Vorſteher Kollege Stadthagen, nachdem ich bereits erklärt habe, daß der Dringlichkeit widerſprochen worden iſt, er⸗ übrigt es ſich, weiter darüber zu reden. Dr. Borchardt (unterbrechend): Herr Stadtv. Dr. Stadthagen (fortfahrend): Ich er⸗ kläre ja: ich bitte die Herren, den Widerſpruch gegen die Dringlichkeit zurückzuziehen und dann den An⸗ trag ſelbſt heute ſofort abzulehnen; denn wir haben uns ja über den Antrag vorhin bereits ausgeſprochen. Ich glaube, daß das richtiger iſt, als wenn die Dringlichkeit infolge irgendeines Widerſpruches ab⸗ gelehnt wird und infolgedeſſen der Antrag noch⸗ mals auf die Tagesordnung der nächſten Sitzung kommt. Stadtv. Dr. Löwenſtein (zur Geſchäftsordnung): Ich möchte zur Geſchäftsordnung feſtſtellen, daß der Herr Vorſteher, obwohl er weiß, daß bei einem ſolchen Dringlichkeitsantrag zunächſt die Frage an die Verſammlung gerichtet werden muß, ob die Dringlichkeit anerkannt wird, das doch nicht getan hat, wahrſcheinlich aus dem Verantwortungsgefühl heraus, das einem ſolchen Antrag gegenüber beſteht. Nachdem einmal die Geſchäftsordnung ſo durch⸗ brochen worden iſt, auch durch die Art der Verhand⸗ lung, indem fortwährend nicht nur zur Geſchäfts⸗ ordnung, ſondern zum Gegenſtand geſprochen worden iſt, ſcheint es mir in Anbetracht der Gefahr, die eine Ablehnung der Verhandlung immerhin donn in ſich ſchließt, wenn eine Menge von tauſend furchtbar er⸗ regten Menſchen unten vor der Tür ſteht, unverant⸗ „wortlich zu ſein, die Verhandlung abzulehnen. Ich muß darauf aufmerkſam machen, daß auch ſonſt in der Zeit, als die Kriegsbegeiſterung groß war, die Geſchäftsordnung durchbrochen worden iſt, wenn be⸗ ſondere Erregungen patriotiſcher Natur in den Saal hineindrangen. Ich möchte deshalb darum bitten, daß auch jetzt die Geſchäftsordnung weiter unter⸗ brochen und dieſer Antrag verhandelt wird. Stadtv. Dr. Eyck (zur Geſchäftsordnung): Ich habe vorhin aegen die Dringlichkeit 985 Antrages Einſpruch erhoben. (Zuruf bei den unabhängigen Senadeetgen Natürlich!) — Laſſen Sie mich doch erſt ausreden! — Ich bin aber durch die Ausführungen des Herrn Kollegen Dr. Stadthagen davon überzeugt worden, daß es nicht zweckmäßia iſt, jetzt den Widerſpruch gegen die Dringlichkeit aufrecht zu erhalten, nachdem eine meritoriſche Verhandlung des Antrags bereits ſtatt⸗ gefunden hat. Ich ziehe nunmehr den Einſpruch gegen die Dringlichkeit auch im Namen der anderen Damen und Herren, die dieſen Einſpruch erhoben haben, zurück. Vorſteher or Borchardt: Gegen die Drinalich⸗ keit iſt Einſpruch nicht erhoben worden. Ich kann at Kmuc daß De 2 4 be⸗ 24 2 . onne e Unruhe.) Stitzung am 29. Oktober 1910 319 Stadtv. Dr Broh: Meine Damen und Herren! Es iſt Ihnen hier ſchon geſagt worden, daß draußen vielleicht tauſend erregte Menſchen ſtehen (Zuruf: Dreihundert! — Große Unruhe — Glocke des Vorſtehers) Vorſteher Dr Borchardt: Ich muß bitten, den Redner möglichſt ruhig anzuhören. Ich glaube, wir kommen dann am allerſchnellſten und ruhiaſten über die Sache hinweg. Stadtv. Dr Broh: Ich alaube, daß es den wohl⸗ ſituierten Leuten, die hier in dieſem ſchönen Saale ſitzen, ſchlecht anſteht, wenn wir uns über die Not derjenigen, die dort unten auf der Straße ſtehen, mokieren. (Große Unruhe und andauernde lebhafte Zurufe — Glocke des Vorſtehers) Vorſteher Dr. Borchardt: Ich muß dringend bit⸗ ten, daß Sie derartige Beleidigungen der Verſamm⸗ lung oder von Mitaliedern der Verſammlung unter⸗ laſſen. Ich würde es von dieſem Platze durchaus gerügt haben, wenn ſich irgend jemand über die Not von Kriegsbeſchädigten hier mokiert hätte. Stadtv. Dr Broh: Es wurde eben die Frage ge⸗ ſtellt, ob ich die Ziffer von tauſend feſtgeſtellt habe; das iſt bereits geſchehen. (Große Unruhe und Zuruf des Stadtv. Jar ius: Es iſt hier der Zwiſchenruf: der Lümmel, erfolgt! — Glocke des Vorſtehers) Vorſteher Dr. Borchardt: Ich habe einen ſolchen Ausdruck nicht gehört! Stadtv. Dr Broh: Aber wir haben ihn gehört, und darauf bezieht ſich dieſe meine Aeußerung. Vorſteher Dr Borchardt: Wenn Sie etwas Ord⸗ nungswidriges hören und gerügt wünſchen, müſſen Sie es mir ſchon mitteilen. Stadtv. Dr Broh: Nein, darauf würden wir keinen Wert legen, denn das Niveau der Herren (zu den Mehrheitsſozialiſten) iſt uns bekannt, und wir legen auch keinen Wert darauf, es zu heben. (Lachen.) Ich habe nur davon geſprochen, daß die Kriegsbe⸗ ſchädigten in einer furchtbaren Erregung ſind und habe dem die ruhige Lage gegenübergehalten, in der ſich hier die meiſten, die hier ſitzen, ich kann wohl ſagen: alle, befinden. Wir wiſſen perſönlich nichts von den furchtbaren Nöten, (Widerſpruch) denen die Hinterbliebenen der im Kriege Gefallenen „fausgeſetzt ſind, und deshalb, meine ich, iſt es aut, ]wenn alle dieſe wohlhabenden Bürger hier einmal Auge in Auge ſolchen Leuten gegenüberſtehen, und wenn ſie ſich nicht bloß darauf beſchränken, die Sache in eine Deputation zu verweiſen, wo wiedexum Kacſen Türen geredet wird und wieder