Sitzung am 17. fühl haben. Ich habe nichts dagegen geſagt. Ich möchte aber feſtſtellen, daß es eine außergewöhnliche Behauptung iſt, die durch nichts zu rechtfertigen iſt, daß in den Kreiſen der freien Schweſtern nicht das gleiche ſoziale Gefühl vorhanden ſei. 420 (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Ich bin im Gegenteil der Meinung — und ich habe dieſe Erfahrung ſelbſt ſehr häufig gewonnen — daß Menſchen mit einem engen oder eingeengten ſozialen Standpunkt, der auch abhängig iſt von religiöſen Ge⸗ fühlen, niemals jene Lebendigkeit des ſozialen Füh⸗ lens und der ſozialen Betätigung haben, die wir verlangen. (Widerſpruch bei der Bürgerlichen Fraktion.) Ich habe Schweſtern, Diakoniſſinnen kennen gelernt, die außergewöhnlich tüchtig und mit Aufopferung tätig waren. Ich habe aber auch Diakoniſſinnen kennen gelernt, die ihre Aufopferung davon abhängig machten, ob ſeitens der Kranken genügend gebetet wurde, und ob der Kranke irgendeiner religiöſen Sekte angehörte. (Sehr gut! bei den Sozialdemokraten. — Unruhe bei der Bürgerlichen Fraktion.) Das ſoll nicht allgemein ſo ſein. Ich will auch nicht behaupten, daß die Vandsburger Schweſtern es tun. Aber es gibt im Pflegedienſt noch eine andere ſoziale Verbindung, das iſt der ſoziale Zuſammen⸗ hang zwiſchen dem geſamten Perſonal, und da möchte ich bezweifeln, ob ein ſolch inniger Zuſammenhang dieſer heterogenen Beſtandteile gewährt iſt, wenn derartig erkluſive Perſonen hineinkommen. Die Frage wäre auch anders, wenn die reli⸗ giöſen Schweſtern Charlottenburger Schweſtern wären. Dann müßten wir auch dieſem kleinen Kreiſe Rechnung tragen. Ich ſehe jedoch keinen Grund ein, warum wir Vandsburger Schweſtern nach Char⸗ lottenburg kommen laſſen und der ſozialen Aufopferung der freien Schweſtern in unſerer Hei⸗ matſtadt nicht ebenſo ein Betätigungsfeld geben ſollen, gerade in einer Zeit, in der die freien Schweſtern unter der Arbeitsloſigkeit furchtbar leiden. Auch noch ein weiteres Moment möchte ich betonen. Die Vandsburger Schweſtern arbeiten ſehr billig. Das mag ſehr ſchön ſein für den Ma⸗ giſtrat, er mag auch dabei etwas ſparen. Wir halten aber dieſes Billigerarbeiten durchaus für unſozial, weil damit eine Lohndrückerei in bezug auf die Entlohnung der freien Schweſtern verbunden iſt, die nicht ein Mutterhaus haben, ſondern darauf an⸗ gewieſen ſind, von dem zu leben, was ſie bekommen, und häufig noch Familien zu unterſtützen haben. Wir verlangen auch vom Magiſtrat, daß er nicht eine Unterentlohnung vornimmt und ſeine Entſcheidung nicht, 48 davon abhängig macht, daß er dort billiger weg⸗] September 1919 28 Stadtv. Lichtenberg: Als es ſich darum han⸗ delte, in Neukölln ein neues ſtädtiſches Kranken⸗ haus zu errichten, hat ſich der Herr Oberbürger⸗ meiſter Kaiſer große Mühe gegeben, Schweſtern aus einem religiöſen Orden zu bekommen. Ich weiß ob es ihm gelungen iſt. Aber ich empfehle dem Herrn Dr Löwenſtein, ſich einmal in Neukölln zu erkundigen, aus welchem Grunde man gerade dieſe ſogenannten exkluſiven Schweſtern haben wollte. Stadtv. Dr. Luther: Es wird mir ia ſchwer, Herrn Dr. Löwenſtein auf ſein Gebiet zu folgen. Er hat offenbar intimere Kenntniſſe vom Diakoniſſen⸗ weſen, als es mir als evangeliſchem Pfarrer mög⸗ lich iſt. (Stadtv. Dr Löwenſtein: Kritiſchere!) Aber trotzdem möchte ich Herrn Dr. Löwenſtein bei ſeiner ausgezeichneten Fühlungnahme in kirchlichen Kreiſen erwidern, daß wir es als eine Beleidigung⸗ empfinden, wenn die Lebendigkeit des ſozialen Ge⸗ fühls als ausgeſchloſſen erachtet wird bei Leuten, die in religiöſen Gemeinſchaften erzogen ſind. Das weiſe ich nochmals energiſch zurück. Ich muß darum bitten, daß, wenn ſolche Behauptungen und ſolche Anwürfe gemacht werden, mindeſtens Beweiſe perſönlicher Art erbracht werden. Ich beſtreite Ihnen bei Ihrer Sachkenntnis entſchieden das Recht, den Stab zu brechen über die religiöſen Gemeinſchaften und ihre ſoziale Tätigkeit. Wenn Sie die Geſchichte Deutſch⸗ lands kennen und die Geſchichte der Barmherzigkeits⸗ übung ſeit fünf Jahrhunderten, dann müſſen Sie als ehrlicher und offener Menſch zugeben, daß gerade religiöſe Gemeinſchaften es geweſen ſind, die erſt die humanitären Geſellſchaften und öffentlichen Anſtalten gelehrt haben, aus den tiefſten Quellen der Barm⸗ herzigkeit zu handeln. Ich kann freilich einſehen, warum Ihr Kampf geſchieht, und dagegen wehren wir uns. Sie ſtellen das ganze Krankenhaus⸗ und Schweſternweſen einſeitig unter den Geſichtspunkt des Lohnes. Wir lehnen es ab, den Lohnſtandpunkt hier hineinkommen zu laſſen, weil wir alles Kranlen⸗ und Pflegeweſen für viel zu fein und zart halten, als daß es unter den Geſichtspunkt des Lohnes gebracht werden kann. Es ſind gerade im Kranken⸗ und Pflegeweſen ſo viele tauſend Imponderabilien, die ins Gewicht fallen, daß es eine furchtbare Veräußer⸗ lichung des Kranken⸗ und Pflegeweſens ſein würde, wenn auch hier nichts weiter maßgebend wäre als Angebot und Nachfrage. Wir ſollen ſtolz darauf ſein, daß gerade Charlottenburg immer wieder die Hand dazu geboten hat, in Weſtend allmählich dahin zu kommen, daß in der Schweſternſchaft das groß gezogen wird, was einen Geſamtgeiſt gewährleiſtet, wie es nur in den geſchloſſenen Gemeinſchaften bisher möglich geweſen iſt. Darum bleibe ich trotz der hier aegenübergeſtellten reicheren Erfahrungen bei meinem Standpunkt. , 8 1 .