148 Sitzung am Vorſteher Dr. Borchardt: Herr Kollege, darum handelt es ſich nicht, ſondern darum, ob Sie zur Ge⸗ ſchäftsordnung noch eine Begründung bringen können, und eine Debatte darüber, ob die Anträge jetzt noch auf die Tagesordnung kommen oder ver⸗ tagt werden, kann ich nicht mehr zulaſſen. Stadtv. Dr Hertz (zur Geſchäftsordnung): Ich glaube, es handelt ſich um ein bloßes Mißverſtändnis. Aber wenn Sie wollen, daß wir in der nächſten Verſammlung nochmals über dieſe Frage ſprechen, ſo haben wir nichts dagegen. Vorſteher Dr. Borchardt: Wir kommen zur Abſtimmung darüber, ob jetzt der Punkt 10 ver⸗ handelt werden ſoll. Ich bitte diejenigen, die dafür ſind, die Hand zu erheben. (Geſchieht.) — Das iſt die aroße Mehrheit, Wir gehen alſo zu Punkt 10 über: Vorlage betr. Stadthaushaltsplan für das Rechnungs⸗ jahr 1919. — Druckſachen 66/7. Stadtrat und Kämmerer Scholtz: Verehrte An⸗ weſende! Es iſt ſpät geworden, weil dieſer zur Verhandlung wichtiger kommunaler Angelegenheiten erbaute Saal eine dreiſtündige politiſche Debatte über ſich hat ergehen laſſen müſſen, (Sehr richtig! bei den bürgerlichen Parteien) und ich bin leider — gerade in dieſem Jahre tut mir das beſonders leid — gezwungen, mich kürzer zu faſſen, als ich es gern getan hätte. Denn, meine Damen und Herren, die Stunde, in der wir uns diesmal an die Beratung unſeres Haushaltsplanes begeben, iſt für uns alle eine ernſte, eine bitterernſte für Sie, die Sie zum großen Teil neu an eine ſchwere Materie herantreten, an eine Materie, die ſchon in gewöhnlichen Zeitläuften zu ergründen nicht leicht iſt. Um ſo ſchwieriger wird es für Sie ſein, ſich jetzt in dieſer Zeit in dieſes finanzielle Räder⸗ werk hineinzudenken, ſich darin zurechtzufinden und unter Umſtänden Ihre Abänderungsanträge, die Sie etwa beabſichtigen ſollten, zu begründen, ohne daß das Ganze dabei ſchwer leidet. Die Stunde iſt aber auch ernſt für uns, für den Magiſtrat, denn wir müſſen mit Forderungen an Sie herantreten, die ganz ungeheuer ſind, und insbeſondere ernſt für mich letzten Endes, der ich nun 16 Jahre den Haushalts⸗ plan der Stadt Charlottenburg zu vertreten hier die Ehre gehabt habe, daß ich in dieſem Jahre For⸗ derungen hier namens des Magiſtrats begründen muß, die noch vor wenigen Jahren jeder von uns für unmöglich erachtet hätte. Wir müſſen uns dar⸗ über klar ſein, daß wir in der Geſchichte der Stadt Charlottenburg und in ihrer Finanzpolitik an Auem Wendepunkt angelangt ſind. Die Hoffnungen, die wir Jahre hindurch gehegt haben, ſind zerſchellt. Auf dieſen Hoffnungen baſterte unſer ganzes finanzielles Gebaren, baſierte insbeſondere, wie ich Ihnen im Erläuterungsbericht zum Haushaltsplan auseinander⸗ Kraft 2. April 1919 die Folgerungen aus dem verlorenen Krieg und aus der Trennung des Syſtems für unſer Ganzes zu ziehen. Dieſe Folgerungen gehen dahin, daß wir alle diejenigen Forderungen, die wir zum Teil noch glaubten zurückſtellen und endgültig mit der Kriegs⸗ abrechnung aufrechnen zu können, unbeſchränkt in unſeren Kaushaltsplan hineinarbeiten müſſen. Es ſind das die Summen für Verzinſung und Tilgung unſerer Kriegsausgaben, die Summen für die ſach⸗ liche Teuerung, für die perſonelle Teuerung und für Fragen, die wir bisher ausgeſetzt hatten. Grund⸗ ſätzlich muß das, was laufende Ausgaben bedeutet, durch laufende Einnahmen gedeckt werden, für eine Pumpwirtſchaft iſt kein Raum, und über dieſe Grundſätze, das kann ich ſagen, ſind ſich ſämtliche deutſchen Großſtädte ſelbſtverſtändlich auch im Ein⸗ vernehmen mit der Regierung vollſtändig einig. Wenn es nun, verehrte Anweſende, gilt, dieſe unſere Finanzpolitik auf eine andere Baſis zu ſtellen, ſo müſſen wir uns heute vor allen Dingen darüber klar werden, wie es bei uns ausſteht. Wir haben Ihnen auch in den Vorlagen zum Haushaltsplan eine Berechnung der Kniegsausgaben aufgemacht, und Sie haben daraus erſehen, daß die Kriegsaus⸗ gaben zurzeit 88,5 Millionen ℳ von uns erfordern, wovon uns allerdings ein Teil, ſo hoffen wir be⸗ ſtimmt, noch vom Reich erſtattet werden wird. Dieſer Summe, die ſich dann endgültig heute ſchon auf min⸗ deſtens 50 Millionen ℳ. belaufen wird, wozu noch alle die Ausgaben für die Notſtandsarbeiten, für das Wohnungsweſen und für die Erwerbsloſenfürſorge hinzutreten, müſſen die Schulden hinzugezählt wer⸗ den, die bei Beginn des Krieges in Höhe von 174 Millionen ℳ vorhanden geweſen ſind, ſo daß wir weſentlich höhere Summen zu verzinſen und zu tilgen haben, wobei uns allerdings eins zuſtatten ommt, daß wir nämlich in weiſer Vorſorge ſchon in den letzten Jahren die Zinſen für diejenigen Leſten, die unzweifelhaft einmal die Stadt treffen würden, zum großen Teil bereits in den laufenden Haushaltsplan eingeſtellt hatten. Verehrte Anweſende, die Summe, die ich Ihnen nannte, iſt freilich hoch, und doch ſind wir in der heutigen Zeit on ſo große Ziffern und ſo große Schulden gewöhnt, daß niemand in dieſem Saal, glaube ich, einen Schreck bekommen würde, wenn man von ihm verlangt, daß die Stadtgemeinde hier⸗ für eintreten ſoll. Die nackte Zahl dieſer Schulden iſt nicht das Schlimmſte für uns; das viel, viel Schlimmere und das Schlimmſte iſt der völlige Um⸗ ſchwung der wirtſchaftlichen Verhältniſſe, die Ver⸗ worrenheit, die Unſicherheit auf jedem Gebiet, nicht bloß dem perſönlichen Gebiet, das hier behandelt worden iſt, und die Unſicherheit darüber, wohin es aeht, wohin wir auf unſerer Reiſe kommen! Das Schlimme iſt, daß unſer Wirtſchaftsleben aus ſchwerſte erſchüttert iſt, und auf unſerem Wirtſchafts⸗ leben beruhte unſere deutſche Kraft, in ihr geſetzt habe, die Trennung unſerer finanziellen] Land hi Kriegswirtſchaft von unſerer laufenden Wirtſchaft; ſich dieſes Suſtem, das wir da aufgebaut haben, um einigermaßen Ordnung zu halten, zwar geführt werden, aber wir ſind ſchon hente geywungen.