430 Stadtv. Dr. Hertz: Meine Damen und Herren! Ich möchte an dieſen letzten Vorgang anknüpfen und ihn als einen Beweis dafür anſehen, daß das In⸗ tereſſe, das von dieſer Verſammlung der Wohnungs⸗ frage entgegengebracht wird, ſich durchaus nicht von dem Mangel an Intereſſe unterſcheidet, das die frühere Verſammlung dieſer Angelegenheit entgegen⸗ gebracht hat. (Zurufe: Mein Kollege Heidrich hat bereits darauf hinge⸗ wieſen, daß uns, als wir im März über dieſe An⸗ gelegenheit hier ſprachen, der Einwand entgegenge⸗ worfen wurde: die Wohnungsnot iſt eine Frage von vorübergehender Bedeutung. Heute ſtehen wir vor der Tatſache, daß ſich die Wohnungsnot ſo ungemein verſchärft hat, daß wir in den Winter⸗ monaten und weit darüber hinaus mit den aller⸗ größten Schwierigkeiten zu rechnen haben werden. Dieſe Schwierigkeiten — das möchte ich feſtſtellen — ſind zum Teil darauf zurückzuführen, daß dieſe Ver⸗ ſammlung der Angelegenheit nicht das Int ceſſe entgegengebracht hat, das ſie unbedingt verdient. Ach du lieber Gott!) (Widerſpruch und Unruhe bei den bürgerlichen Parteien.) — Ich weiß, daß es Widerſpruch bei Ihnen erweckt, wenn Sie als die Verſammlung gekennzeichnet werden, die in dem alten Hausagrariergeiſt der Wohnungsfrage weiter gegenüberſteht. (Lachen bei den bürgerlichen Parteien.) Aber das ändert an der Tatſache nichts, ändert vor allen Dingen an der Tatſache nichts, daß die von Ihnen eingeſetzte Wohnungsdeputation durch ihre Zuſammenſetzung mit dazu beigetragen hat, die Aus⸗ führung ſelbſt der geringen Maßnahmen, die durch unſern Antrag in die Wege geleitet wurden, außer⸗ ordentlich zu erſchweren. Das iſt das Motiv, das uns beſtimmt, hierfür oinen beſonderen Ausſchuß einzuſetzen. (Zurufe bei den bürgerlichen Parteien: Das wollen wir jal) Der Wohnungsdeputation in ihrer jetzigen Zuſam⸗ menſetzung können wir die Beratung der Wohnungs⸗ frage nicht übertragen, da ſie ſo einſeitig reak⸗ tionär zuſammengeſetzt iſt, (Rufe: Nanu! Unglaublich!) daß von ihr keine Förderung der Wohnungsfrage zu erwarten iſt. IIch möchte aber weiter darauf hinweiſen, daf wir, ſo ſympathiſch wir auch der Magiſtratsvorlage gegenüberſtehen, unbedingt daran feſthalten müſſen daß keine Leichtbauten, ſondern Maſſiwbauten ge⸗ ſchaffen werden. Wer in dieſen Wohnungen hauſen ſoll, der kann ein Urteil darüber ben, welche geſundheitlichen und hygieniſchen fährdun durch das Wohnen in Holz⸗ oder Leichtbaracken ge⸗ chaffen werden. Uns gehen täglich Klagen in außer⸗ ordentlich großer Zahl zu, und wir ae als unſere dringende Verpflichtung, dieſen Klagen Sitzung am 17. September 1919 hier Ausdruck zu geben und energiſch zu verlangen, daß die Intereſſen derer, die in dieſen Leichtbauten wohnen ſollen, Berückſichtigung finden. Wir ſind auch im Gegenſatz zu Herrn Stadt⸗ ſyndikus Sembritzki der Meinung, daß alle Wege, die zur Löſung der Wohnungsfrage und zur Mil⸗ derung der Wohnungsnot in Anſpruch genommen werden können, gleichzeit ig gegangen werden müſſen. Das iſt ja der verhängnisvolle Fehler der Politik, die Sie vom März an getrieben haben, daß damals einige kleine Palliativmttelchen ergriffen worden ſind, aber nicht in entſchloſſener, großzügiger Weiſe an die Löſung der Wohnungsnot herange⸗ gangen wurde. Heute müſſen wir alles machen, wir müſſen alle Wege, die nur irgendwie gangbar ſind, zu gleicher Zeit in Angriff nehmen. (Zurufe.) Denn es iſt völlig undenkbar, daß auf Jahrzehnte hinaus irgendeine Milderung der Wohnungsnot ein⸗ tritt. Auf Jahrzehnte hinaus! Die bisherige Er fahrung hat bewieſen, daß das Phantom, das Sie an die Wand gemalt haben, die Enwölkerung von Groß⸗Berlin, nicht eingetreten iſt. (Wiederholte Zurufe bei den bürgerlichen Parteien.) Im Gegenteil, in der letzten Zeit häufen ſich infolge der durch den Friedensvertrag geſchaffenen Bedin⸗ gungen die Zuzüge nach Berlin außerordentlich. (Zuruf: Den Friedensvertrag haben Sie gewollt!) — Ja natürlich haben wir ihn gewollt. — Jeden⸗ falls, die Wohnungsnot wird noch Jahre und Jahr⸗ zehnte hinaus beſtehen, wenn nicht in der allerent⸗ ſchiedenſten Weiſe ſofort alle Maßnahmen ergriffen werden, die ſie zu mildern imſtande ſind. Herr Stadtſyndikus Sembritzki hat ferner dar⸗ auf hingewieſen, daß es dem Magiſtrat Charlotten⸗ burg gelungen iſt, eine ganze Reihe von Räumen, die bisher zu anderen Zwecken benutzt wurden, für Wohnungszwecke in Anſpruch zu nehmen. Das iſt richtig. Ich weiß aus der Wohnungsdeputation, daß dieſe Erfolge zu verzeichnen ſind. Aber es ſind ſo kleine Erfolge, ſie ſpielen im Verhältnis zu der Größe der Wohnungsnot eine ſo untergeordnete Rolle, daß ſich trotzdem die ſchärfſten Maßnahmen gar nicht vermeiden laſſen. Wir kommen nicht mit dem Appell an die freiwillige Zurverfügungſtellung von Wohnräumen aus; wir brauchen die zwangs⸗ r Kollege Dr. Roſenfeld hat auch 2 1 2 ch