Sitzung am 12. Oberbürgermeiſter Dr Scholz: Meine Damen und Herren! Ich möchte mit Rückſicht auf dieſe Ausführungen doch feſtſtellen: Ich würde der Frau Vorrednerin auch meinerſeits zu folgen durchaus ge⸗ neigt ſein in der Beurteilung dieſes Falles, wenn ſie damit recht hätte, daß die Entſcheidung der Ver⸗ trauensärzte in allen anderen Fällen als eine end⸗ gültige angeſehen wird. Aber ich glaube, wenn gerade die Frau Vorrednerin einmal in ihren Kreiſen fragt, Jo wird, wie ich annehme und anzunehmen Grund thabe, ihr von ſehr vielen Seiten geſagt werden: Gott ſei Dank gibt es demgegenüber auch noch einen Appell; dein Appell, der zu meinem Leidweſen — denn es iſt immer etwas unangenehm, in ſolchen. Sachen evtl. gegen die Vertrauensärzte entſcheiden zu ſollen — ſehr häufig an mich gerichtet wird und der in ſehr wielen Fällen gerade bei der mündeſtbemittelten Be⸗ völkerung durch meine Intervention zu ihren Gun⸗ ſten entſchieden wird. (Hört! hört! bei der Bürgerlichen Fraktion.) Ich möchte mir doch erlauben, das gerade mit Rück⸗ ſicht darauf auszuführen, weil die Frau Vorrednerin anſcheinend meint, daß in dieſem einzigen Falle von dem Gutachten des Vertrauensarztes abgewichen ſei. So liegt die Sache überhaupt nicht. Der Ver⸗ trauensarzt, der an ſich genötigt iſt, nach den für die Aerzte allgemein aufgeſtellten Richtlinien, die übri⸗ gens, wie ich ausgeführt habe, damals noch gar nicht beſtanden haben, zu gehen, unterliegt der Prüfung des Dezernenten, der, wie geſagt, in wichtigen Fällen, und wenn eine Beſchwerde an mich ergangen iſt, ſich meiner Mitzeichnung bedient. Ich wiederhole, daß in ſehr vielen Fällen, die faſt durchweg die aller⸗ mindeſtbemittelte Bevölkerung betrafen, durch mein Eingreifen gegenüber dem Urteil des Vertrauens⸗ arztes erhebliche Vermehrungen erzielt worden ſind. Sladtv. Horlitz: Meine Damen und Herren! Ich hätte gewünſcht, nachdem der Herr Oberkürger⸗ meiſter in dieſer Frage eine uns ſehr ſympathiſche Erklärung abgegeben hat, nachdem er als Mann ge⸗ ſprochen hat, was uns äußerſt angenehm berührt hat, daß der Herr Stadtv. Luther nicht dieſe un⸗ nötige Erregung hervorgerufen hätte durch ſeine Aus⸗ führungen. Wir bedauern das lebhaft und hätten gewünſcht, daß nach dieſer Richtung keine Klage zu führen wäre. Die Motive, die der Herr Oberbür⸗ germeiſter hier vorgetragen hat, berühren uns durch⸗ aus ſympathiſch; wir haben Verſtändnis dafür. Wir knüpfen die Erwartung daran, daß der Herr Ober⸗ büngermeiſter dieſe ſchönen menſchlichen Regungen, die er heute hier zum Ausdruck gebracht hat, ſoweit es ihm irgend möalich iſt, auch allen Angehörigen 2. minderbemittelten Bevölkerung zuteil werden Indem ich dieſe Erklärung abaebe, will ich mich über die Rechtslage, die der Herr Oberbürgermeiſter hier erörtert hat, nicht verbreiten. Sie iſt für mich nebenfächlich und gleitet damit in den Hintergrund. November 1919 848 Ich nehme an, daß ich damit die Motive, die ſie zur Stellung eines ſolchen Antrages geleitet haben, rich⸗ 19 einſchätzte. Aber ich bitte Sie, meine Herren, Daraus eine löbliche Nutzanwendung zu ziehen. dieſen Standpunkt des gleichen Rechts für alle, den Sie hier ertſet haben und den ich als Sozialiſt voll an⸗ erkenne (Lachen bei den Unabhängigen Sozialdemokraten) und dem ich weiteſte Verbreitung wünſche, auch zu wahren, wenn es ſich darum handelt, die Angehöri⸗ gen Ihrer beſonderen politiſchen Anſchauung außer⸗ gewöhnlich zu unterſtützen. Vielleicht iſt es dem Herrn Dr. Löwenſtein nicht bekannt, daß in einem eſtimmten Parteibüro Schweineſchinken in großer Auswahl zur Unterſtützung der Angehörigen einer beſtimmten Richtung zur Verfügung geſtanden buben. (Lebhaftes Hört! Hört! bei den Sozialdemokraten und der Bürgerlichen Fraktion. — Große Unruhe bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.) Meine Herren, ich bitte Sie dringend, aus morali⸗ ſchen Gründen dieſen Standpunkt des gleichen Rechts, den Sie heute ſo muſtergültig vertreten haben, auch nach jeder Richtung hin zum Durchbruch zu bringen. (Zurufe von den Unabhänaiaen Sozialdemokraten: Arbeitervertreter!) Stadtv. Dr. Hertz: Meine Damen und Herren! Es iſt eine Ironie, daß die Mahnung des Herrn Stadtverordnetenvorſtehers bei Beginn unſerer heu⸗ tigen Sitzung als allererſtem Redner von einem ſeiner Parteifreunde durch die Praxis beiſeite ge⸗ ſchoben wird. Denn man kann wohl dieſe, wie ich betone, ſehr ernſte Angelegenheit nicht lächerlicher behandeln, als dieſer Herr es mit ſeinen abſchwei⸗ fenden Redensarten getan hat. (Lachen bei den Sozialdemokraten.) Ich lehne es ab, dem Herrn auf dieſes tiefe Niveau zu folgen, weil ich anerkenne, daß die Mahnung des Herrn Stadtverordnetenvorſtehers ihre Berechti⸗ gung hat. (Lachen und Unruhe bei den Sozialdemokraten.) Wir haben uns zur Stellung dieſes Antrages entſchloſſen, weil das Wohl der Stadt dieſen An⸗ trag erfordert. 1 Sie haben vor mehreren Monaten hier über die Frage der Krankenernährung beraten. Dabei wurde zum Ausdruck gebracht, daß ein ſehr ſtarkes Miß⸗ trauen gegen die Handhabung der Bewilligungen in der Bevölkerung beſteht. Dieſes Mißtrauen iſt durch das Bekanntwerden dieſes Falles in der Be⸗ völkerung außerordentlich vermehrt worden. Die Erfahrung lehrt, daß, wenn dieſer Fall nicht in aller Oeffentlichkeit behandelt und beſprochen wird, das Mißtrauen weiter um ſich greift (Rufe: Bei Ihnen!) (Oho!⸗Rufe.) 70 and e, e micht mehr zu beſeitigen iſt.