Sitzung am 17. Stadtrat Goeritz: Meine Damen und Herren! Es iſt der erſte Grundſatz der Armenverwaltung, daß ſie die Unterſtützungen nur auf Grund ſtrenger Prüfung des Einzelfalles und im Rahmen der im Einzelfall feſtzuſtellenden Bedürftigkeit und des Um⸗ fanges der Notlage gibt. Eine generelle Zuweiſung von Mitteln würde allen Grundſätzen der Armen⸗ verwaltung widerſtreiten. Die Armenverwaltung beruht weiter auf geſetzlichen Beſtimmungen und muß ſich namentlich auch im Hinblick auf die Erſatz⸗ anſprüche, die wir gegen andere Armenverbände, gegen Ortsarmen⸗ und Landarmenverbände, zu ſtellen haben, auf dieſe Rechtsgrundlage ſtützen. Wir würden nicht in der Lage ſein, bei Unterſtützun⸗ gen, die wir auf Grund ſolcher allgemeinen Be⸗ ſchlüſſe geben, dieſe Erſatzanſprüche gegen andere Verbände geltend zu machen. Wir ſind bei der Armenverwaltung bei weitem nicht ſo frei wie bei Einrichtungen, die als kommunale Fürſorgeeinrich⸗ tungen getroffen ſind, wie das unter Umſtänden bei der Kriegsfürſorge uſw. der Fall ſein kann. Dort hat die Kommune mit kommunalen Mitteln zu ar⸗ beiten. Es kann ſich dort im allgemeinen nicht um Erſatzanſprüche handeln; ſie iſt dort frei. Hier bei der Armenpflege handelt es ſich um eine geſetzlich geordnete Einrichtung, bei der wir dieſe Grenzen einhalten müſſen. Deshalh haben wir es ſeit Jahren und von jeher ablehnen müſſen, Anträge auf Weih⸗ nachtsunterſtützungen als ſolche zu berückſichtigen. Um immerhin dem menſchlich gefühlten Be⸗ dürfnis zu entſprechen, auch den Armen zu Weih⸗ nachten eine Erleichterung zu ſchaffen, haben wir nach Maßgabe der uns zur Verfügung ſtehenden Stiftungsmittel Unterſtützungen an eine Reihe Be⸗ dürftiger gegeben. Das wird und iſt auch in dieſem Jahre geſchehen. Der Antrag bezweckt aber etwas ganz anderes. Er wünſcht ganz ohne Berückſichti⸗ gung der Einzelfälle eine ſchematiſche Regelung durchzuführen, die ſich, wie ich erklären muß, in den Rahmen der Armenpflege als ſolcher beim beſten Willen nicht einfügen läßt. Ich muß außerdem er⸗ flären, daß ich bedauere, daß der Antrag in allerletzter Minute kommt, ſo daß er praktiſch bis zum 24. De⸗ zember gar nicht durchführbar iſt und günſtigſten⸗ falls erſt zum 1. Januar zuſammen mit der Zah⸗ lung der übrigen Unterſtützungen vorgegangen wer⸗ den könnte. Stadtv. Dr Löwenſtein: Meine Damen und Herren! Ich bin gerde aus denſelben Gründen, Die von Fräulein v. Gierke ausgeführt worden ſind, nicht planlos Wohltätiakeit zu üben, anmz entſchie⸗ dener Geaner der privaten Mohlfahrtsfürſorae, und wenn ich bisher immer der Meinung war. es könn⸗ ten vielleicht in der privaten Fürſorge doch auch Perſönlichkeiten ſein, die tatſächlich ein feines ſoziales Verſtändnis hätten und deren Tätigkeit den Uebergang bis zu der Zeit biden könnte, zu der man ſoꝛiale Dinge aanz und gar in den Rahmen der allgemeinen öffentlichen Ordnung einfügen konn, ſo bin ich heute durch die Erfahrungen mit Fränlein v. Gierke durchaus eines anderen belehrt Sehr richtig bei den Unabhängigen Schial⸗ me vielen von uns werden die Aug anſgehangen ſein, wie der Standpuntt der ſo.] Dezember 1919 zialen Fürſorge, die augenblicklich in privaten Hän⸗ den liegt, und ihrer Führer verheerend auf die Beurteilung von wirklichen Notlagen wirken kann. Denn anders kann man es ſich wirklich nicht erklä⸗ ren, daß man deswegen, weil es nun mal vorkommen kann, daß ein geringer Teil der Armen oder der Erwerbsloſen, um die es ſich im vorigen Fall han⸗ delte, einen Mißbrauch treiben kann, eine derartige Vorlage ablehnt. Ich muß ſagen: jene private Fürſorge wappnet ſich immer mit dem Geiſte des Ehriſtentums, mit dem Geiſte der Religion. habe aber bereits im Alten Teſtament geleſen, daß um zehn Gerechter willen Sodom nicht vernichtet worden wäre. Hier ſollen um 10 und noch nicht einmal 10% der Ungerechten willen 90% der Ge⸗ vechten mitleiden. Aber ich will zu der Sache ſelbſt etwas ſagen. Es iſt uns vorgeworfen worden, daß wir dieſe Vor⸗ lage nicht früh genug eingebracht hätten. Meine Damen und Herren, meine Freunde ſtehen auf dem Standpunkt, daß man möglichſt nicht planlos und im letzten Augenblick Abhilfe ſchaffen ſoll: wir ſtehen ſtrikte auf dem Standpunkt, nur mit planvoller ſozialer Hilfe zu helfen. Aber die Not hat ſich ge⸗ rade in den letzten Monaten und Wochen ſo gehäuft, und gerade im letzten Augenblick iſt ſie ſo ſtark an uns herangetreten und find uns die Augen über die Größe dieſer Not ſo geöffnet worden, daß wir aus⸗ nahmsweiſe zu einem ſolchen Antrag unſere Zuflucht genommen haben. (Andauernde Unruhe. Glocke des Vorſtehers.) Vorſteher Dr Borchardt (unterbrechend): Ich muß doch bitten, die Unterhaltung ein wenig ein⸗ zuſchränken. (Stadw. Otto: Bringen Sie doch ſolche Anträge früher) Ich ſtelle foſt, daß der Antrag formaerecht einge⸗ bracht worden iſt und daß ſich bei der Frage nach der Dringlichkeit Widerſpruch nicht erhoben hat. 7 Stadtv. Dr. Löwenſtein (fortfahrend): Wenn die Herren meinen Ausführungen gefolgt wären, ſo hätten ſie hören können, daß ich eben ausdrücklich