Sitzung am 17 Vorſteher Dr. Borchardt (unterbrechend): Ich muß bitten, den Redner nicht dauernd zu unter⸗ brechen! Stadtv. Dr. Löwenſtein (fortfahrend): Ich muß dem Herrn Zurufer eben ſagen: wenn er uns das Motiv unterſchiebt, daß wir derartige Anträge ein⸗ bringen, um Reden halten zu können, ſo ſehe ich darin einen verleumderiſchen Standpunkt, deſſen Tiefe ich hier nicht weiter zu ſchildern brauche. (Sehr richtig! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.) Das mag bei Ihnen Sitte ſein, bei uns aber nicht. (Stadtv. Dr Broh: Nehmen Sie doch dieſen Jaſtrow nicht ernſt!) Es handelt ſich hier nur um eine augenblickliche, furchtbar dringende Not, und es iſt uns aus allen Kreiſen — auch viele unſerer Freunde arbeiten in dieſen Kreiſen als Armenpfleger mit — geſchildert worden, welche Not dort herrſcht. Es iſt uns aus dieſer Not heraus geſagt worden, daß wir es in einer Zeit, wo ein großer Teil der anderen ihre Lebens⸗ haltung verbeſſert bekommt, in einer Zeit, wo die Schaufenſter von allen möglichen Luxusgegenſtänden prunken, die einem großen Teil der Bevölkerung zu⸗ gänglich ſind, nicht verontworten können, daß einem kleinen Teil der Aermſten nicht ſo viel gegeben wer⸗ den kann, daß ſie ſich in dieſer Zeit einmal ſatt eſſen können. Nur aus dieſem Grunde wollen wir es. Wir wollen damit weder die Praxis der Armenver⸗ waltung durchbrechen, um damit eine Nachprüfung für alle Fälle unmöglich zu machen, ſondern das nur für dieſen augenblicklichen Fall tun; wollen auch nicht planlos jederzeit ſoziale Hilfe gewähren, ſondern nur in dieſem einzigen Fall, wo wirklich eine Not vor⸗ liegt. Sie lehnen das ab, weil ſich eine allgemeine Hilfe in dieſem Falle als unmöglich erweiſt. Das wiſſen wir, und wir wollen in dieſem Falle auch gar keine allgemeine Hilfe bringen, ſondern einer augen⸗ blicklichen Not ſteuern, die wegen der furchtbaren Gegenſätze, in denen ſich unſere Wirtſchaft mehr denn je durch Ihre Schuld befindet, klafft, (Sehr richtig! bei den unabhängigen — Sozialdemokraten) um ebem die Grauſamkeit dieſer Gegenſätze um ein Weniges abzumildern, um jenem ſchmerzlichen Ge⸗ fühl dieſer Leute nicht ganz und gar verſtändnislos Natur, die dem doch ſonſt gar nicht ſo ch darum handelte, den ch die eröffnet: wir fahren in der Beratung fort. Dezember 1919 nommen.) ſtützungen in letzter Zeit immer weniger erfordert hahen, während wir von allen Seiten Klagen dar⸗ über hören, daß die Armen nicht leben können. Wenn wir das in Betracht ziehen, ſo klingt das, möchte ich ſagem wie eine Art Schamloſigkeit, wenn man derartige allgemeine Ausflüchte gebraucht, (lebhafte Zurufe bei der Demokratiſchen und Bürgerlichen Fraktion) um einer ſolchen Beihilfe zu entgehen. (Glocke des Vorſtehers.) Vorſteher Dr Borchardt (unterbrechend): Herr Kollege, ich möchte Sie doch bitten, ſich in Ihren Ausdrücken über die Motive und über die Reden anderer Kollegen zu mäßigen. Stadtv. Dr. Löwenſtein (fortfahrend): Ich möchte darauf aufmerkſam machen, daß ich hier nie⸗ mand geſagt habe, daß er ſchamlos geſprochen habe, ſondern das es mir beinahe wie ſchamlos klinge, mit allgemeinen Geſichtspunkten dieſe außerordent⸗ liche Unterſtützung abzulehnen, wenn es ſich um eine beſondere Notlage handelt. (Glocke des Vorſtehers.) Vorſteher Dr. Borchardt (unterbrechend): Herr Kollege, ich habe Sie deswegen auch nicht zur Ord⸗ nung gerufen, ſondern Sie nur gebeten, ſich zu mäßigen. Stadtv. Dr. Löwenſtein (fortfahrend): Ich will damit ſchließen. Lehnen Sie unſeren Antrag ruhig ab. Ich glaube, die Bevölkerung, die Aermſten der Armen werden wiſſen, wem ſie das zu verdanken haben. Putzen ſie ſich mit Ihrer großen privaten Fürſorge und allen dieſen Dingen ruhig aus, an dieſem Beiſpiel werden wir erkennen, wieweit es mit Ihrem ſozialen Sinn und Ihrer Fürſorge her iſt. Stadtv. Meyer 1 (zur Geſchäftsordnung): Meine Damen und Herren! Meine politiſchen Freunde haben nicht die Abſicht, dem Herrn Vor⸗ redner den Gefallen zu tun und ſeinen uns eben ge⸗ gebenen Rat zu befolgen, den Antrag, wie er ſich ausdrückte, „ruhig abzulehnen“. Wir haben vorhin der Dringlichkeit nicht widerſprochen, weil wir uns ſagten, daß eine derartige Aktion, wenn überhaupt, jetzt zu kommen hätte. Ich glaube aber, daß uns niemand die Berechtigung des Wunſches beſtreiten wird, die grundſätzlichen Fragen, die der unerwartet eingebrachte Antrag aufrollt, wenigſtens kurz zu prüfen, und ich geſtatte mir deshalb den Antrag, eine Pauſe von etwa 10 Minuten eintreten zu laſſen, in 7 wir dieſe Prüfung vorzunehmen in der Lage ind⸗ (Die Verſammlung beſchließt demgemäß. — Die Sitzung wird um 10 Uhr 35 Minuten unter⸗ brochen und um 10 Uhr 47 Minuten wieder aufge⸗ 5 1 Vorſteher Dr Borchardt: Die Sitzung iſt wieder Wort hat zunächſt Herr Kollege Horlitz. (Zuruf: Herr Horlit iſt nicht dal)