damen und Herren! Der letzte Herr Redner der Sozialdemo⸗ kratie hat ſich gegenüber dem Appell an das na⸗ tionale Gefühl auf ſeinen internationalen Stand⸗ punkt zurückgezogen. Wie herrlich weit die Sozial⸗ demokratie mit dieſem Drang nach internationa⸗ liſtiſcher Zuſammenfaſſung gekommen iſt, haben ic die Entente⸗Sozialdemokraten gezeigt: kalte Ab⸗ weiſung und Nichtachtung haben ſie dieſem Beſtreben nach Verbriderung gegenübergeſeht und ſich auf ihr