328 Stadtv. Marcuſe: Bezüglich der Gasſperr⸗ ſtunden möchte ich doch bezweifeln, ob ſich Herr Kol⸗ lege Frank an die richtige Adreſſe gewandt hat. Die Kohlennot iſt ſo groß, daß es fraglich iſt, ob dieſe Sperre in der nächſten Zeit aufgehoben werden fann. Ich halte es für zweckmäßiger, wenn die Wirtſchaftliche Vereinigung ſich an die Adreſſe der Kollegen von der Unabhängigen Sozialdemokrati⸗ ſchen Partei gewandt hätte. Wir haben hier im Hauſe ſchon gehört und wir haben geleſen, daß die Herren Kollegen Dr Borchardt und Gebert War⸗ nungsſignale gegen die Streiks gegeben haben. Sie ſind leider nicht genügend beachtet worden. Herr Kollege Dr Feilchenfeld hat bei Gelegenheit einer früheren Debatte darauf hingewieſen, wie unmöglich es den Aerzten wird, ihre ärztliche Verſorgung in⸗ folge der Gasſperre weiterzuführen. Die Stufen⸗ leiter: von den Streiks zur Kohlennot, zur Gas⸗ ſperre und zur Verminderung der ärztlichen Verſor⸗ gung iſt klar erkennbar. Ich bedaure, daß Herr Dr. Hertz nicht mehr hier iſt. Er hat neulich das Wort geſprochen von dem Intereſſe der Allgemeinheit, das vor allen Dingen berückſichtigt werden ſollte, und er hat auch Herrn Kollegen Heilmann gegenüber aus⸗ geführt, daß er durchaus ein Gegner jeder Gewalt ſei. Ich erinnere Sie aber, meine Damen und Her⸗ ren, an die Gewalt, die gegen die Streikbrechenden, die Arbeitswilligen angewendet wird, und ich erin⸗ nere Sie daran, daß hier das Intereſſe der Allge⸗ meinheit ſicher auf dem höchſten Punkte ſteht. Sor⸗ gen Sie dafür — und insbeſondere möchte ich Herrn Dr Hertz herzlich darum bitten —, daß in Zukunft nicht die Streiks in der Weiſe fortgeſetzt werden und ſo ausarten, wie es bisher geſchehen iſt. Ich bin überzeugt, daß auch in den Revieren, die uns dieſe Not gebracht haben, die Streiknotwendigkeit nicht mehr boſtehen wird. Man kann ſich denken, daß der Magiſtrat in der übelſten Lage iſt, wenn es ihm nicht möglich iſt, Kohlen zu ſchaffen, um die Gasverſor⸗ gung fortzuführen, und daß daraus Folgen ent⸗ ſtehen, die für das Wirtſchaftsleben eine ſchwere Schädigung bedeuten. Stadtv. Dr. Löwenſtein: Die Bitte, die Herr Kollege Marcuſe an uns ausgeſprochen hat, möchte ich kurz als unberechtigt zurückweiſen. Wenn jemand Zahnſchmerzen hat, dann iſt es ein unbilliges Ver⸗ langen der Gemeinſchaft, daß er ein fröhliches Ge⸗ ſicht der Gemeinſchaft mache. Man ſoll die Streiks nicht dadurch bekämpfen, daß man ſagt: Streiks ſollen nicht ſein, ſie ſchädigen die Gemeinſchaft —, ſondern dadurch, daß man auf die Urſachen der Streiks zurückgeht. (Sehr richtig!) Wir ſind der Meinung, daß die Streiks in der politi⸗ ſchen Unzufriedenheit und in der Entrechtung der revolutionären Arbeiterſchaft ihren Grund haben und daher nur dann aufhören oder nur dann zu be⸗ kämpfen ſein werden, wenn ihre politiſchen Urſachen nicht mehr vorhanden ſein werden. Aber wir möch⸗ ten nicht eine politiſche Dehatte hervorrufen. Wir möchten nur auf das hinweiſen, was hier geſagt wor⸗] den iſt, und auch noch darauf, daß ein großer Teilf des Mangels an Kohle für die Allgemeinheit auf die Sabotage der Unternehmer zurückzuführen iſt. Menge. Sitzung am 18. Juni 1919 Stadtrat Caſſirer: Meine Damen und Herren! Ich möchte den Antrag hier in rein ſachlicher Weiſe beantworten und mich nicht auf das politiſche Gebiet begeben. (Bravol) Ich will dem Herrn Antragſteller das eine be⸗ ſtätigen, daß die Bemängelungen, die er vorgebracht hat, durchaus zutreffend ſind, daß die Nachteile, welche die Gasſperrſtunden hervorgebracht haben, groß ſind und daß die Induſtrie, namentlich die Kleininduſtrie, ſehr erheblich darunter leidet, mehr als die Haushalrungen ſelbſt, die ſich ja immer noch zu helfen wiſſen. Aber in Vorausſicht der Verhältniſſe, die eintreten werden, hat der Maaiſtrat ſchon recht⸗ zeitig Sorge dafür getragen und ſein möalichſtes dafür eingeſetzt, daß Gasſperrſtunden überhaupt nicht eingeführt werden ſollen, ſondern daß durch eine ausreichende Belieferung unſerer Gaswerke die Fort⸗ führung unſerer Betriebe geſichert wird. Das iſt eben nicht möglich geweſen. Die Gründe ſind mannigfacher Art. Auf ſie im einzelnen einzu⸗ gehen, iſt im Augenblick wohl nicht erforderlich. Ich glaube, mich darauf beſchränken zu können, daß ich Ihnen die Erklärung abgebe, daß die Verhältniſſe auf unſerm Gaswerk wegen der geringen Beſtände an Kohle derartig ſind, daß wir einen ſolchen Antrag nicht unkerſtützen können. Ich will zunächſt noch einſchalten, daß der Ma⸗ giſtrat inſofern nicht zuſtändig iſt, als für die Ver⸗ ordnung der Gasſperrſtunden nicht der Magaiſtrat, ſondern der Kohlenverband Groß⸗Berlin bzw. der Reichskohlenkommiſſar die Verantwortung trägt. Wir könnten es jedoch nicht verantworten, den An⸗ trag, den Sie hier geſtellt haben, beim Kohlenver⸗ band zu befürworten, weil eben die Kohlenbeſtände nicht ausreichen. Wenn ich Ihnen ſage, daß wir auf unſerm Gaswerk nur für fünf bis ſechs Tage Kohle haben und daß unter dieſen Verhältniſſen die Gefahr einer Kaoſtrophe zu befürchten wäre, wenn wir die Verwendung des Gaſes freigeben wollten, ſo bedarf dies, alaube ich, keiner weiteren Begaründung. Es liegt ja klar auf der Hand, daß, wenn die Verord⸗ nung der Gasſperrſtunden aufgehoben mürde, ſie nicht nur für Charlottenburg, ſondern für ganz Groß⸗ Berlin aufgehoben werden müßte. Genau jo un⸗ günſtig wie bei uns lieat aber auch die Kohlenver⸗ ſorgung für ganz Groß⸗Berlin. Die Aufhebung der Gasſperrſtunden iſt alſo zurzeit nicht möalich. Durch die Gasſperrſtunden werden erhebliche Erſparniſſe an Kohlen erzielt. Wir haben hier in Charlottenbura geſchätzt — es kann natürlich nur ge⸗ ſchätzt werden — eine Erſparnis von etwa 16 000 chcm Cas pro Tag. Das bedeutet 50 Tonnen Kohlen pro Tag, und das würde für Groß⸗Berlin 500 Ton⸗ nen Kohle pro Tag ausmachen. Das iſt eine rieſige Sso ſehr wir alſo auf der eine Beläſtigung, die die Gasſperrſtunden anerkennen und bedauern, ſo ſieht nach Lage der Dinge doch die Erklärung abzugeben, daß hältniſſe ſo bleiben, wie diesbezüglichen Antrag ſtellen könnte