— 198 — 6. Freiwilliger Erziehungsbeirath der öffentlichen Waiſenpflege der Stadt Charlottenburg. 1. Aufgabe. Zur ſittlichen und wirthſchaftlichen Förderung der Waiſen in den auf ihren Austritt aus der Schule folgenden Jahren treten den Gemeinde⸗Waiſenräthen und Waiſenpflegerinnen freiwillige Helfer, Männer und Frauen, als Pfleger und Pflegerinnen und als fachmänniſche Beiſtände zur Seite. Als Waiſen gelten dabei ſolche Kinder, die entweder den Vater oder beide Eltern verloren haben, oder außer der Ehe geboren, oder dauernd von dem Vater oder beiden Eltern verlaſſen ſind. Leiter des freiwilligen Erziehungsbeiraths iſt der Vorſitzende der Armen⸗Direktion, ge, das Büreau der Armen⸗Direktion. Eine Bezirks⸗Eintheilung bleibt vor⸗ ehalten. II. Pfleger und Pflegerinnen. 1. Die Pfleger und Pflegerinnen treten als Hülfskräfte in den Dienſt der öffent⸗ lichen Waiſenpflege. Sie werden durch den Magiſtrat beſtätigt und haben ihm rechtzeitig Anzeige zu machen, wenn ſie ihre Thätiakeit aufgeben wollen. Ihre Thätigkeit hat ſich an die der Gemeinde⸗Waiſenräthe und Waiſenpflegerinnen anzuſchließen, und Hand in Hand mit der der Angehörigen und der Vormünder zu gehen. Sie tritt nur da ein, wo den Waiſen eine hinreichende Fürſorge von anderer Seite nicht zu Theil wird. 2. Jedem Pfleger und jeder Pflegerin werden beſtimmte Waiſen überwieſen, deren Zahl ſie ſelbſt beſtimmen. Mehr als 4 Waiſen ſollen von einem Pfleger oder einer Pflegerin regelmäßig nicht übernommen werden. Ein Wechſel in der Perſon des Pflegers oder der Pflegerin ſoll thunlichſt vermieden werden. 3. Die Pfleger und Pflegerinnen haben a) bei der Berufswahl der Waiſen mitzuwirken Alljährlich wird amtlich feſtgeſtellt, welche Waiſen zum nächſten Entlaſſungstermin die Gemeindeſchulen verlaſſen und welchen Beruf ſie zu ergreifen beabſichtigen. Jedes Kind wird einem Pfleger oder einer Pflegerin überwieſen. Dieſe haben bei Lehrern, Müttern, Pflegeeltern u. ſ. w. perſönlich alle erforder⸗ lichen Erkundigungen einzuziehen, ſich insbeſondere mit dem Vormunde perſönlich in Ver⸗ bindung zu ſetzen. Stellen ſie feſt, daß für ein Kind von anderer Seite (Angehörigen, Vormund, Vereinen u. ſ. w.) ausreichend und zweckentſprechend geſorgt wird, ſo haben ſie dies der Geſchäftsſtelle anzuzeigen und ſich jedes Eingreifens zu enthalten. Zur Berathung über die Berufswahl der Waiſen für die nach dem Ergebniß der Erkundigungen eine Fürſorge des freiwilligen Erziehungs⸗Beiraths erforderlich erſcheint, findet demnächſt unter dem Vorſitz des Vorſitzenden der Armen⸗Direktion oder eines von ihm zu beſtimmenden Stellvertreters, oder eines Gemeinde⸗Waiſenrathes eine Berufswahl⸗ Beſprechung ſtatt. Zu ihr werden außer den betheiligten Pflegern und Pflegerinnen die Gemeinde⸗Waiſenräthe und Waiſenpflegerinnen, aus deren Bezirken Kinder betheiligt ſind, ſowie die Rektoren, Klaſſenlehrer, Angehörigen und Vormünder der Waiſen und fachmänniſche Beiſtände (ſ. unten Ziffer 11I) aus den vorausſichtlich in Frage kommenden Berufen eingeladen. Die Berufswahl iſt ſo zu leiten, daß dabei die Vermögenslage, die beſonderen Neigungen und Anlagen, die ſittliche, geiſtige und körperliche Beſchaffenheit der Kinder, und alle ſonſtigen in Betracht kommenden allgemeinen und perſönlichen Verhältniſſe berückſichtigt werden. Beſtehen über die körperliche und geiſtige Tauglichkeit eines Kindes für einen in Ausſicht genommenen Beruf Zweifel irgend welcher Art, ſo iſt darüber, ob es ſich für dieſen oder welchen anderen Beruf ſonſt eignet, ein ärztliches Gutachten einzuholen, der betheiligte Arzt auch zur Berufswahl⸗Beſprechung einzuladen. Zu vermeiden iſt, ſoweit irgend möglich, daß ſich Waiſen einem Berufe zuwenden, der zwar ſofort einen Verdienſt ermöglicht, jedes weitere Fortkommen und die Erreichung einer auskömmlichen Lebensſtellung aber mangels einer Fachausbildung in der Regel ausſchließt. b) Geeignete, auch den beſonderen Verhältniſſen des einzelnen Kindes entſprechende Lehr⸗, Dienſt⸗ und Arbeitsſtellen zu ermitteln und der Geſchäftsſtelle anzuzeigen. Ein Haupt⸗ augenmerk iſt auf die Ermittelung ſolcher Lehrherren zu richten, die dem Lehrling Wohnung, Koſt und Kleidung geben. Durch ſachdienliche Erkundigungen iſt dabei feſtzuſtellen, ob die Lehr⸗ und Dienſtherren die Gewähr für eine gute Erziehung und eine tüchtige Ausbildung der Waiſen bieten. Dies gilt auch bei der Unterbringung als Dienſtmädchen für weibliche Waiſen die in erſter Reihe empfohlen wird. Dienſtſtellen, wo die Waiſen, ohne Gelegenheit ſich wirthſchaftlich auszubilden, lediglich als billiger Erſatz für erwachſene Arbeitskräfte angenommen werden, ſind auszuſchließen. Beſonderes Gewicht iſt überall auf die Gewährung geſunder Koſt und Schlafſtelle ſowie darauf zu legen, daß der regelmäßige Beſuch einer Fortbildungsſchule geſtattet und kontrolliert wird. c) Hand in Hand mit Angehörigen und Vormündern die Unterbringung der ihnen anvertrauten Waiſen in eine nach dem Ergebniß der Berufswahl⸗Beſprechung zu wählende geeignete Stelle zu bewirken, und ſie demnächſt bis zu ihrer Selbſtändigkeit ſorgfältig zu