— 207 — 10. Petition wegen Aenderung des Geſetzentwurfs betr. die Organiſation der allgemeinen Landes⸗ verwaltung in den Stadtkreiſen Berlin, Chartottenburg, Schüneberg und Rirdarf. Charlottenburg, den 21. März 1901. Hohes Haus der Abgeordneten! Schon in den Motiven des mit Allerhöchſter Ermächtigung vom 22. Dezember 1873 vorgelegten Entwurfs einer Provinzialordnung für die 6 öſtlichen Provinzen iſt ebenſo wie in den Motiven für den mit Allerhöchſter Genehmigung vom 23. Januar 1873 vorgelegten Entwurf eines Geſetzes betr. die Verfaſſung und Verwaltung einer Provinz Berlin betont worden, daß die kommunalen Intereſſen und Bedürfniſſe der Provinz Brandenburg völlig verſchiedene ſind von denen der Stadt Berlin und den angrenzenden Ortſchaften. Zugleich iſt darin anerkannt worden, daß zwiſchen der Stadt Berlin und deren näherer Umgebung Beziehungen mannigfacher Art beſtehen, welche es zweckmäßig erſcheinen laſſen, Berlin und deſſen nähere Umgebung aus der Provinz Brandenburg nicht nur in adminiſtrativer, ſondern auch in kommunaler Hinſicht ausſcheiden zu laſſen. Seit dieſer Zeit haben ſich Berlin und Umgebung in ungeahnter Weiſe entwickelt. Mit Recht wird deshalb auch in den Motiven des vorliegenden Geſetzentwurfes hervorgehoben, daß die Verhältniſſe und Aufgaben des Stadtkreiſes Berlin und der 3 angrenzenden Stadtkreiſe Charlottenburg, Schöneberg und Rixdorf eigenartige ſind und völlig verſchieden von den ganz anders geſtalteten Aufgaben der ſonſtigen Provinz Brandenburg. Wenn deſſen ungeachtet der Geſetzentwurf ſich darauf beſchränkt, den Stadtkreis Berlin mit den drei Vorortſtadtkreiſen Charlottenburg, Schöneberg und Rixdorf zu einem ſtaatlichen Verwaltungsbezirk zuſammenzufaſſen, die kommunale Zu⸗ gehörigkeit der Stadtkreiſe Charlottenburg, Schöneberg und Rixdorf zur Provinz Branden⸗ burg aber unverändert zu laſſen, ſo wird damit den beſtehenden Mißſtänden nur theilweiſe abgeholfen und eine Organiſation in Ausſicht genommen, die im Preußiſchen Staate einzig daſtehen würde. Die Provinzen ſind einerſeits ſtaatliche Verwaltungsbezirke, andererſeits kommunale Verbände zur Erfüllung der ihnen übertragenen Aufgaben. Der Oberpräſident iſt Organ des Staates für die Wahrnehmung der Geſchäfte der allgemeinen Landesver⸗ waltung, er iſt aber zugleich Auffichtsbehörde für die kommunale Verwaltung der Provinz und Königlicher Kommiſſar bei dem Provinziallandtage. Der dem Oberpräſidenten für die Zwecke der allgemeinen Landesverwaltung beigegebene Provinzialrath wird abgeſehen von den ernannten Mitgliedern gewählt von dem Provinzialausſchuß, einem Organ der kommu⸗ nalen Provinzialverwaltung. Dieſe und mannigfache andere Wechſelbeziehungen zwiſchen der in den Grenzen der Provinz ſich vollziehenden Landesverwaltung und dem kommunalen Provinzialverbande laſſen es als nothwendig erſcheinen, daß der örtliche Wirkungskreis beider ſich deckt. Letzteres iſt von der Königlichen Staatsregierung anerkannt worden. Bis zum Erlaſſe der Provinzialordnung deckten ſich nämlich die geographiſchen Grenzen der provinzialſtändiſchen Verbände nicht überall mit denen der gleichnamigen Provinzen. So umfaßte beiſpielsweiſe der Brandenburgiſche Provinzialverband Beſtandtheile der Provinz Pommern (die Kreiſe Schievelbein und Dramburg u. a. mehr), während einzelne Ortſchaften der zur Provinz Brandenburg gehörigen Kreiſe Sorau und Spremberg dem Schleſiſchen Provinzialverbande angehörten. Dieſe Abweichungen ſind durch die Provinzialordnung vom 29. Juni 1875 beſeitigt worden. In den Motiven zur Provinzialordnung hebt die Re⸗ gierung ausdrücklich hervor: „Die Herbeiführung einer Uebereinſtimmung der Grenzen der provinzialſtändiſchen Verbände mit der adminiſtrativen Eintheilung erſchien um ſo noth⸗ wendiger, als den Organen der Provinzialverbände nunmehr eine Mitwirkung auf die Bildung ſtaatlicher Organe eingeräumt wurde, deren Geſchäftskreis durch die adminiſtrative Provinzialeintheilung beſtimmt wird.“ Der Mißſtand, der wegen ſeiner Unhaltbarkeit durch die Provinzialordnung beſeitigt iſt, ſoll nunmehr durch den vorliegenden Geſetzentwurf wiedereingeführt werden, indem durch § 1 Abſ. 1 beſtimmt wird, daß die Stadtkreiſe Char⸗ lottenburg, Schöneberg und Rirdorf zwar aus dem Verwaltungsbezirk der Provinz Brandenburg ausſcheiden, aber in dem Kommunalverbande der Provinz Brandenburg ver⸗ bleiben ſollen. Für die Schaffung dieſes Ausnahmezuſtandes werden von der Königlichen Staats⸗ regierung in den Motiven (S. 11) nur 2 Gründe angeführt: 1. Es ſeien in Charlottenburg zur Erfüllung derjenigen kommunalen Aufgaben, die von den Stadtkreiſen bisher nicht allein, ſondern im Rahmen des Provinzialverbandes gelöſt werden (Irrenpflege, Z3wangserziehung u. ſ. w.), keine geeigneten Einrichtungen vorhanden. 2. Die Provinz habe ihre bezüglichen Anſtalten unter der Vorausſetzung der dauernden Theilnahme der drei Stadtkreiſe an denſelben eingerichtet und ausgeſtaltet. Dieſe Bedenken ſind unſchwer zu beſeitigen. Zu 1. So gut wie die Stadtkreiſe ihre ſonſtigen bedeutungsvollen kommunalen Aufgaben auf dem Gebiete des Schulweſens, der Armen⸗ und Krankenpflege, ſowie der ſozialen Fürſorge erfüllt haben — es ſei z. B. daran erinnert, daß Charlottenburg zur Zeit ein großes, 1000 Betten umfaſſendes neues Krankenhaus zu errichten begonnen hat —