Sitzung am Was die Wohlfahrtszentrale und den Vorwurf, daß ich ſie herabgeſetzt habe, angeht, ſo zweifle ich ja nicht, daß Herr Kollege Dr. Feilchenfeld alle mög⸗ lichen guten Erfahrungen gemacht haben mag. Aber für diejenigen, die unter den Hinterbliebenen ſelbſt ſtehen und die berechtigten Klagen hören, ſieht das Bild ganz anders aus. Es wird Ihnen das alles immer in den roſigſten Farben geſchildert; wenn Sie aber zu den Hinterbliebenen ſelbſt kommen, gewin⸗ nen Sie einen anderen Eindruck. Ich will Ihnen mal nur einen Fall erzählen, und ich weiß nicht, ob Sie das dann mit Ihren Anſchauungen vereini⸗ gen können. Zu einer Frau mit 4 Kindern kommt eine Dame von der Wohlfahrtszentrale und prüft einen Unter⸗ ſtützungsfall, da dieſe Kriegerwitwe beantragt hatte, für ſie Beerdigungskoſten zu übernehmen. Die Re⸗ chercheurin ſagt zu dieſer Witwe: Na, Sie wollen Unterſtützung haben? Da nageln Sie doch ein Kreuz auf den Sarg und bammeln einen kleinen Kranz dran das hat ſie wörtlich geſagt , und dann laſſen Sie das Ding wegbringen. Verehrte Anweſende, das muß einen Menſchen zur Empörung bringen, auch die Hinterbliebenen! (Zurufe.) — Ich kann Ihnen die Beweiſe bringen und habe ſie erbracht. Ich bin mit der Frau zur Fürſorge⸗ ſtelle gegangen und habe geſagt: Hier, Fräulein Ernſt, unterſuchen Sie den Fall und ſtellen Sie feſt, welche Dame ſich erlaubt hat, das zu ſagen. Ich könnte viele ſolcher Fälle anführen, ſackweiſe wird uns das zugetragen. Wenn wir aber zur Fürſorge hinkom⸗ men, ſagt Fräulein Ernſt: Ich kann für die Damen, die recherchieren, nicht geradeſtehen. Aber wenn ſolche Sachen vorkommen, nicht in einzelnen, ſondern in Hunderten von Fällen, dann darf man nicht ſagen, daß dieſe Wohlfahrtszentrale großartig gearbeitet hat, und man kann nicht behaupten, daß wir auf dem Höhepunkt der Wohltätigkeit ſtänden; das iſt voll⸗ kommen ausgeſchloſſen. Im übrigen werden Sie zugeben, daß es nicht richtig iſt, wenn die Hinterbliebene noch einen Rock ihres Mannes im Spind hängen hat eine Dame, die recherchieren kommt, Verkaufen Sie das erſt, dann werden unterſtützt. Eine ſolche Hinterbliebene und ſagt: Die hängt mit allen Faſern ihres Herzens an dieſem einzigen 355 25. Juni 1919 Sie der Vorlage zu, tragen Sie endlich einmal den Bedürfniſſen der Kriegsbeſchädigten Rechnung; ſie werden Ihnen dafür dankbar ſein. Oberbürgermeiſter Dr. Scholz: Meine Damen und Herren! Ich habe nicht nötig, die Magiſtrats⸗ vorlage vor Ihnen zu verteidigen; denn ſie iſt bis⸗ her von allen Seiten gutgeheißen worden. Ich möchte aber nicht verfehlen, gegenüber den letzten Worten des Herrn Stadtv. Mickler doch entſchieden Ein⸗ ſpruch zu erheben; das ſind wir derjenigen Organi⸗ ſation ſchuldig, die hier in Charlottenburg ſeit lan⸗ gen Jahren ausgezeichnet auf dem Gebiet der Wohl⸗ fahrtspflege arbeitet. Wenn hier und da vielleicht — darüber können wir natürlich ebenſowenig Auskunft geben wie jeder andere — die eine oder andere Per⸗ fönlichkeit es in einem Augenblick der Erregung an dem nötigen Takt fehlen läßt, ſo iſt das durchaus kein Verdammnisurteil für die geſamte Organiſa⸗ tion. (Sehr richtig!) Auch Herr Kollege Mickler wird, wie er ſelbſt be⸗ wieſen hat, im Moment der Erregung nicht immer den richtigen Ton finden, und das muß auch für andere in Anſpruch genommen werden, namentlich in dieſer Zeit, die wirklich nicht geeignet iſt, die Leute weniger nervös zu machen als früher. Er follte der erſte ſein, der derartige Temperamentsausbrüche, wenn ſie mal geſchehen, auch ſeinerſeits entſchuldigt. Ich möchte hier feſtſtellen, daß uns die Aus⸗ führungen des Herrn Mickler durchaus nicht davon überzeugen können, daß etwa die Wohlfahrtszentrale ihre Arbeit ſchlecht gemacht habe; im Gegenteil, wir ſind aus allgemeinen Gerechtigkeitsgründen ver⸗ pflichtet, hier feſtzuſtellen, daß die Wohlfahrtszen⸗ trale in Charlottenburg wie bisher ſo auch in dieſer ſchwierigen Zeit und bei dieſer mühevollen Arbeit voll und ganz ihre Pflicht erfüllt hat. Wenn wir Ihnen heute die Vorlage machen, die ganze Sache ſozuſagen in rein ſtädtiſche Regie zu übernehmen, ſo tun wir es wirklich nicht deshalb, weil wir der Wohlfahrtszentrale irgendeinen Vor⸗ wurf machen wollen, ſondern wir tun es deshalb, weil wir es organiſatoriſch für richtig halten. Wir hoffen allerdings, daß es dann ausgeſchloſſen ſein wird, gegen die Organiſation derartige Vorwürfe zu erheben, die wir nicht allein nachzuprüfen und auch nicht allein in Korrektur zu nehmen vermögen, wie es bisher der Fall war. Alſo die heutige Vor⸗ lage des Magiſtrats iſt lediglich organiſatoriſch auf⸗ zufaſſen und will, wie ich ausdrücklich feſtſtellen will, nicht im geringſten irgendein Mißtrauensvotum gegen die Wohlfahrtszentrale ausſprechen. 4 (Bravo!) Stadtrat Dr Spiegel: Meine Damen und irf Herren! Ich hätte nicht das Wort genommen, da ich erf mit der Hinterbliebenenfürſorge direkt nichts zu tun habe und die Vorgänge in der Wohlfahrtszentrale auf dieſem Gebiet mir ſo gut wie fremd ſind, wenn mich nicht Herr Mickler gerade als Kronzeugen da⸗ ffür angerufen hätte, daß die von ihm berichteten Vor⸗ gange fiamen m. Herr Mickler hat das allerdings ſchränkt, daß ich dies anerkannt Klagen, die auf dem Gebiete