Sitzung am 15. April 1919 von den vielen Plakaten waren denn geſchmackvoll? Ich kenne faſt nur ein einziges: das Plakat von den Mehrheitsſozialdemokraten, das reizende Kind, das die Mutter warnt: „Mutter denk an mich!“ Das mag Ihnen auch hier eine Warnung ſein: ſolche reizende Kinder werden wir nicht mehr oft ſehen, wenn Sie ſo weiter ſtreiken wollen. Alſo, meine Damen und Herren, ſeien Sie den Aerzten dankbar und gehen Sie über dieſe Anfrage ruhig zur Tages⸗ ordnung über. (Bravo! und Händeklatſchen bei den bürgerlichen Parteien.) Vorſteher⸗Stellv. Dr. Frentzel: Ich darf die Damen und Herren darauf aufmerkſam machen, daß ebenſo wie in der Nationalverſammlung das Händeklatſchen in unſerer Verſammlung nicht üblich iſt. Stadtv. Dr Luther: Die Worte des Herrn Kollegen Feilchenfeld haben mich aufs tiefſte er⸗ griffen. Ich habe ſehr wohl die große ſittliche Ent⸗ rüſtung verſtanden, die er ausgeſprochen hat. Wenn die Herren es hören möchten und wir heute abend noch Zeit hätten, würde ich auch als einer, der das Volk kennt und mit ihm umgeht, Ihnen erzählen können, welche unendliche Erbitterung über dieſe Vorgänge im Volke herrſcht. Aber ich möchte auf etwas anderes kommen. Herr Br. Löwenſtein hat vorhin geſagt, es muß entſchieden dagegen Front gemacht werden, wenn ein beamteter Arzt ſich erlaubt, gegen eine ſolche Sache aufzutreten. Ich behaupte: es muß entſchieden da⸗ gegen Front gemacht werden, wenn ein derartiger Terrorismus hier einſetzt. Wo bleibt dann die uns gewährleiſtete Freiheit der Meinungsäußerung? Und mögen es noch ſo viele Autoritäten ſein, mögen ſie Räte heißen, wie ſie wollen, das iſt uns gleichgültig: wenn wir unſere Pflicht tun, wenn das Gewiſſen ſpricht, dann pfeifen wir auf die Vollzugs⸗ und Ar⸗ beiterräte, dann tun wir das, was uns tauſendmal höher ſteht. (Hört! hörtl bei den Unabhängigen. — Sehr richtig! bei der Bürgerlichen Fraktion.) Das iſt unſere Pflicht, Herr Dr Löwenſtein! Wir haben durchaus begreifen können, daß Profeſſor Dr Beſſel⸗Hagen, ein ſo vornehmer, zurückhaltender Mann, dem es ganz fernliegt, ſich agitatoriſch zu betätigen, das getan hat, was er tun mußte als ein wirklicher Freund ſeines Volkes. Wir bitten aufs entſchiedenſte, dieſen Terrorismus doch in Zukunft zu nt 2 ſehen darin nicht die deutſche Zu⸗ Sanrr 1 rn Geheim⸗ da drüben ſo außerordentlich viel ſchen 217 koloſſaler Einwirkung auf unſer geſamtes Leben ſein wird. Wenn man hier immer von einem Leiter des Krankenhauſes ſpricht, dann muß ich erklären, daß der Leiter ein Menſch iſt und daß der Arzt ein dop⸗ pelter Menſch ſein ſoll: er ſoll die Intereſſen der Kranken und der Geſunden wahrnehmen. Herr Dr. Beſſel⸗Hagen hat ja nicht allein dieſen Aufruf unter⸗ ſchrieben, ſondern die Leiter faſt aller Krankenhäuſer Groß⸗Berlins haben ihre Namen darunter geſetzt. Weshalb haben ſie es getan? Sie wollten den Streik als ſolchen verurteilen. Und, meine Damen und Herren, ich erkläre rund heraus, daß ich auch dieſen Streik verurteile. (Zuruf bei den Unabhängigen: Das tun wir auch, aber nicht als Arzt!) — Ja, auch als Arzt. Die ſozialdemokratiſchen Aerzte haben ſich ſofort gegen den Beſchluß des Streiks ausgeſprochen. Stadtv. Dr Hertz: Aber nicht als Amtsperſon!) — In dieſem Augenblick ſpielt nicht die Amtsperſon die Rolle, in dieſem Augenblick ſpielt der Menſch die Hauptrolle. (Bravo! bei den bürgerlichen Parteien.) Da unterſchreibe ich ganz das, was uns Herr Kollege Feilchenfeld hier dargelegt hat. Allerdings, es gibt auch große Kreiſe von Aerzten, die es fertig gebracht haben, bei Streiks in dieſelbe Kerbe zu ſchlagen. Es muß Aufgabe der Aerzteorganiſation ſein, dieſe Streiks ebenfalls zu inhibieren. Die Aerzte müſſen nach unſerm Dafürhalten ganz neutral ſein. Wie geſagt, verehrte Anweſende, ich kann das Vorgehen des Herrn Geheimrat Dr Beſſel⸗Hagen nicht verurteilen. Ich habe auch unter den Händen des Herrn Geheimrat Beſſel⸗Hagen gelegen, und ich muß offen geſtehen, ſoweit ich in meiner Krankheit das habe beobachten können, hat er bei allen Patien⸗ ten (Zurufe des Stadtv. Dr Hertz) — aber, Genoſſe Dr Hertz, ſeien Sie doch vernünftig! — nur Vertrauen erweckt. — Sie ſagen immer, Sie wollen ihn nicht als Perſon treffen. In dem Augen⸗ blick, wo Sie ihn hier heranziehen, treffen Sie ihn als Perſon, ob Sie wollen oder nicht. Ich bin der felſenfeſten Ueberzeugung: hier läßt ſich die Sache nicht von der Perſon trennen. Der Geheimrat Dr. Beſſel⸗Hagen hat verſucht, die Menſchheit durch ſeinen Aufruf von einer Tat abzuhalten, die wir verab⸗ en, und dieſen Aufruf konnten wir nach meiner Anſicht alle unterſchreiben. (Bravol)